Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.war zur Zeit als einziger Lehrling auf dem Hof.
Sie hatte den Hengst nur mäßig bewegt. Eine Entzündung am rechten vorderen Sprunggelenk, war noch rechtzeitig erkannt worden. Mit Salbe und einem festen Verband hoffte der Tierarzt, die Entzündung stoppen zu können. Conny kümmerte sich seitdem besonders intensiv um Fender. Zwar war sie schon von Kindheit an eine Pferdenärrin, die alle Tiere auf dem Hof liebte, doch der fuchsrote Hengst hatte es ihr besonders angetan.
Und Fender schien diese Liebe zu erwidern. Wenn Conny morgens in den Stall kam, begrüßte er sie mit einem freudigen Schnauben und scharrte ungeduldig mit den Hufen, weil er wußte, daß es gleich hinausgehen würde. Im wilden Galopp fegten sie durch das Tal, die Almwiesen hinauf, und erst in den höheren Lagen wurde es langsamer. Aber Conny spürte förmlich, wieviel Freude der Hengst daran hatte. Im Moment jedoch mußten sie auf diese ungestümen Ausritte verzichten. Nur im leichten Gang ging es über den Hof auf die angrenzende Weide, auf der die anderen Pferde standen, sofern sie nicht an Reiter vermietet waren.
»Na, wie geht’s unserem Sorgenkind?« erkundigte sich Florian Vilsharder, der eben in den Stall gekommen war.
»Ich glaub’ schon viel besser«, sagte Conny. »Wir sind jeden Tag ein bissel länger draußen.«
»Gut so«, nickte Florian und schaute auf die Uhr. »Dann mach mal Schluß für heute. Du hast in den letzten Tagen sowieso zuviel gerackert. Ich wett’, da ist jemand anderer zu kurz gekommen.«
Er zwinkerte ihr zu, und Conny spürte, wie sie errötete. Mit diesem Jemand war Rob gemeint, Connys neuer Freund Robert Wilke.
Auf der Kirmes in Engelsbach hatten sie sich kennengelernt. Rob hatte das Madel auf seinem Motorrad zurück zum Vilsharderhof gebracht, nachdem sie ausgiebig Karussell gefahren waren und Bratwurst und Zuckerwatte gegessen hatten. Zum Schluß hatte Rob dem Madel ein riesiges Lebkuchenherz gekauft. Darauf stand mit Zuckerguß geschrieben: Für immer dein.
Als er Conny dann an der Einfahrt zum Reiterhof absetzte, war es ganz selbstverständlich, daß sie sich wiedersehen würden, und das Madel erlebte zum ersten Mal in seinem jungen Leben die große Liebe.
Tatsächlich war Rob Wilke Fender gegenüber im Nachteil – zumindest in den letzten Tagen, das hatte Florian Vilsharder ganz
richtig erkannt. Die Sorge um den Hengst ließ Conny alles andere um sich herum vergessen. Wenn man nicht aufgepaßt hätte, würde das Madel wahrscheinlich noch im Stall übernachtet haben, um dem geliebten Tier nahe zu sein. Sie kümmerte sich wirklich Tag und Nacht um Fender. Und so hatte Florian sich überlegt, seiner jungen Auszubildenden den Rest des Tages freizugeben. Trotzdem ging sie erst, nachdem das Pferd zu Ende gefressen hatte und der Verband gewechselt war.
Rob erwartete seine Freundin schon ungeduldig.
»Was machen wir mit dem geschenkten halben Tag?« wollte das Madel nach der Begrüßung wissen.
Rob reichte ihr den zweiten Helm und half, den Kinnriemen zu befestigen.
»Du hast die freie Auswahl«, sagte er. »Zuerst ins Kino und dann zum Italiener, Pizza essen – oder umgekehrt.«
»Schöne Auswahl«, lachte Conny und stieg auf. »Aber du hast dir schon das richtige ausgedacht. Ich habe großen Hunger. Also erst die Pizza und hinterher ins Kino.«
*
Es war schon spät am Abend, als Rob Conny zum Hof zurückbrachte. Zwar stammte das Madel aus St. Johann, und die Eltern wohnten dort, doch für die Zeit ihrer Ausbildung hatte Conny ein Zimmer auf dem Reiterhof, der knapp zehn Kilometer von dem kleinen Bergdorf entfernt war.
Vor der Einfahrt verabschiedeten sie sich.
»Du brauchst net warten«, sagte sie nach dem Abschiedskuß. »Ich seh’ noch mal schnell nach Fender, und hier auf dem Hof wird mir schon nichts passieren.«
Rob winkte ihr noch einmal zu, bevor er seine Maschine startete. Conny stapfte schon über den Hof.
Merkwürdig, dachte sie kurz, als alles dunkel blieb. Eigentlich hätte ein Bewegungsmelder die große Lampe vor den Pferdeställen einschalten müssen. Die flammte immer auf, sobald jemand im Finstern über den Hof ging.
Das Madel schenkte dem Umstand allerdings keine volle Aufmerksamkeit. Sie wollte so schnell wie möglich nach dem Hengst sehen. Unruhig wurde sie dann aber doch, als sie den Lichtschalter gleich neben der Stalltür betätigte, das Licht aber nicht anging. Sie blieb einen Moment stehen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Pferde in ihren Boxen hatten die Witterung des Madels aufgenommen. Sie schnaubten.
Und dann geschah es ganz überraschend. Aus dem Dunkel des Stalls sprang eine Gestalt hervor, stürzte sich auf Conny und riß sie zu Boden. Das Madel, vor Schreck wie gelähmt, war unfähig zu schreien. Die Gestalt drückte sie fest an den Boden.
»Laß die Hände von Rob«, zischte eine Stimme. »Sonst passiert hier wirklich was. Das war jetzt eine Warnung. Das nächste Mal ist der Hengst dran.«
Die Gestalt ließ sie los, sprang auf und verschwand durch die Stalltür.
Langsam richtete sich die angehende Pferdewirtin auf. Sie zitterte am ganzen Körper, als sie sich vorsichtig durch den Stall tastete und den Sicherungskasten suchte. Schließlich fühlten ihre Hände ihn. Auf dem Kasten lag eine Taschenlampe. Conny schaltete sie ein und sah, daß die Sicherungen für den Stall und die Hofbeleuchtung ausgeschaltet waren. Sie legte die beiden Schalter um, und schlagartig wurde es hell.
Das Madel rannte zu Fenders Box. Es atmete erleichtert auf, als es sah, daß der Hengst wohlauf war. Das Madel legte seinen Kopf an den Hals des Tieres und streichelte ihm sanft über den Rücken.
»Gott sei Dank«, flüsterte sie.
So blieb sie eine ganze Weile stehen, bis sie sich endlich losriß und schlafen ging. Um fünf würde schon wieder der Wecker klingeln. Da blieben nur noch ein paar Stunden Schlaf.
Der aber wollte sich gar nicht einstellen. Ruhelos wälzte sich das Madel in seinem Bett. Immer wieder hörte sie die Warnung, die die Unbekannte – es konnte sich nur um eine Frau handeln – ihr ins Ohr gezischt hatte.
»Laß die Hände von Rob!«
*
Es war noch früh am Samstag morgen, als Pfarrer Trenker zu einer Bergwanderung aufbrach. Diese Morgenstunden waren ihm die liebsten. Ganz alleine wanderte er die Pfade hinauf und labte sich an der Schönheit der Gebirgswelt. Wie altvertraute Freunde grüßten die Zwillingsgipfel, der Himmelsspitz und die Wintermaid, und von der Hohen Riest, einer breiten Felsformation, die über dem Höllenbruch lag, hatte er einen herrlichen Rundblick auf das Tal und das Dorf.
Dort oben machte er eine erste Rast, bevor er weiterging. Ein Besuch auf der Korber-Alm war schon lange mal wieder fällig. Zum einen freute sich die Sennerfamilie, wenn der Seelsorger sie besuchte, zum anderen freute Sebastian sich auf die leckere Mittagsmahlzeit, die es auf der Hütte gab.
Heute war es ein Schwammerl-Ragout mit Semmelknödeln. Die Pilze dazu hatten der Senner und seine Frau selbst gesucht. Die Portion war so reichlich bemessen, daß Sebastian seinen restlichen Proviant, der für den Rückweg gedacht war, wahrscheinlich gar nicht mehr essen konnte.
Ausgeruht und gesättigt machte er sich gegen Nachmittag an den Abstieg. Noch eine Rast wollte er einlegen. Bevor er den Höllenbruch, ein unwegsames Waldgebiet, durchquerte, würde er auf eine Hütte stoßen. Dort legte er immer eine Pause ein.
Nicht, daß er sie gebraucht hätte. Sebastian Trenker war sportlich durchtrainiert und kam nicht so schnell aus der Puste. Wer es nicht wußte, hätte in diesem agilen Wandersmann kaum den Geistlichen vermutet. Eher schon einen überdurchschnittlichen Sportler. Allerdings hatte man ihn auch schon für einen Schauspieler gehalten, was Pfarrer Trenker mit einem Lächeln quittierte. Die Menschen waren immer wieder verblüfft, wenn sie feststellten, daß er einen Beruf hatte, dem sie ihm überhaupt nicht zuordneten.
Sebastian schaute zum Himmel, an dem sich ein paar graue Wolken zusammenschoben. Wenn er sich beeilte, erreichte er die Hütte gerade noch, bevor der