Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher

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Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman - Toni Waidacher


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knapp unter der Spitze des Korber-Jochs, saß er vor der alten Holzhütte und starrte vor sich hin.

      Der Schmerz in seiner linken Hand war seit dem Sonntag morgen erträglicher. Bis zum Abend hatten die Tabletten gereicht, die Dr. Wiesinger ihm mitgegeben hatte. Thomas, der nur ein paar Sachen in seinen Rucksack gestopft hatte, war ohne jeglichen Proviant losgegangen. Aber Hunger hatte er ohnehin nicht, und seinen Durst löschte er an einem klaren Gebirgsbach. Erst am späten Nachmittag erreichte er die Korber-Alm, wo er eine Brotzeit einnahm und sich mit Brot, Rauchwurst und Bergkäse versorgte.

      So erreichte er sein einsames Versteck, in dem er sich auf das einfache Strohlager legte und die Augen schloß.

      Innerhalb weniger Stunden hatte sich sein ganzes Leben verändert. Gestern noch hatte er fröhlich mit Andrea auf dem Schützenfest getanzt, hatte er Pläne für die Zukunft geschmiedet und sich auf ein gemeinsames Leben mit ihr gefreut. Dieser heimtückische Überfall hatte in Sekunden alles zunichte gemacht. Wenn der Arzt recht behielt, dann würde Thomas nie wieder einen Konzertflügel berühren!

      Der junge Pianist zermarterte sich den Kopf, wer hinter dem Überfall stecken konnte, und, vor allem warum? Er war sich keiner Schuld bewußt, jemandem etwas getan zu haben, aber je mehr er darüber nachdachte, um so sicherer war er, daß das Verbrechen an ihm in Zusammenhang mit Andrea Hofer stehen mußte.

      So kam ihm zwangsläufig Franz Hochanger in den Sinn. Der Musiker erinnerte sich nur vage an den Bauern, mit dem er zur Schule gegangen war. Er hatte keine Ahnung, wie Franz heute aussah. Hinkte er? Einer der beiden Männer war hinkend fortgelaufen, das hatte er jedenfalls noch wahrnehmen können.

      Thomas wälzte sich auf die Seite. Was soll’s, dachte er. Die Hand ist kaputt und damit meine Karriere beendet.

      Und es stiegen ihm Tränen der Wut und der Trauer in die Augen.

      Für einen Moment dachte er an Andrea. Er ahnte, welche Sorgen er ihr und den anderen mit seiner Flucht bereitete. Aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Überhaupt – wahrscheinlich war es besser, wenn er sich gar nicht wieder in St. Johann sehen ließ. Sollte er dem Madel zumuten, einen Mann zu heiraten, der eine steife Hand hatte? Der seinen Lebensunterhalt künftig bestenfalls als Klavierlehrer verdienen konnte?

      Da war es schon besser, sang- und klanglos zu verschwinden. Irgendwann würde Andrea über den Verlust hinwegkommen. Sie ahnte ja nicht, was die Musik ihm bedeutete, also konnte sie auch nicht ermessen, was es für ihn hieß, nie wieder ein Klavierkonzert zu spielen.

      *

      Für Andrea Hofer waren es bange Tage des Wartens, der Hoffnung und Enttäuschung. Sie war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, ihre Arbeit auf dem elterlichen Hof zu verrichten. Burgl Hofer, die wußte, was ihre Tochter durchmachte, drückte beide Augen zu. Andreas Aufgaben wurden eben auf die beiden Mägde verteilt.

      Sie war nur kurz zu Hause gewesen und schon bald wieder auf den Burgerhof zurückgekehrt. Dort war ihr Platz, solange Thomas verschwunden blieb, und dort wollte sie auch sein, wenn er wieder auftauchte.

      Sonja kümmerte sich rührend um die junge Frau, die ihr einmal erzählte, wie sehr sie Thomas liebte. Andrea hatte das Album mitgebracht, in dem sie die ganzen Ausschnitte und Fotos gesammelt hatte, und es schmerzte beide Frauen, den begnadeten Musiker zu sehen. Mutlos legten sie das Album zur Seite und versuchten, sich gegenseitig Trost zuzusprechen.

      »So kann’s aber net weitergehen«, sagte Wenzel beim Mittagessen. »Wir müssen konkret etwas unternehmen, eine Suchaktion starten. Ich halt’ diese Warterei einfach net mehr aus.«

      Dem konnten die beiden Frauen nur zustimmen. Seit dem vergangenen Sonntag waren sie alle in größter Sorge, und das Essen wollte ihnen überhaupt nicht mehr schmecken.

      »Am besten wird’s sein, wenn wir uns aufteilen«, schlug der Bauer vor. »Hat jemand eine Vermutung, wo Thomas sich versteckt haben könnte?«

      »Vielleicht auf einer Almhütte«, meinte seine Frau.

      »Das ist eine gute Idee«, stimmte Andrea zu. »Früher haben wir oft Wanderungen auf die Almen unternommen. Warum bin ich eigentlich net schon eher darauf gekommen!«

      »Also, wer sucht wo?« fragte Wenzel.

      »Am ehesten kommen die Korber- und die Jenner-Alm in Frage«, sagte Andrea. »Von der Hohen Riest aus erreicht man beide.«

      Sie wandte sich an Sonja.

      »Wollen wir dort nach Thomas suchen?«

      Die Bäuerin nickte.

      »Gut«, sagte ihr Mann. »Dann versuch’ ich mein Glück auf der anderen Seite. Man kann ja net wissen. Vielleicht ist der Thomas auch zu den Zwillingen hinauf…«

      Andrea Hofer schlug erschrocken die Hand vor den Mund.

      »Hoffentlich net«, sagte sie. »Ohne richtige Ausrüstung…?«

      »Nun woll’n wir net gleich das Schlimmste vermuten«, wiegelte Wenzel Burger ab. »Der Thomas weiß um das Risiko. Ich pack’ nur vorsichtshalber meine Ausrüstung ein.«

      Der Bauer war ein erfahrener Bergsteiger, der ebensoviel Zeit im Gebirge verbracht hatte, wie sein Bruder auf dem Klavierschemel. Er setzte bei Thomas soviel Vernunft voraus, daß dieser sich nicht ohne Seil und Haken in die Wand wagen würde. Trotzdem wollte er nichts dem Zufall überlassen.

      Mit dem Auto fuhr er die beiden Frauen bis an den Rand des Höllenbruchs, von wo aus es nur noch zu Fuß weiterging. Sowohl Wenzel als auch jede der Frauen waren mit einem Handy ausgerüstet – in diesem Falle waren die Geräte ein Segen der Technik.

      Wer auch immer zuerst Thomas Burger fand, würde die anderen benachrichtigen können.

      *

      Andrea und Sonja gingen durch den Höllenbruch zur Hohen Riest hinauf. Nach einer Viertelstunde kamen sie an den Abzweig, wo sich ihre Wege trennten. Sonja nahm den Pfad zur Jenner-Alm, während Andrea den Weg zur Korber-Alm einschlug.

      Wieder stiegen die Erinnerungen in ihr auf, als sie zurückdachte an die Zeit vor zehn Jahren. Unzählige Male waren sie und Thomas hier gewesen, und Andrea konnte nicht sagen warum, aber sie hatte das untrügliche Gefühl, daß ihr Gedanke, Thomas könne sich hier oben verkrochen haben, richtig war. Und dieses Gefühl gab ihr neuen Mut und Zuversicht.

      Sie erreichte die Almhütte schon eine gute Stunde später. Der Senner erinnerte sich, Thomas Burger gesehen zu haben.

      »Freilich, ein junger Bursch’, mit einem Gipsverband an der linken Hand«, sagte er.

      »Das ist er. Wissen S’ vielleicht, wohin er wollte?« fragte Andrea aufgeregt.

      Der alte Mann zuckte die Schulter.

      »Schon möglich, daß er es gesagt hat«, meinte er. »Aber, wissen S’, es kommen so viele Leute zu uns herauf. Da kann ich mir wirklich net alles merken, was sie erzählen. Vielleicht ist er weiter, zum Joch hinauf.«

      Andrea schaute mißmutig den Berg hinauf. Sie wußte, daß es dort noch eine alte Hütte gab, in der man unterschlüpfen konnte, falls jemand in ein Wetter geriet, oder nicht mehr rechtzeitig vor Anbruch der Dunkelheit herunter kam. Aber, sollte sie wirklich das Risiko eingehen und den beschwerlichen Weg nach oben nehmen, auch wenn sich Thomas vielleicht gar nicht in der Hütte versteckte?

      Der zweifelnde Gedanke kam ihr nur eine Minute, dann war klar, daß sie nichts unversucht lassen würde, um den Geliebten zu finden. Sie nahm das Handy aus der Jackentasche und rief Sonja an.

      »Dann wird’s das beste sein, wenn ich Wenzel benachrichtige«, sagte die Bäuerin. »Wenn der Thomas auf der Korber-Alm war, ist es auch wahrscheinlich, daß er weiter hoch zum Joch ist. Da ist eine Hütte…«

      »Ich weiß«, unterbrach Andrea sie. »Aber, laß uns jetzt Schluß machen. Ich möcht’ net soviel Zeit verlieren. In ein paar Stunden wird’s dunkel.«

      Je höher sie kam, um so schmaler wurde der Pfad. Manchmal mußte Andrea regelrecht klettern, um voran zu kommen.


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