Der Raum, in dem alles geschah. John Bolton
Читать онлайн книгу.in Syrien mit ziemlicher Sicherheit zurückziehen würde, und zwar eher früher als später. Ich sprach mit dem katarischen Außenminister Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, mit Scheich Tahnoon bin Zayed al-Nahyan, meinem Amtskollegen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, und mit Abbas Kamel, dem Chef des ägyptischen Geheimdienstes. Dabei machte ich deutlich, dass die Idee direkt vom Präsidenten kam, und sie alle versprachen, sie sehr ernst zu nehmen. Später übergab ich all das an Pompeo, als dieser Außenminister wurde, erklärte ihm die Hintergründe und sagte, dass wir damit nichts so schnell erreichen würden. Er stimmte bereitwillig zu, und damit war die Sache zu Ende.
Um 9.15 Uhr bat mich Kelly in sein Büro und sagte, Trump habe gerade angerufen, unter anderem um noch einmal das strategische Paket zu prüfen, dem er am Vortag zugestimmt hatte. Wir holten Mattis und Dunford ans Telefon und ließen uns dann mit Trump verbinden, der immer noch in der Residenz war. »Ich bin nicht begeistert von diesen Zielen«, sagte er. »Das könnte als nichts kritisiert werden.« Damit sagte er im Wesentlichen genau das, was ich in der Sitzung des NSC am Donnerstag angesprochen hatte. Er war nun ebenfalls »ein wenig besorgt« über »chemische Rauchfahnen« nach dem Angriff, obwohl Mattis am Tag zuvor betont hatte, dass das Verteidigungsministerium nicht glaube, dass es welche geben würde. Trump sagte, er denke darüber nach, zu twittern, dass er einen Angriff geplant habe, diesen aber abgesagt habe, weil es keine guten Ziele mehr gebe, er aber seinen »Finger am Abzug« halten würde. Ich wäre fast implodiert und konnte mir nur vorstellen, was Mattis und Dunford taten. Kelly, der diese Übung zweifellos bereits unzählige Male durchgemacht hatte, wirkte nonchalant. »Wir schlagen ins Leere«, wiederholte Trump.
Ich sagte, wir hätten uns auf einen härteren Schlag einigen sollen, aber wir waren jetzt über den Punkt hinaus, unsere Meinung zu ändern und nichts weiter zu tun als zu twittern. Die anderen stimmten mir zu. Trump war über Deutschland verärgert und bereit, aus der NATO auszusteigen, und auch entschlossen, Nord Stream 2 (ein Erdgaspipeline-Projekt im Ostseeraum, das Russland direkt mit Deutschland verbindet) zu stoppen. Nord Stream 2 war hier nicht direkt relevant, aber da er schon daran dachte, bat er Mnuchin, auch ja daran zu arbeiten. »Verschwenden Sie diese [Syrien-]Krise nicht an Merkel«, sagte er und bezog sich dabei auf das Pipeline-Projekt. Trump schwenkte dann zu möglichen russischen Vergeltungsaktionen für einen Militärschlag auf Syrien über, wie die Versenkung eines Schiffes der US-Marine, wobei Mattis ihm versicherte, dass dies sehr unwahrscheinlich sei, trotz der Anwesenheit mehrerer russischer Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer. Nach weiterem Geschwafel schien Trump sich zu entschließen, wie geplant fortzufahren, und Kelly sagte schnell: »Wir verstehen das mal als Startbefehl für 2100.« Damit war der Zeitpunkt gemeint, der nun für Trumps Rede am Freitagabend zur Ankündigung des Angriffs vorgesehen war. Trump sagte: »Ja.« Trumps Anruf bei Kelly und dessen Intervention spiegelte wider, »wie viel von [meiner] Arbeit Kelly tat«, wie McMaster es mir gegenüber eine Woche zuvor ausgedrückt hatte. Dennoch war ich diesmal froh, dass Kellys Erfahrung in Trumps Weißem Haus das sich ausbreitende Chaos dieses Telefongesprächs stoppte und eine voll durchdachte (wenn auch meiner Meinung nach unangemessene) Entscheidung ermöglichte.
Glücklicherweise brachte dieser Tag keine Stolpersteine mehr, und wir begannen, wichtige Gesetzgeber in Repräsentantenhaus und Senat anzurufen. Macron rief erneut an und sagte, nachdem er mit Putin gesprochen habe, scheine in Moskau alles in Ordnung zu sein. Putin hatte die Standardlinie vorgegeben, dass Assads Streitkräfte keinen Chemiewaffenangriff durchgeführt hätten, aber es war klar, dass wir und Macron wussten, dass Putin log. Putin hatte auch angemerkt, wie ungünstig es auf die Öffentlichkeit wirken würde, wenn Assads Angriffe fälschlicherweise gemeldet worden wären, weswegen Macron zu mutmaßen schien, dass Russland in Großbritannien und Frankreich Einflusskampagnen über Syrien durchführte, und möglicherweise auch in Amerika. Nach dem Anruf blieb ich noch eine halbe Stunde bei Trump im Oval. Trump fragte, wie es mir so erging, und bemerkte: »Dafür haben Sie ja geübt.« Wie schon einige Tage zuvor sprach er die Möglichkeit einer Begnadigung von Scooter Libby an, die ich nachdrücklich unterstützte. Ich kannte Libby seit der Regierungszeit von Bush senior und hatte das Gefühl, dass seine Behandlung in der Valerie-Plame-Affäre all die Gründe aufzeigte, warum das Konzept des »Sonderermittlers« so mangelhaft und so ungerecht war. Trump unterzeichnete die Begnadigung einige Stunden später. Am Nachmittag holte Stephen Miller das Redenschreiberteam des Präsidenten hinzu, um über seine Rede an die Nation zu sprechen, die für den Abend vorgesehen war. Der Entwurf sah gut aus, und gegen 17 Uhr, zurück im Oval, ging Trump die Rede Wort für Wort durch, bis er zufrieden war. Pompeo rief gegen 15.40 Uhr an, und ich gratulierte ihm zu seiner erfolgreichen Bestätigungsanhörung am Donnerstag. Er hatte Gina Haspel gebeten, Trump mitzuteilen, er sei bereit, noch härter gegen Syrien vorzugehen, was gut zu wissen war, falls die Dinge in den nächsten Stunden wieder aus dem Ruder laufen sollten. Die eigentlichen Vorbereitungen für den Angriff waren am frühen Abend in vollem Gange. Da es sich um einen »Time-on-target«-Angriff handelte, wurden einige Waffen lange vor den anderen gestartet, so dass sie alle gleichzeitig und so nah wie möglich an ihren Zielen ankamen.
Um 20.30 Uhr gingen einige von uns in den diplomatischen Empfangsraum, wo die Rede übertragen werden sollte. Wir gingen nicht durch die Kolonnade, um niemanden vorzuwarnen, dass etwas passieren würde, sondern über den dunklen Südrasen, wodurch wir das nächtlich erleuchtete Weiße Haus aus nächster Nähe bestaunen konnten. Trump war oben in den Wohnräumen und fuhr um etwa 20.45 Uhr mit dem Aufzug ins Erdgeschoss. Wir gingen die Rede schnell noch einmal durch. Trump hielt die Rede gut, schüttelte den Assistenten, die um ihn waren, die Hand und kehrte in die Wohnräume zurück. Ich ging zurück in mein Büro, um meine Sachen zu packen und mich auf den Heimweg zu machen, und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass der West Wing um 21.30 Uhr abends voller Touristen war!
Der Militärschlag verlief nahezu perfekt, und die syrische Luftabwehr feuerte über vierzig Boden-Luft-Raketen ab, von denen keine unsere ankommenden Marschflugkörper traf.61 Wir glaubten, Assad sei vom Ausmaß der Zerstörung überrascht worden, und es gab keine chemischen Rauchschwaden. Am Samstag twitterte Trump fröhlich über den Angriff und sprach mit May und Macron,62 die über den Vergeltungsschlag und die westliche Einigkeit, die er gezeigt hatte, gleichermaßen erfreut waren. UN-Generalsekretär Antonio Guterres kritisierte den Angriff, weil er nicht vom Sicherheitsrat autorisiert worden und somit nicht mit dem »Völkerrecht« vereinbar war, was einige von uns lächerlich fanden. Ich verbrachte den größten Teil des Tages im West Wing, nur für den Fall, dass Folgeaktivitäten erforderlich sein könnten.
Ist es uns gelungen, Assad abzuschrecken? Letztendlich nicht. Nach meinem Rücktritt erfuhr die Welt, dass Assad im Mai 2019 erneut chemische Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hatte,63 und wahrscheinlich hatte es auch andere Einsätze gegeben. Kurzum: Während der US-Militärschlag im Jahr 2017 vielleicht zwölf Monate Abschreckung bewirkt hatte, waren es bei dem etwas größeren Schlag 2018 nur etwa dreizehn Monate. Und was die Syrienpolitik im weiteren Sinne und den Umgang mit der wachsenden regionalen Hegemonie des Iran betrifft, so hat diese Syrien-Debatte nur jene Verwirrung verdeutlicht, die die US-Politik während meiner Amtszeit und darüber hinaus belasten sollte. Um den berühmten Satz von Professor Edward Corwin zu zitieren: Die Syrienpolitik blieb »eine Einladung zum Kampf«.
38 Siehe Ben Hubbard: »Dozens Suffocate in Syria as Government Is Accused of Chemical Attack«, https://www.nytimes.com/2018/04/08/world/middleeast/syria-chemical-attack-ghouta.html
39 Siehe Sarah Almukhtar: »Most Chemical Attacks in Syria Get Little Attention.Here Are 34 Confirmed Cases«, https://www.nytimes.com/interactive/2018/04/13/world/middleeast/syria-chemical-attacks-maps-history.html?searchResultPosition=2
40 Siehe »Statement from Pentagon Spokesman Capt. Jeff Davis on U.S. strike in Syria«, 6. April 2017, https://www.defense.gov/Newsroom/Releases/Release/Article/1144598/statement-from-pentagon-spokesman-capt-jeff-davis-on-us-strike-in-syria/
41 Siehe Karen DeYoung und Missy Ryan: »Strike on Assad for use of chemical agents unlikely to advance wider US goals in Syria«, https://www.washingtonpost