Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman. Friederike von Buchner
Читать онлайн книгу.verstehen sich gut. Simon ist in Evis Schulfreundin verliebt. Aber ich bin dort ein Exot. Wenn ihr etwas an mir liegen würde, hätte sie Gelegenheit gehabt, in meine Nähe zu kommen. Aber sie ging mir aus dem Weg. Ich weiß sogar von Simon, daß mein Name auf dem Quentmair Hof nicht genannt werden darf. Da wird Evi böse.«
»Was für eine Geschichte! Du bist in Evi verliebt und willst sie nicht sehen! Sie geht dir aus dem Weg. Warum? Weil sie genau wie du Angst vor ihren Gefühlen hat.«
Arnold trank einen Schluck Kaffee.
Dann sprach er weiter:
»Schau, es kann schon einmal eine Wolke über dem Gipfel des ›Höllentors‹ stehen. Wenn ein Wetter aufzieht, dann kommen die Wolken meistens von der Bergseite aus der Richtung des ›Höllentors‹. Das kann dir jeder in Waldkogel bestätigen. Das ist nichts Ungewöhnliches. So, nun erzählst du mir einmal genau, wo, wann, wie du sie getroffen hast und was ihr gesprochen habt. Alle Einzelheiten!«
Zuerst berichtete Boyd stockend, dann flüssiger. Arnold hörte aufmerksam zu.
»Falls du nach einem Weg gesucht hast, mit ihr ins Gespräch zu kommen – nun jetzt hast du ihn. Das ist Schicksal! Du hast einen Grund, den Quentmair Hof zu besuchen. Gehe hin, wenn sie beim Mittagessen sind! Dann ist Simon auch dabei und Evis Eltern. Außerdem kannst du ihr das Bild und das Negativ geben. Du trägst dein Anliegen vor. Sie kann einem Gespräch nicht ausweichen. Du kennst ihren Bruder, bist sogar mit ihm in den Bergen gewesen. Du kennst ihren Vater. Wenn du mit ihr nicht über deine Gefühle, über eure Gefühle reden willst, dann mußt du das nicht tun. Jedenfalls nicht sofort. Frage sie, bitte sie, an deinem Auftrag mitzuwirken.«
»Was sollen das für Aufnahmen sein?«
»Festtagsdirndl und Brautmoden!«
»Das paßt wie die Faust aufs Auge!«
»Boyd, du benimmst dich wie ein kleiner Junge! Nun reiß dich zusammen. Du bist ein Starfotograf, bist erfolgreich. Du bist ein Profi. Gehe erst einmal ganz professionell an die Sache heran. Dann wirst du sehen. Einen Versuch ist es wert. Wenn es wirklich schiefgeht, dann verspreche ich dir, rede ich mit meinem Chef.«
»Gut! Ich probiere es! Mehr als rauswerfen kann sie mich nicht!«
»Richtig! Wann fährst du?«
Boyd schaute zur Uhr. Tief in seinem Innern zog es ihn nach Waldkogel zu Evi. Er konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen. Wie es sich alles gefügt hatte! Boyd hatte seit seiner Abreise darüber nachgegrübelt, wie er es anstellen könnte, mit Evi zu reden. Jetzt war diese Frage gelöst.
»Es ist Samstag! Fahre doch noch heute! Verbringe noch ein Wochenende in Waldkogel.«
Arnold stand auf.
»Ich gehe! Das Frühstück war gut! Danke! Ich rufe dich am Montag an. Dann treffen wir uns zum Mittagessen und du kannst mir alles erzählen. Ich wünsche dir viel Erfolg als Fotograf aber auch als Bursche, der sein Madl erobert.«
»Willst du nicht mit nach Waldkogel kommen?«
»Nein, meine Liebste wartet!«
Boyd brachte Arnold zur Tür. Wortlos schüttelten sie sich die Hände. Arnold ging. Boyd fing sofort an zu packen. Dazu suchte er erst einmal das Negativ von der Aufnahme mit Evi heraus. Danach machte er in der Dunkelkammer einen Abzug und hing ihn zum Trocknen auf. Bis das Papier trocken war, hatte er genügend Zeit, Vorbereitungen zu treffen.
*
Evi hatte sich am Samstagnachmittag mit ihrer Freundin Rosi verabredet. Evi holte Rosi daheim ab. Dann spazierten die beiden jungen Frauen zum Bergsee. Sie setzten sich ans Ufer.
»Denkst du immer noch an ihn, Evi?«
»Ja, ist es nicht schlimm? Ich denke den ganzen Tag an ihn. Ich überlege, was Boyd macht: Ißt er? Arbeitet er? Trifft er sich mit Leuten? Fotografiert er? Schläft er? Fährt er gerade Auto?«
Rosi hörte Evi ruhig zu, bis sie zu Ende war.
»Simon hat erzählt, daß Boyd irgendwann wieder nach Waldkogel kommen wird. Simon wird sich sicherlich mit ihm treffen. Die beiden Burschen verstehen sich gut. Wenn du willst, kann ich Simon wissen lassen, daß er Boyd ruhig einmal mit auf den Hof bringen kann. Wie denkst du darüber?«
»Ich weiß nicht, Rosi! Ich weiß überhaupt nichts mehr. In meinem Kopf ist alles ganz wirr, ein riesiges Durcheinander. Gleichzeitig ist da eine Leere. Nichts interessiert mich mehr. Sicher mache ich meine Arbeit auf dem Hof. Aber ich tue es mechanisch. Ich bin nicht mit dem Herzen dabei, verstehst?«
»Dein Herz sucht nach Boyd! Du magst ihn wirklich, wie?«
Evi schwieg eine Weile.
»Dir kann ich mich ja anvertrauen, Rosi! Ja, ich mag Boyd. Er gefällt mir, obwohl ich ihn nur einmal kurz vor der Kirche gesehen und mit ihm gesprochen habe. Dann habe ich ihn noch heimlich nachts von meinem Balkon aus beobachtet. Ich kann dir nicht viel über ihn sagen. Ich weiß nur, daß ich immerzu an ihn denken muß. Ich sehne mich nach ihm. Das ist unvernünftig, richtig?«
Rosi lächelte Evi an.
»Unvernünftig? Das weiß ich nicht. Ich denke, es ist Liebe. Liebe ist eine ganz eigene Sache. Da gibt es keine Regeln. Es passiert einfach irgendwann. Sieh mal! Nimm deinen Bruder und mich! Seit dem Kindergarten bist du mit mir befreundet. Es gab Zeiten, da war ich fast jeden Tag bei euch auf dem Quentmair Hof. Dein Bruder war auch immer da. Ich sah ihn als das, was er ist, dein Bruder. Ich war mit ihm weder befreundet, noch interessierte er mich. Ich nahm es einfach hin, daß es ihn gab. Das war bei ihm auch so. Plötzlich vor einigen Wochen bemerkte ich, daß er mich anders ansah. Er fiel mir auch auf. Er war nicht mehr nur dein Bruder, er war ein Bursche, der mir gefiel. Warum gefiel er mir nicht letztes Jahr, nicht schon früher? Diese Frage kann ich nicht beantworten. Simon geht es auch so. Es war einfach die Liebe, die sich sanft über uns herabgelassen und uns die Augen geöffnet hat. Bei dir und Boyd ging das schneller. Bei euch hat der Blitz eingeschlagen.«
»Ja, jedenfalls bei mir! Ich sah ihn an und wurde ganz unruhig. Ich bin nicht weggelaufen, weil er mich mit den Engeln vom ›Engelssteig‹ ver-glich. Ich hielt es in seiner Nähe keine Sekunde länger aus. Ich war auf eine solche Begegnung nicht vorbereitet. Da waren plötzlich Gefühle, die mir die Luft zum Atmen nahmen. Ich fürchtete, ohnmächtig zu Boden zu sinken. Es war eine Urgewalt, die da auf mich herabstürzte. Was sollte ich tun, Rosi? Ich rannte.«
Evi seufzte.
»Erinnerst du dich, daß wir damals in der Schule im Naturkundeunterricht gelernt haben, daß einige Tiere Fluchttiere sind. Bei Gefahr laufen sie davon. Andere, wie der Vogel Strauß, steckt seinen Kopf in den Sand. Ich verhielt mich in dieser Lage, die so neu, so überwältigend war, wie ein Tier das scheut, sich dann umdreht und rennt und rennt.«
Evi schüttete Rosi ihr ganzes Herz aus. Sie ärgerte sich, daß sie davongelaufen war. Evi ärgerte sich, daß sie immer die Fassung verloren hatte, wenn ihr Vater oder Simon von Boyd gesprochen hatten.
»Ich bin nur auf Abwehr gewesen.«
»Die Liebe traf dich mit einer Macht, die dich einfach unter Schock gesetzt hatte.«
»Ja, so wird es gewesen sein! Ich beneide dich und Simon. Ihr konntet euch langsam näher kommen. Das freut mich für euch. Ich finde es schön, daß du, meine Freundin, eines Tages zu unserer Familie gehören wirst.«
»Das sagst du so ruhig, Evi! Hat Simon mit dir gesprochen?«
»Simon mußte nichts sagen. Wir haben es alle gesehen, wie ihr euch näher und näher gekommen seid. Als du neulich zu uns auf den Hof gekommen bist, sagte meine Mutter: Zu wem kommt Rosi heute? Sie schaute uns Kinder an. Ist Rosi mit dir, Evi, verabredet oder mit dir, Simon? So fragte sie direkt. Simon wurde etwas verlegen. Er rieb sich das Ohrläppchen. Du kennst diese kleine Geste, die so rührend ist. Dann nahm er seinen Hut. Ich habe Rosi eingeladen, sagte er und ging dir entgegen. Mutter schmunzelte. Sie schaute dir und Simon nach, wie ihr zusammen in den Kuhstall gegangen seid.«
»Ach ja! Das war der Tag, als ihr das neue