Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman. Friederike von Buchner
Читать онлайн книгу.schloß die Wohnungstür und betrat das Kinderzimmer.
Polly stand am Fenster und winkte Patrick nach.
»Was gibt es? Polly, du hast doch etwas!«
»Ich, Mama, ich habe nichts! Es ist Patrick! Er fühlt sich bei Papa nicht so gut! Er sieht ihn kaum. Muß Patrick bei Papa wohnen?«
»Müssen? Nein! Erinnere dich, daß es Patricks Wunsch war, bei Papa zu leben!«
»Ja, ich weiß es ja! Aber jetzt gefällt es ihm nicht mehr. Er ist dort ziemlich allein. Papa sieht er manchmal nur beim Frühstück und ein- bis zweimal in der Woche beim Abendessen. Kann Patrick nicht wieder hier bei uns wohnen?«
Helen schaute ihre Tochter überrascht an.
»Ich wußte nicht, daß Patrick sich bei Gunter nicht wohl fühlt.«
»Mama, es ist viel schlimmer! Patrick ist wirklich unglücklich.«
»Aber warum spricht er nicht mit mir oder mit seinem Vater?«
»Du kennst doch Patrick! Es dauert immer, bis er redet. Ich mußte ihm versprechen, nichts zu sagen. Also verrate mich nicht! Patrick hat Angst, es Papa zu sagen. Er denkt, daß Papa dann traurig ist.«
Helen legte den Arm um ihre Tochter.
»Vielleicht gab es nur noch keine Gelegenheit, darüber zu reden. Übrigens, Gunter, hat mich gefragt, ob du mit ihm in Urlaub fährst. Er will mit Patrick und dir in die Berge.«
»Super! Patrick, Papa und ich in den Bergen! Das wird schön. Weißt du, wo es hingehen soll?«
Helen schüttelte den Kopf. Sie dachte an Waldkogel, an die gemeinsamen Aufenthalte, als die Kinder noch klein waren. Für einen Augenblick war Helen ganz in Gedanken.
»Wir sollten alle vier wieder einmal einen Urlaub in den Bergen machen, Mama! Es war früher immer sehr schön.«
Helen lächelte.
»Ja, das war es! Doch jetzt ist alles anders. Du weißt das, Polly.«
»Heißt das, daß, wenn dich Papa einladen würde, dann würdest du nicht mitkommen?«
Helen lachte laut.
»Sicher würde ich mitkommen, auch wenn ich sicherlich nicht neben ihm auf dem Hüttenboden schlafen würde. Verliere dich aber nicht in Träumereien, Polly. Dein Vater und ich sind geschieden. Er lebt sein Leben und ich lebe mein Leben. Jetzt freue dich doch einfach, daß er dich mitnimmt. Es wird bestimmt sehr schön werden.«
»Noch schöner wäre es, wenn du auch dabei sein könntest!«
Helen fuhr ihrer Tochter über das Haar.
»Wir sind doch alle froh, daß es so ist, wie es jetzt ist. Findest du nicht auch?«
Polly verstand ihre Mutter genau. Das Leben hatte sich eingependelt. Es gab gemeinsame Wochenenden bei Gunter und bei Helen. Es gab Wochenenden, da hatte Helen Patrick alleine und Polly war bei ihrem Vater am anderen Ende der Stadt.
Helen und Gunter bemühten sich, den Zwillingen alles zu geben, was möglich war. Vor einem Jahr hatte Patrick den Wunsch geäußert, bei seinem Vater zu leben. Polly war damals sehr traurig gewesen. Doch Helen erklärte ihr, daß Patrick ein Vorbild brauche und sie es deshalb gut fand, wenn er bei Gunter lebte. Er könnte jederzeit wieder zurückkommen.
Jetzt ist es wohl bald soweit, dachte Helen. Damals hatte sich Helen nicht dagegengestellt. Patrick mußte seine eigenen Erfahrungen machen.
Helen begann, Pollys Reisetasche auszupacken.
»Sag mal, Mama, hast du Papa noch lieb?«
Helen erschrak. Sie zuckte zusammen.
»Das ist schwer zu sagen, Polly! Gehören zur Liebe nicht immer zwei? Gunter und ich hatten die Chance. Wir haben euch, zwei wunderbare Kinder. Wir haben es geschafft, Freunde zu werden, Gunter und ich. Das ist viel, sehr viel! Mehr als viele geschiedene Eltern schaffen. Freundschaft ist auch ein Gefühl,was etwas mit Liebe zu tun hat. Aber es ist eine andere Art von Zuneigung, Polly!«
Helen stellte Pollys Reisetasche ins Regal.
»Das Wetter ist so schön, Polly! Ich habe den ganzen Tag am Computer gearbeitet. Ich würde mich gern etwas bewegen. Wie wäre es mit einer Radtour am Fluß entlang? Kommst du mit?«
Polly bemerkte, daß ihre Mutter das Thema gewechselt hatte. Das Mädchen war sehr feinfühlig. Und Mama liebt Papa noch, dachte Polly. Statt dessen sagte Polly:
»Prima Idee! Wir nehmen aber Abendessen mit und bleiben am Fluß, bis die Sonne untergegangen ist.«
»Ja, das machen wir! Du richtest die Decken und was wir sonst noch brauchen und ich kümmere mich um das Essen und die Getränke. Wir treffen uns gleich vor dem Haus.«
Polly band ihren Pullover um die Hüfte und verschwand. Helen atmete tief durch. In diesem Augenblick wünschte sie, Polly wäre älter und sie könnte mit ihr von Frau zu Frau reden, – ihr sagen, wie sehr sie Gunter liebte oder wieder liebte, – ihr eingestehen, wie falsch es war, einen so radikalen Schlußstrich zu ziehen, – ihr gestehen, daß Gunter der einzige Mann war, den sie jemals geliebt hatte und liebte. Aber Polly war erst zwölf Jahre alt. Helen wollte ihre Tochter damit nicht belasten. So schwieg sie. Es ist nun einmal so, wie es ist, dachte Helen und seufzte still. Ihr Herz war voller Wehmut.
*
Dann kam der Tag der Abreise in die Ferien. Patrick war noch stiller an diesem Tag als gewöhnlich. Er kaute beim Frühstück lustlos an seinem Hörnchen und rührte seine Schokolade immer und immer wieder um.
Sein Vater, der ihm gegenüber saß, blickte einige Male über den Rand seiner Zeitung.
»Patrick, schmeckt es dir heute morgen nicht? Soll ich dir etwas anderes zubereiten?« fragte die alte Haushälterin besorgt. »Soll ich dir schnell ein Müsli mit Obst machen?«
»Nein, danke! Ich meine, es schmeckt. Ich möchte kein Müsli!« sagte Patrick leise.
Dr. Gunter Volkmann ließ die Zeitung sinken. Er faltete sie zusammen und legte sie neben sein Frühstücksgedeck.
»Hast du schlecht geschlafen? Nun, das kann ich verstehen. Ich habe auch kaum geschlafen. So freue ich mich auf die Ferien.«
Patrick warf seinem Vater einen Blick zu. Typisch Papa, dachte der Junge. Er stellt mir eine Frage und redet gleich wieder von sich. Er will gar keine Antwort. Immer geht es nur um ihn.
»Wenn es dir nicht schmeckt, dann lasse es stehen.«
Gunter schaute auf die Uhr.
»Wir müssen auch aufbrechen. Es wird Zeit. Wir können ja unterwegs anhalten und einen Imbiß zu uns nehmen.«
Gunter trank seinen Kaffee aus.
»Hast du alles gepackt?«
»Ja, die Sachen sind bereits im Auto, Herr Dr. Volkmann«, antwortete die Haushälterin an Patricks Stelle.
Volkmann stand auf. Er rieb sich die Hände.
»Wunderbar! Dann kann es ja losgehen. Wir fahren zuerst zu Helen und laden Polly ein. Anschließend holen wir Frauke ab.«
»Frauke?« schrie Patrick heraus.
Sein Vater nahm den Schrei aus tiefstem Kinderherzen nicht wahr. Nur die Haushälterin hörte den Schmerzenschrei.
»Ja natürlich, Frauke! Habe ich dir nicht gesagt, daß Frauke mitkommt? Doch, das habe ich bestimmt, Patrick. Du kannst dich sicherlich nicht mehr daran erinnern.« Schon wieder, dachte Patrick. Er redet und redet, sieht alles nur durch seine Brille. Frauke! Was soll Frauke in den Bergen? Die mag die Berge nicht, wirklich nicht. Was soll sie in den Bergen? Was soll sie da? Wie konnte Papa das nur tun, dachte der Junge.
Sein Vater beobachtete ihn.
»Ist noch etwas, Patrick? Laß uns gehen! Gehst du schon einmal zum Auto? Ich rufe Helen an und sage, daß