Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman. Friederike von Buchner
Читать онлайн книгу.Toni nahm Gunter sein Handy aus der Hand.
»Nummer gespeichert?« fragte Toni knapp.
Gunter nannte ihm die Ziffer, hinter der die Nummer von Helens Handy gespeichert war.
Toni wählte. Helen meldete sich sofort. Sie freute sich zunächst, Tonis Stimme zu hören. Doch dann stocke ihr der Atem, als ihr Toni sagte, was passiert war. Das Gespräch war nicht lang. Es wurde von Helen abgebrochen.
»Was ist?« fragte Gunter.
»Helen ist natürlich sehr beunruhigt! Sie will sofort kommen! Sie
will versuchen noch heute zu kommen!«
»Das war alles? Keine Vorwürfe? Keine Schimpftiraden?«
»Naa! Sie war erschrocken. Besorgt! Beunruhigt! Aber dann ganz sachlich! Sie sagte nur, daß ich dir sagen soll, sie komme so schnell wie es ginge, wenn möglich sogar noch heute.«
Gunter schaute auf die Uhr.
»Fraglich, ob sie das schafft.«
»Wenn die Helen sagt, daß sie kommt, dann kommt sie! Die Helen ist die Helen und net die Frauke!« bemerkte der alte Alois hart.
Alle sahen sich an.
»Ich komme mir so hilflos vor! Was soll ich nur tun?«
»Des hat der Leo dir doch gesagt! Du hast uns erzählt, daß du gestern mit den beiden beim ›Erkerchen‹ ein langes Gespräch hattest. Nimm dir Papier und einen Stift und lauf rüber zum ›Erkerchen‹. Setz dich dort hin und schreibe alles auf. Vielleicht fällt dir dort mehr ein als hier. Wenn es etwas Neues gibt, dann rufe ich dich an!«
Toni legte Gunter die Hand auf die Schulter.
Nach einigem Nachdenken stimmte Gunter zu.
*
Nach Tonis Anruf war Helen erst mal für einige Sekunden wie gelähmt. Erst als sie aufgelegt hatte, wurde ihr die ganze Tragweite des Anrufs bewußt. Sie faßte sich aber schnell wieder. Binnen Minuten hatte sie alles geregelt.
Zuerst packte sie schnell ihren Rucksack und zog ihre Wandersachen an. Dann rief sie auf dem Flughafen an und buchte ein kleines zweimotoriges Flugzeug, das sie direkt nach Kirchwalden flog. Den Leihwagen in Kirchwalden bestellte sie über das Internet. Er sollte zum Flughafen gebracht werden. Anschließend sagte sie alle Termine mit ihren Bauherrn ab.
Nach einer halben Stunde saß Helen bereits im Flugzeug und die Maschine hob ab. Es war klares Wetter. Sie hatten Rückenwind. So kamen sie noch schneller voran. Nach drei Stunden erreichten sie Kirchwalden. Von dort aus ging es sofort mit dem Auto weiter nach Waldkogel.
Helen schlug nicht den Milchpfad ein, der sie direkt hinauf zur Oberländer Alm bringen würde. Die Sonne stand tief. Den Fußweg hinauf bis zur Berghütte würde sie nicht mehr schaffen, so lange es hell war. Doch Helen hatte eine andere Idee. Sie kannte alle Wege um Waldkogel wie ihre Westentasche.
Mit hoher Geschwindigkeit brauste Helen über den Waldweg im Wildbachtal Richtung Forsthaus. Das Schild mit der Aufschrift »Privatweg – Durchfahrt verboten« übersah sie einfach. Was kümmerten sie jetzt Verkehrschilder? Es ging um ihre Kinder!
Laut hupend stoppte Helen das Auto vor dem Forsthaus mit einer Vollbremsung!
Förster Lorenz Hofer kam mit seiner ganzen Familie aus dem Forsthaus gelaufen.
»Grüß dich, Hofer! Kennst mich noch? Ich bin’s, die Helen Volkmann!
»Mei, die Helen! Des ist eine Überraschung! Da will ich mal ein Auge zudrücken! Du weißt, daß der Weg nur für Forstfahrzeuge freigegeben ist?«
Sie schüttelten sich die Hände. Helen begrüßte schnell Lydia Hofer und die Kinder Paul und Ulla.
»Lorenz, du mußt mir helfen! Die Kinder sind mit Gunter und seiner neuen Flamme auf die Berghütte. Sie wollten dort zwei Wochen Urlaub machen. Jetzt hat mich der Toni angerufen, die Kinder sind fortgelaufen.«
»Ich weiß, der Leo von der Bergwacht hat mich schon verständigt. Wir brechen morgen früh mit einem Suchtrupp auf, sobald es hell wird. Weißt des schon? Willst sicher mitkommen?«
»Nein, das weiß ich nicht! Mitkommen will ich nicht! Ich will rauf zur Berghütte, noch heute. Ich bin mit dem Flugzeug nach Kirchwalden gekommen. Aber mit diesem Leihwagen komme ich nur bis zur Oberländer Alm. Der Bergpfad bei völliger Dunkelheit ist mir etwas zu gefährlich – alleine. Wenn du mich mit einem Forstfahrzeug den Pilgerpfad rauffahren könntest. Dann würde ich den Querweg nehmen am ›Erkerchen‹ vorbei – rüber zur Berghütte, verstehst?«
Lorenz Huber rieb sich das Kinn.
»Mei, Lorenz, was mußt du da noch lange überlegen?« stieß ihn seine Frau an.
»Gut, dann stelle dein Auto dahinten hin. Hier mitten auf dem Weg kannst es net stehen lassen!«
Helen parkte ihren Leihwagen und gab Lydia den Schlüssel und ihre Handynummer. Dann stieg sie auf den schmalen Traktor der Försterei. Lorenz fuhr sofort ab. Er wählte den kürzesten Weg bis zum Pilgerpfad durch eine junge Schonung und über die Wiesen. Dann ging es im Abendlicht hinauf.
Helen sprach während der ganze Zeit kein Wort. Sie dachte an ihre Kinder. Sie machte sich große Sorgen. Wie konnte das nur geschehen? Was war passiert, daß Polly und Patrick so etwas machten? Sie waren doch sonst so vernünftig.
Die Sonne stand jetzt als großer goldener Ball über den Bergen im Westen und berührte mit ihrem unteren Rand die Bergspitzen. Ihre Strahlen färbten die Felsen rot und der Schnee lag wie bunte Zuckerwatte überall an den Hängen.
Helen hob den Kopf und schaute hinauf. Ihr Blick blieb an dem Gipfelkreuz des ›Engelsteigs‹ hängen.
Ja, ich bin hier auf dem ›Pilgerpfad‹. Seit Tausenden von Jahren sind Menschen zu Fuß, auf Eseln, auf Reittieren, teilweise sogar auf den Knien dem Weg gefolgt. Alle hatten Kummer im Herzen. Alle richteten ihren Blick hinauf auf die Spitze des ›Engelsteigs‹. Sie glaubten daran, daß die Engel von dort oben ihre Gebete, Wünsche und Sehnsüchte hinauf in den Himmel trugen. Schaden kann es nichts, wenn ich es auch probiere, dachte Helen, die sich als sachliche moderne Frau sah.
So versuchte sie unbeholfen, all das in Sätze zu fassen, was sie bewegte und schickte es mit flehentlichen Blicken und wundem Herzen hinauf zu den Engeln auf den ›Engelssteig‹.
»Helen, du schaust hinauf zum Gipfel des ›Engelssteig‹. Des ist gut. Die Engel um Hilfe zu bitten, des hat schon immer geholfen. Heute ist ein besonders schöner Abend, da sind die Engel bestimmt dabei, direkt in den Himmel aufzusteigen.«
»Klingt, als würdest du fest daran glauben, Lorenz?«
»Ja, des schadet auch nix! Schau, drüben des ›Höllentor‹, da hängt eine schwarze Wolke über dem Gipfel. Der Satan lüftet seine Hölle, sagt man hier in Waldkogel, wenn direkt über dem Gipfel so eine Wolke hängt.«
»Sieht wirklich bedrohlich aus, Lorenz!« sagte Helen leise und ängstlich.
Sie dachte an das, was sich die Waldkogeler seit alters her über den Berg erzählten. Seinen Namen ›Höllentor‹ hatte er der Sage nach davon, daß es dort ein Tor zu Hölle gäbe. Wenn der Teufel durch dieses Tor schaute, dann geschah ein Unglück. Und war jetzt nicht ein Unglück geschehen? Ihre Kinder irrten irgendwo in den Bergen umher. Oder lagen sie schon verletzt am Fuße eines Abhangs?
Helen seufzte.
»Wir sind da!« riß sie Lorenz aus ihren Gedanken. »Hast eine Stablampe? Es wird bald ganz dunkel sein.«
»Danke, Lorenz! Vielen Dank! Ja, ich habe eine Stablampe dabei!«
Helen stieg aus. Sie gab Lorenz die Hand.
»Des wird schon! Schau, wie schön des Gipfelkreuz im Abendlicht leuchtet. Des sehen deine Kinder auch. Des wird sie heimfinden lassen! Da bin ich mir ganz sicher. Die haben Schutzengel! Alle Kinder haben Schutzengel!«
Helen