Wunsch Traum Fluch. Frances Hardinge

Читать онлайн книгу.

Wunsch Traum Fluch - Frances  Hardinge


Скачать книгу
wo der Rasen rillenförmig eingedrückt war, weil dort immer die Gartenliege stand. Parks hatten keine Stellen. Sie hatten Sehenswürdigkeiten.

      Eine solche Sehenswürdigkeit der Oase war die Wasseruhr, die einem berühmten Vorbild auf einem Platz in München nachempfunden war. Man konnte das Innenleben sehen, wo Ströme aus schimmerndem Wasser über eine Reihe von winzigen Stufen von einem hoch gelegenen Behälter bis zu einem großen Bassin am Grund strömten. Die Uhr bestand aus Bronze, mit einer Patina aus Grünspan besetzt. Ryan wusste, dass Grünspan der Belag war, den altes Metall annahm, wenn es jahrelang der Luft und Feuchtigkeit ausgesetzt war. Es war ein hübsches Wort für einen hübsch aussehenden Überzug, der eigentlich nichts anderes war als eine Art modriger Rost. Künstliche «Grünspan-Patina» wie die auf der Uhr war nicht billig zu haben, und Mr. Lattimer Stone, Joshs Vater, war sehr stolz darauf. Ein großer Stab in der Mitte pumpte auf und ab, als ob er Milch zu Butter schlagen würde, und seine Bewegung trieb Zahnräder an, die große, gefurchte Zylinder drehten, die wiederum von Zeit zu Zeit kleine Glöckchen läuten oder kleine Metallfiguren im Kreis tanzen ließen.

      «Wenn ich jemals eine Bank ausraube und zu zehn Jahren Merrybells verurteilt werde», hatte Josh einmal gesagt, «dann besorgt ihr beiden ein Fluchtauto und parkt es dort, wo die Wasseruhr in die Mauer eingelassen ist. Dann klettert ihr daran hoch und werft mir eine Kalaschnikow zu oder etwas Ähnliches. Aber gebt mir erst ein Signal mit einem Spiegel, damit ich weiß, dass ihr kommt.»

      Und da waren sie nun, hoch oben auf der Mauer.

      «Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?», fragte Chelle, aber sie wartete nicht auf eine Antwort. Zweifellos dachte sie, dass Josh schon wusste, was zu tun war, und dieser Gedanke genügte ihr, um sich in ein Gewirr aus Clematis-Ranken zu kauern und einen kleinen Handspiegel in Richtung Merrybells zu halten. «Woher soll ich denn wissen, ob er überhaupt aufs Haus scheint? Ich drehe ihn einfach in alle Richtungen, nur für alle Fälle … oh, da ist er ja schon …»

      Josh kam angelaufen. Er trug Gummistiefel und auf seinen Armen klebten Grashalme wie Tarnflecken – offensichtlich das Ergebnis intensiver Gartenarbeit. Seine Augen waren hinter den getönten Brillengläsern versteckt.

      Er warf einen kurzen Blick hinter sich. Als er wieder hochschaute, war seine Miene entschlossen und ruhig.

      «Es ist echt schlimm. Da muss irgendwas im Brunnen gewesen sein. Ich weiß nicht was, aber ich vermute mal, sie haben da radioaktiven Müll abgeladen, und jetzt mache ich … schaut euch das mal an.» Er löste die Schnalle seiner Armbanduhr und zog sie ab. «Seht ihr das? Tot.» Er wedelte mit der Armbanduhr hin und her, obwohl sie zu weit oben waren, um das winzige digitale Zifferblatt zu erkennen. Er warf die Uhr in das Wasserbecken, wo sie mit einem mürrischen Plop auf der Oberfläche auftraf und dann sank.

      «So ist es die ganze Zeit, seit der Sache mit dem Brunnen … ich habe irgendeine Art von … Strahlung … die Lampen gehen aus, und der Fernsehbildschirm ist auf einer Seite rosa und auf der anderen grün. Und mittlerweile denken alle, ich mache das absichtlich

      «Dann sagen wir das wohl besser …», setzte Ryan an.

      «Nein!» Josh schnitt ihm das Wort ab. «Wir sagen niemandem etwas. Ich habe einen Entschluss gefasst. Wenn wir irgendetwas sagen, dürfen wir nie wieder zusammen sein. Wir müssen uns selbst um die Sache kümmern. Milch ist gut gegen Radioaktivität. Wir müssen viel Milch trinken. Und oft duschen. Und ruft mich an, okay?»

      Aus dem Wasserbecken stieg eine Blase empor, als ob Joshs Armbanduhr die Luft angehalten und schließlich doch aufgegeben hätte. Ryan glaubte, das winzige, geisterhafte Gesicht unter der Oberfläche zucken zu sehen, aber über das Wasser huschten so viele Lichter, dass er sich nicht sicher war.

      Ryan blinzelte. Plötzlich war ihm übel. Der Wasserbogen, der aus der Öffnung neben seinem Kopf spritzte, schimmerte wie ein Stück Metall. Die Tropfen, die aus den Zacken der Zahnräder sprangen, wirkten bleischwer, und er erwartete, dass sie im Niederfallen klirren und klappern würden. Er senkte die Augenlider, und seine Wimpern verwandelten die Welt in sanfte goldene Scheiben, die – geisterhaften Münzen gleich – um Josh schwebten. Josh thronte in der Mitte, wie in einer Schatzhöhle, mit gelb gefärbten Pennys auf seinen Augen.

      Josh, dachte er, mach, dass du wegkommst

      «Josh!» Chelle kreischte auf. «Geh weg da!»

      Der Stab im Herzen der Uhr fing an zu beben und zu rucken. Die Zahnräder im Zentrum des Uhrwerks sprangen mitfühlend in die Höhe und landeten wieder knirschend auf ihrer Position, wobei sie allerdings die Verbindung zueinander verloren. Eine Schraube zwängte sich mit einem Pock aus der Verankerung, und Josh machte einen Satz rückwärts, als ein großer Metallkolben auf ihn niederstürzte und ein Stück vor ihm auf dem Gras aufprallte. Aus einem Rohr zischte es, und Wasser sprühte nach allen Seiten.

      «Wir waren’s nicht!», schrie Chelle.

      «Ich hab’s nicht angefasst!», rief Josh gleichzeitig.

      Während sie sich eilig zurück in die Clematis-Ranken schoben, hörte Ryan, wie Josh hastig davonlief und dabei dieses schlürfende Platschen von sich gab, das Gummistiefel auf nassem Gras manchmal machen. Chelle und Ryan sprangen zu Boden und entfernten sich im Laufschritt, damit niemand auf die Idee kam, sie könnten etwas mit dem Getöse zu tun haben, das die untergehende Wasseruhr hinter ihnen von sich gab.

       image

      Die Lasagne, die es zum Abendessen gab, lag ihm schwer wie Zement im Magen, aber Ryan spülte sie mit so viel Milch herunter, wie er nur trinken konnte.

      Er war sich nicht sicher, ob Milch tatsächlich gegen Radioaktivität half, aber das Lexikon der Medizin war wieder einmal verkleidet. Seine Mutter mochte es nicht, wenn die Schutzumschläge der Bücher eingerissen wurden, also nahm sie sie ab und verstaute sie in einer Schublade. Wenn ein wichtiger Gast zu Besuch kam, schob sie die Umschläge hastig wieder auf die Einbände, achtete aber nur darauf, ob die Größe passte, und nicht, ob die Titel übereinstimmten. Im Moment versteckte sich das Lexikon möglicherweise hinter dem Aufstieg und Fall des Römischen Reiches oder etwas Ähnlichem.

      Beim Essen dachte Ryan über Radioaktivität nach. Vielleicht würde es von selbst wieder besser werden, und dann müsste niemand davon erfahren …

      Wenigstens brachte er selbst keine Glühbirnen zum Explodieren oder ließ Fernseher grün anlaufen. Aber er war ja auch nicht so wie Josh in den Brunnen hinuntergestiegen … allerdings hatte er geholfen, seine Jacke auszuwringen, und vielleicht kamen daher diese sonderbaren Warzen, die auf seiner Hand wuchsen. Die Gabel in seiner Hand wurde warm, und er legte sie beiseite. Gaben Leute, die verstrahlt waren, die Radioaktivität auch an andere Dinge weiter? Mit einem plötzlichen Schreck betrachtete er seine Eltern, die sich ihm gegenüber am Tisch unterhielten.

      «Ich … ich werde wohl heute früh ins Bett gehen.» Seine Mutter und sein Vater schauten auf, als er den Stuhl geräuschvoll zurückschob.

      «Was ist los? Bist du krank?» Ryan wich zurück, als seine Mutter die Hand ausstreckte und seine Stirn anfühlen wollte.

      «Mir geht’s gut, ich bin nur etwas müde.» Hätte er doch bloß behauptet, dass er noch ein bisschen in seinem Zimmer lernen wollte. Während er die Treppe hinaufging, versicherte er Gott, dass Er ihn radioaktiv machen konnte, solange Er seinen Eltern nichts zuleide tat. Gleichzeitig wusste er, dass in dieser Behauptung die versteckte Hoffnung mitschwang, dass Gott von seiner Tapferkeit beeindruckt sein und beschließen würde, ihn ebenfalls nicht zu verstrahlen.

      Er duschte ausgiebig. Die Seife brannte auf den Warzen auf seiner verletzten Hand, und niedergeschlagen erkannte er, dass sich auf der anderen Hand ebenfalls eine Erhebung bildete. Er umwickelte seine Hände mit feuchten Waschlappen und ging ins Bett.

      Während er wach lag, fühlte er sich schon elend genug, aber es wurde noch schlimmer, als sein Geist in den Schlaf abglitt und er seine Gedanken nicht mehr kontrollieren konnte. Der Rest


Скачать книгу