Destiny. Grace Goodwin
Читать онлайн книгу.glatten, rosa und grau melierten Gestein. Ich hatte das Gefühl mich untertage zu befinden, aber ich wusste, dass das nicht der Fall war. Dennoch fragte ich mich, wie dick die Steinschicht über der gewölbten Decke wohl sein musste, um diese eindringliche Stille zu erschaffen, die ich auf der Erde nur in unterirdischen Gefilden erfahren hatte.
Sobald sich die Tür hinter mir zugeschoben hatte, schloss ich die Augen, um mit meinem neuen Fledermausgehör zu lauschen. Ich wusste nicht genau, was die Zitadelle mit meinen Schwestern angestellt hatte, aber Mutter hatte uns von den royalen ‘Gaben’ erzählt. Wie Dinge zu sehen, die sonst niemand sehen konnte. Schnelligkeit. Verstandeskraft. Kampfkünste. Übersinnliche Kräfte, die uns von der normalen Bevölkerung unterscheiden würden. Nichts zu Ausgefallenes allerdings. Ihr zufolge waren wir keine Wonder Women oder irgendetwas in der Art, nur … etwas besser gewappnet. Und ich musste zugeben, dass mir dieser übermächtige, vampirmäßige Gehörsinn wirklich sehr gelegen kam.
Ich setzte meine Gabe ein und konzentrierte mich, wie ich es in all den Meditationssitzungen geübt hatte. Ich war ziemlich gut darin geworden und war in der Lage, mich auf einen einzelnen Herzschlag im Raum zu konzentrieren und dann zum nächsten überzugehen. Ich konnte dem Herzschlag lauschen, während ich mitbekam, wie das Küchenpersonal eine Etage tiefer das Abendessen diskutierte. Das ganze Meditieren und Konzentrieren hatte wahre Wunder bewirkt und meistens konnte ich meinen Hörsinn jetzt ganz gezielt einsetzen, solange ich jedenfalls nicht am Ausflippen oder zu sehr in Eile war. Ich konzentrierte mich auf das, was ich brauchte und hörte den leisen Hall von Craydens Schritten, als er sich zu meiner Rechten stetig von mir entfernte.
Ich folgte den Schritten. Dann verlor ich ihn. Dann hörte ich ein gedämpftes Grunzen.
Ein Handgemenge? Ich wusste, wie sich ein Nahkampf anhörte. Wenn Fäuste zuschlugen. Wenn Tritte auf dem Rücken oder den Beinen des Gegners landeten.
Ich rannte los, rannte weiter und weiter. Crayden war verdammt schnell gewesen. Er war mir sehr viel weiter voraus, als ich dachte. Und mein Gehörsinn war sehr viel besser, als ich angenommen hätte.
Völlig außer Atem erreichte ich eine weitere Tür. Ich öffnete sie und musste blinzeln, weil das grelle Tageslicht meine Augen reizte. Der Tunnel führte zu einem weitläufigen Park innerhalb der Festung. Hohe Bäume, Gebüsch und Spazierpfade säumten die Anlage. Und dieser Park wurde ziemlich oft genutzt, er war ein Treffpunkt für Eingeweihte, wenn das Wetter nicht bitterkalt war. Nach dem Tunnel rieb ich mir wärmend die Arme. In der Stadt war es nicht kalt gewesen, hier oben in den Bergen aber war ich bereit für einen Sonnenurlaub auf Hawaii.
Eigenartigerweise sah ich hinter einem Gebüsch Dampf aufsteigen. Ich lief um das Gewächs herum und musste feststellen, dass es sich nicht um Dampf handelte … nicht genau jedenfalls. Crayden lag in einer Blutlache auf dem Boden ausgestreckt und die kalte Luft bewirkte, dass die Wärmeschwaden aus der körperwarmen Pfütze nach oben stiegen wie Nebel über einem Bach.
Ich zuckte zusammen und musste wegschauen. “Scheiße.” Er war tot. Der lange Schnitt in seiner Kehle hätte auch einen Löwen zur Strecke gebracht. Dennoch lief ich zu ihm herüber und kniete nieder. Das Blut sickerte durch meine Hose hindurch und beschmierte meine Handflächen, als ich nach einem Puls suchte. Ich musste mich vergewissern. Nichts. Er war nicht mehr zu retten.
Die ReGen-Stifte und Tanks hier draußen im Weltraum waren fantastisch, aber tot war tot. Und Crayden war mausetot. Kein Tank hätte seine durchtrennte Halsschlagader flicken können.
Ich schloss die Augen, um die Schritte des flüchtigen Täters aufzuspüren. Ich lauschte nach hastigen Atemzügen. Oder Gelächter. Irgendetwas. Ich benötigte nur ein Geräusch, eine Richtung, der ich folgen konnte. Egal was.
Dann ertönte in der Ferne ein Schrei. Dann noch einer. Das Getrampel von mindestens sechs Paar Füßen. Gebrüll.
Ich stand auf und war einige Momente lang wie gelähmt. Wut brodelte in mir auf. Sie hatten es ruiniert. Die Spur des flüchtigen Killers war im Radau untergegangen.
Haltet gefälligst die Klappe!
Aufgrund des panischen Geschreis dieser Vollidioten konnte ich nichts mehr hören. Der Mörder würde davonkommen.
Dann packte eine Hand meinen Oberarm. Eine große Hand. Mein Herz sprang mir in die Kehle. Ich wollte mich instinktiv umdrehen und ihn abwehren. Ich war entschlossen meinen Kopf auf den Schultern zu behalten. Der Instinkt war da, aber eine Bruchsekunde lang dachte ich, dass es sich um Nix handeln könnte.
Ich wandte den Kopf um und blickte in die Augen eines Wachmanns. Meine Hand huschte erleichtert an meine Brust.
“Alles in Ordnung?” Er blickte mich prüfend an, dann suchten seine Augen die Gegend ab, als ob der Killer sich immer noch hier aufhielt. “Hast du irgendetwas gesehen?”
Ich schüttelte den Kopf und streckte meine blutverschmierten Hände von mir. “Nein. Himmel, der arme Mann. Ich bin aus der Festung gekommen und habe ihn hier liegen gesehen.”
Der Wachmann blickte nach oben und dann um die Ecke des Gebäudes herum. “Ich hatte Patrouille. Du hast nichts Verdächtiges gesehen oder gehört?”
“Du etwa?” konterte ich.
Der Mann runzelte die Stirn und blickte auf mich herab wie auf ein kleines Kind. “Priester Crayden hat den Ausgang benutzt. Ich habe ihn rausgehen sehen. Nach der Morgenmeditation und der Predigt kommt er immer hierher, also habe ich mir nichts dabei gedacht.”
Er faselte in sein Sprechgerät und setzte seine Kollegen über den Mord in Kenntnis. Dann forderte er Verstärkung an, um die Gegend zu durchsuchen.
“Hast du gesehen, wie er ermordet wurde?” fragte ich nach, als er fertig war. Ich wischte mir die Hände an meiner Hose ab, wo das Blut eine feuchte Spur hinterließ.
Er schüttelte den Kopf. “Nein. Ich patrouilliere die obere Kanzel der Südecke. Ich habe ihn gesehen, und als ich zurückgekommen bin, bist du gerade rausgekommen und auf die Knie gegangen. Erst dann habe ich seinen Körper entdeckt. Wenn hier jemand den Mord mitangesehen hat, dann nur du.”
Er war nicht dabei zu sagen, dass ich es getan hatte. Sollte er mich verdächtigen, dann würde er nicht dumm rumstehen und mit mir schwatzen. “Hast du jemanden gesehen? Stimmen gehört? Einen Kampf?”
Das hatte ich, aber nichts Konkretes. “Vom Tunnel aus habe ich gedämpftes Gerangel gehört, wie ein Kampf, aber keine Stimmen. Dann bin ich gerannt, aber als ich den Ausgang erreicht habe, war er bereits tot und allein.”
Sein skeptischer Blick verriet mir unmissverständlich, dass er sich mit meiner Antwort nicht zufriedengab. Es reichte nicht, aber immerhin hatte ich noch keine Handschellen um. “Oberpriesterin Amandine wird sich bestimmt mit dir unterhalten wollen.”
Weitere Wachmänner tauchten auf und knieten um die Leiche herum.
“Genau wie der Rest ihrer Garden,” sprach er weiter. Als die anderen sich um den Körper kümmerten, fuhr er fort: “Komm mit mir.”
“Aber—“
“Ich hab’ gesagt komm. Jetzt sofort.” Etwas unsanft zerrte er mich von den Wachmännern und Craydens totem Körper fort. Die anfängliche Sorge in seinem Blick war jetzt blinder Wut gewichen. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich war Crayden aus dem Gebäude gefolgt und sein Blut klebte an meinen Händen. Es sah nicht besonders gut für mich aus.
“Ich weiß von nichts,” wiederholte ich.
Er ignorierte meine Worte und schliff mich fort. Ich ballte meine blutroten Hände zu Fäusten und ging mit ihm mit. Ich hatte nichts zu verbergen.
Nun, so ganz stimmte das zwar nicht, aber bezüglich des Mordes hatte ich nichts zu verheimlichen.
Gott sei Dank hatte er selber gesehen, wie ich nach draußen getreten war. Andernfalls müsste ich Trinity benachrichtigen und sie um eine royale Intervention anflehen. Ich war nicht sicher, wie der Priesterorden mit kaltblütigen Mördern umsprang, aber wenn sie jemanden hinrichteten, nur weil er ohne Erlaubnis ins Büro der Oberpriesterin