Die Leihmutter. Marie Louise Fischer

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Die Leihmutter - Marie Louise Fischer


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sich wieder im Sessel nieder.

      Der alte Herr fuhr sich über das militärisch kurz geschnittene graue Haar. »Du machst mich ganz verlegen, weißt du das?«

      »Ich habe noch eine kleine Bitte: Könntest du nachher etwa zwei Stunden auf Florian aufpassen? Ich muß Frank doch ein paar Sachen in die Klinik bringen, seinen Rasierapparat und so.«

      »Erst gehe ich zur Bank, hebe das nötige Geld ab und bringe die Sache mit der Hausverwaltung in Ordnung.«

      »Danke.« Beate wollte aufstehen.

      Er hielt sie mit einer Frage zurück. »Sag mal, könnten seine geschäftlichen Sorgen Ursache für die Erkrankung sein?«

      »Nein. Eher zu wenig Bewegung, zu viele Zigaretten, seine Vorliebe für Schweinshaxen und seine nächtlichen Plünderungen des Eisschranks.«

      »Wenn er also seine Gewohnheiten ändern würde ...«

      »Das wird er müssen. So oder so. Ich bin sicher, daß ihm die Ärzte das einhämmern werden.« Sie stand auf. »Aber jetzt möchte ich doch versuchen, mich wenigstens ein halbes Stündchen auszuruhen.«

      »Du willst doch nicht etwa heute nacht wieder ins Krankenhaus?«

      »Doch, Vater.«

      »Sehr unvernünftig. Du brauchst jetzt deine Kräfte.«

      »Vielleicht werde ich sie bald noch mehr brauchen. Sieh mich doch, bitte, nicht so mißbilligend an!«

      »Nur besorgt.«

      Beate nahm ihr Glas vom Tisch. »Ich habe selber schon daran gedacht, den Knaben anzurufen, mit dem ich die Personalstelle als Nachtwache teile. Aber das würde nur ein unnötiges Durcheinander geben, und nachholen müßte ich die Arbeit doch. Also lassen wir es lieber so, wie es ist.«

      »Es ist mir unbegreiflich, wie du mit so wenig Schlaf auskommen kannst.«

      »Man gewöhnt sich, Vater. Außerdem sind es ja nur sieben Nächte im Monat.«

      »Meiner Ansicht nach sieben zu viel!«

      »Wir brauchen das Geld, außerdem nützen mir die praktischen Erfahrungen im Krankenhaus bei meinem Studium. Durch sie bin ich meinen Kommilitonen gegenüber im Vorteil.«

      Der alte Herr leerte sein Glas und reichte es ihr, ebenso das mit Rotwein durchtränkte Papiertaschentuch. »Eine seltsame Art von Vergnügungssucht.«

      Sie lächelte ihm liebevoll zu, bevor sie das Zimmer verließ.

      Weder Beate noch Frank Werder besaßen ein Auto, und sie brauchten auch keines. Die schmale, geschäftige, leicht schäbige Türkenstraße verläuft parallel zu der prachtvollen Ludwigstraße. Von Werders Wohnung war es nur noch zwei Blocks weit bis zur U-Bahnstation an der Ludwig-Maximilian-Universität. Von dort aus pflegte Beate abends bis zum Platz Münchner Freiheit zu fahren. Die »Private Klinik Dr. Scheuringer«, in der sie als Nachtwache angestellt war, lag nur wenige Schritte weit entfernt.

      An diesem Nachmittag fuhr sie mit dem Köfferchen, das sie für Frank gepackt hatte, in die entgegengesetzte Richtung zum Marienplatz und stieg dort in eine andere Bahn um, die sie zum Goetheplatz brachte. Unterwegs gelang es ihr, ein bißchen vor sich hinzudösen. Darin hatte sie Übung. Sie hatte die Fähigkeit abzuschalten, wann immer sich eine Gelegenheit ergab, und dadurch den Mangel an nächtlichem Schlaf auszugleichen. Trotzdem war sie froh, als die Rolltreppe sie aus der Unterwelt wieder ans Tageslicht brachte. Es war Anfang Juni, aber, obwohl die Sonne schien, noch viel zu kalt für die Jahreszeit. Nach einem hoffnungslos verregneten Frühling ließ der Sommer immer noch auf sich warten.

      Beate dachte darüber nach, wie sich das auf Franks Geschäft auswirken würde. Sie überlegte, wie schlecht es um seine Finanzlage stehen mußte und ob es einen Sinn hatte, wenn er einfach so weitermachte. Sicher waren seine Sorgen, wie sie schon ihrem Schwiegervater gesagt hatte, nicht die Ursache seiner Erkrankung, aber sie konnten womöglich dazu beitragen, sein geschwächtes Herz noch mehr zu strapazieren. Aber das waren Überlegungen, mit denen sie Frank jetzt nicht kommen durfte. Der Zeitpunkt, darüber eine Entscheidung zu treffen, war noch zu früh. Erst mußte sich herausstellen, wie krank er wirklich war.

      Während all dieser Überlegungen ging Beate rasch, mit weit ausholenden elastischen Schritten dahin. Der weite, weiße Leinenrock schwang um ihre schlanken Beine, das rotblonde Haar, das sie in einer Ponyfrisur trug, wehte ihr aus der Stirn. Es war ihr nicht bewußt, daß sie immer wieder interessierte Blicke auf sich zog. Niemandem, der ihr auf der belebten Straße der Innenstadt entgegen kam, wäre es eingefallen, daß sie Sorgen haben könnte. Sie wirkte ernst, ja, gefaßt, aber durchaus nicht kummervoll. Mit ihrer gesunden Gesichtsfarbe, den vereinzelten kecken Sommersprossen, der geraden, kräftigen Nase und dem festen entschlossenen Mund wirkte sie wie das blühende Leben.

      Auf der Höhe des Sendlinger Tors bog sie rechts von der Lindwurmstraße ab, und dann stand sie auch schon vor der »Internen Ambulanz der Medizinischen Klinik«, einem mächtigen alten Gebäude mit renovierter Fassade. Da sie selber Medizinerin war, empfand sie nicht die Beklommenheit, die Laien gemeinhin beim Eintritt in ein Krankenhaus überfällt. Präzise stellte sie dem Pförtner ihre Fragen, fand sich rasch zurecht, eilte die breiten Treppen hinauf und einen der hohen Gänge entlang.

      Frank lag in einem Vierbettzimmer, gleich neben der Tür. Seine Augen leuchteten auf, als er sie sah. »Na, endlich!« sagte er. »Ich habe schon so auf dich gewartet!«

      »Es ging nicht eher!« Sie begrüßte die anderen Patienten mit einem Lächeln und gab ihm dann einen raschen Kuß. »Du siehst prima aus«, stellte sie fest.

      »Ich fühle mich auch ganz okay. Sag mal, wäre es nicht das gescheiteste, wenn ich gleich mit dir nach Hause käme?«

      »Nichts da! Wie ich den Verein kenne, wirst du erst morgen untersucht, habe ich recht?«

      Er nickte. »Hast du mir wenigstens einen Morgenrock mitgebracht? Im Bett brauche ich ja nun wirklich nicht zu liegen.«

      Sie öffnete den Koffer und gab ihm seinen Morgenmantel, ein höchst elegantes Stück aus roter Seide. Er stand auf und hatte es eilig hineinzuschlüpfen, denn er kam sich in dem hinten offenen Klinikhemd einigermaßen komisch vor. Beate stellte ihm die Hausschuhe vor die Füße.

      »Wo ist dein Spind?«

      »Der außen rechts.«

      Beate ordnete Unterwäsche, Strümpfe, Taschentücher und was sie ihm sonst noch mitgebracht hatte, hinein. Das Jackett, das er am Morgen getragen hatte, hing untadelig korrekt über dem Bügel, auch die Hose war so ordentlich wie nur möglich über die Querstange gelegt. Frank liebte schöne Dinge nicht nur, sondern er ging auch sorgsam und liebevoll mit ihnen um.

      Gemeinsam traten sie auf den Gang hinaus.

      Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, fragte er: »Hast du eine Zigarette für mich?«

      »Darfst du denn rauchen?«

      »Drinnen nicht, aber ...«

      »Frank, das habe ich nicht gemeint. Ich habe an dein Herz gedacht.«

      »Ach was. Das bißchen Nikotin wird es schon noch vertragen.«

      »Hat der Professor nicht gesagt, daß es schädlich für dich ist?«

      »Keinen Ton.«

      »Dann kommt das noch, darauf kannst du dich verlassen. Das klügste ist, du fängst gleich damit an, es dir abzugewöhnen. Hier in der Klinik hast du dazu die beste Gelegenheit.« Um ihn abzulenken, fragte sie: »Hat sich Professor Meyser überhaupt selber um dich gekümmert?«

      »Doch. Er hat ein paar Worte mit mir gesprochen, mich nach meinen Lebensgewohnheiten gefragt und so. Aber abgehorcht und den Blutdruck gemessen hat ein jüngerer Arzt.«

      »Das ist so üblich.«

      »Wie lange, meinst du, daß ich bleiben muß?«

      »Ich nehme an, daß du spätestens morgen nachmittag nach Hause kannst.«

      »So


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