Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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jemals bemerkt, daß ich gern fabulire?«

      »Allerdings nicht. Sie sind mir im Gegentheil stets als realistisch, ja sogar als materiell oder substantiell vorgekommen. Aber heut will es mir scheinen, daß auch Sie es mit jenem berühmten Unbekannten zu thun haben, welcher in Untersuchungssachen eine so große Rolle zu spielen pflegt.«

      »Sie wären zu dieser Vermuthung nur dann berechtigt, wenn mir Derjenige, von welchem ich behaupte, daß er nach mir beim Baron gewesen sei, nicht bekannt gewesen wäre. Ich habe ihn aber so genau recognoszirt, daß er der Strafe unmöglich entgehen kann. Ich weise nach, daß er der Mörder ist.«

      »Donnerwetter!« rief er, sich von seinem Sitze erhebend. »Sie scheinen an jenem Abende ja ganz bedeutend spionirt zu haben!«

      »Ich gebe das zu, füge aber die Bemerkung bei, daß ich Ursache dazu hatte. Ich war von einem Herrn, welcher vorgab, mich zu lieben, in den Garten bestellt worden. Er nahm diese Bestellung zurück. Dies erregte mein Mißtrauen und darum beobachtete ich ihn.«

      Es begann ihm vor den Augen zu flimmern.

      »Meinen Sie etwa mich?« fragte er. »Ich entsinne mich, an jenem Abende mit Ihnen ein Rendez-vous für Mitternacht verabredet zu haben.«

      »Ja, Sie sind es, welchen ich meine!«

      »Sie irren! Sie haben einen Anderen für mich gehalten!«

      »O nein!« lächelte sie. »Liebende pflegen einander genau zu erkennen. Ich ahnte allerdings nicht, was geschehen war; aber ich wollte gern wissen, was Sie zu so später Stunde noch bei dem Barone zu thun gehabt hatten. Darum wollte ich mich unter irgend einem plausiblen Vorwand zu diesem begeben, bemerkte aber, daß Sie den Schlüssel abgezogen hatten. Er fand sich in der Tasche Brandt's. Sie haben im Walde Gelegenheit gefunden, ihn da hinein zu eskamotiren.«

      »Weib! Mädchen!« rief er. »Was fällt Ihnen ein! Sie wollen sagen, daß ich der Mörder bin?«

      »Ja,« antwortete sie ruhig und bestimmt.

      »Sie sind nicht bei Sinnen! Sie leiden an Halluzination!«

      »Ich habe diese Krankheit niemals gekannt. Sie wissen, daß neben den Anderen auch wir Beide, Sie und ich, in der Residenz zu erscheinen haben, um während der Verhandlung gegen Brandt als Zeuge zu dienen. Ich habe aus Rücksicht für Sie bisher gezögert; nun aber werde ich endlich die Wahrheit sagen müssen.«

      »Warum haben Sie bisher geschwiegen?« fragte er beinahe höhnisch. »Man wird Ihnen nun nicht glauben!«

      »Vielleicht doch. Ich hatte zwei sehr triftige Gründe, zu schweigen. Ihnen kann ich sagen, daß ich aus Rache gegen Brandt schwieg, da er die eigentliche Ursache vom Tode meines Bruders ist, und aus Liebe zu Ihnen, den ich nicht unglücklich machen wollte. Den Richtern aber werde ich sagen, daß mir die Verantwortlichkeit, welche ich auf mich zu laden habe, anfänglich zu schwer erschienen sei. Es handelt sich jedenfalls um ein Todesurtheil. Ich glaubte, daß man den Schuldigen auch ohne mich entdecken werde. Nun aber, da ich sehe, daß ein Unschuldiger verurtheilt werden soll, muß eine jede falsche Bedenklichkeit schwinden. Sie sehen ein, daß meine Aussage eine außerordentliche Wirkung hervorbringen wird.«

      »Sie wird aber doch eine falsche sein!«

      »O nein! Ich habe ganz genau erkannt und kann tausend Eide schwören, daß Sie es waren. Brandt behauptet, nicht geschossen zu haben, und Sie befanden sich unbemerkt in seiner unmittelbaren Nähe. Man wird diese Aussage mit der meinigen vergleichen; man wird weiter schließen und forschen; man wird zu Ergebnissen kommen. Mit einem Worte: man wird Sie an Brandt's Stelle in die Untersuchungszelle sperren.«

      Er mußte einsehen, daß die Perspektive, welche sie ihm hier stellte, eine große Wahrscheinlichkeit für sich habe; er starrte ihr eine ganze Weile lang wortlos in das Gesicht, wendete sich dann rasch ab, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und sagte endlich, vor ihr stehenbleibend:

      »Wissen Sie, daß Sie ein Ungeheuer sind?«

      »Ah! Wer ist ungeheuerlicher und abscheulicher, der Mörder oder die Zeugin, welche ihn seiner That überführt?«

      »Aber ich bin ja gar nicht der Mörder!«

      Da erhob sie sich von ihrem Sitze, legte die Hand auf seine Schulter und fragte ihn, indem sie ihren Blick flammend in sein Auge bohrte:

      »Baron, wollen Sie, daß ich Sie verachte?«

      »Verachten? Wieso?«

      »Der Mord ist durch das Gesetz verboten; aber der Mörder ist doch ein muthiger Mann, vor dem eine Frau Respect haben muß, ja, für den sie sogar Sympathie empfinden kann. Wer aber seine That leugnet, und zwar vor einem Wesen, welches es herzlich gut mit ihm meint, der ist feig, der ist geradezu verächtlich.«

      Sie drehte sich stolz von ihm ab. Sie war in diesem Augenblicke sinnberückend schön. Sie stand am Fenster; er sah ihr zornig schönes Gesicht, ihren glänzenden Nacken, ihre vollen Schultern und Arme, ihren üppigen Busen, welcher sich lebhaft auf und nieder bewegte. Er war ein gott- und rücksichtsloser, ein sinnlicher Mensch; es riß ihn zu ihr hin; er ergriff ihre Hand und fragte:

      »Sie behaupten, daß Sie es herzlich gut mit mir meinen? Haben Sie da die Wahrheit gesagt, Ella?«

      Sie drehte sich rasch zu ihm herum, warf ihm die Arme um den Nacken, drückte ihn fest und mit mehr als Innigkeit an sich und antwortete:

      »Kannst Du daran zweifeln, Franz?«

      »Muß ich nicht zweifeln, da Du gegen mich als Anklägerin auftreten willst? Du willst mich also in den Tod treiben!«

      »Kann ich anders? Frage Dich selbst und gieb mir dann Antwort!«

      »Ich begreife Dich nicht! Meine Antwort kann doch nur so lauten, daß man Den, welchen man liebt, nicht in das Verderben stürzt.«

      »Willst Du nicht die Frage nach der Gegenliebe auch mit in Rechnung ziehen? Wenn ich schweige und ein Unschuldiger wird dadurch zum Tode verurtheilt, so bin ich seine Mörderin. Dieser Mord fällt so schwer auf das Gewissen, daß die Last nur durch das Glück, wieder geliebt zu werden, ausgeglichen wird.«

      »Du meinst, daß Du schweigen würdest, wenn Du meiner Gegenliebe sicher wärst?«

      »Ja, das will ich damit sagen.«

      »So kenne ich keinen Grund, an meiner Liebe zu zweifeln!«

      »Du selbst hast ihn mir vorhin an die Hand gegeben, als ich davon sprach, daß nur die privilegirte Liebe ein wirkliches Glück gewähren kann. Um einen Mord verschweigen zu können, muß ich nicht die Geliebte, sondern die Frau des Mörders sein!«

      Da wand er sich aus ihrer Umarmung los und sagte:

      »Das soll heißen, Du wirst mich denunziren, wenn ich Dir nicht gestatte, Baronin von Helfenstein zu sein?«

      »Genau so!«

      »Das ist zuviel verlangt! Das kann ich unmöglich gewähren. Der Stammbaum der Helfenstein darf nicht durch eine Mesalliance be– be– be–«

      »Besudelt werden!« fiel sie ein. »Gut, Herr Baron! Wir sind also miteinander fertig, und es wird sich zeigen, wodurch ein Stammbaum mehr befleckt wird, durch eine Ehe oder einen Mord. Sie hatten die Wahl zwischen mir und dem Schafotte; Sie haben gewählt, und ich kann gehen.«

      Sie warf mit einer entschlossenen Miene den Kopf zurück, griff zu ihrem Umhang, den sie um die Schultern nahm und entfernte sich.

      Er ließ sie bis zum Hausflur kommen, dann aber übermannte ihn die Angst. Er wußte, wie resolut sie war, und fühlte sich überzeugt, daß das Bewußtsein, von ihm verschmäht zu sein, sie zur rücksichtslosesten Rache antreiben werde. Er eilte ihr nach, ergriff sie beim Arme und sagte:

      »Bitte Ella, nicht so rasch entscheiden! Treten Sie wieder ein! Wir können ja sehr leicht ein Uebereinkommen treffen, welches Sie vollständig befriedigen wird.«

      Sie schüttelte sehr ernst den Kopf und antwortete:

      »Es giebt nur ein einziges solches


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