Nanna - Eine kluge Jungfrau. Lis Vibeke Kristensen

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Nanna - Eine kluge Jungfrau - Lis Vibeke Kristensen


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klingt atemlos. »Sie hat einen Geschäftsmann geheiratet.«

      »Aber es war Yann, ihn wollte sie haben?«

      »Er wollte sie nicht haben.«

      Benoît hat die Hände in die Taschen seiner Lederjacke geschoben, zieht die Schultern bis zu den Ohren hoch, um sich gegen den Abendwind zu schützen, und ist offensichtlich eifrig bemüht, das Thema zu beenden.

      Yves hat den Hund eingefangen, trägt das zappelnde, bellende Tier über das Gras, legt dessen Leine in die Hand des dunkelhaarigen Mädchens, sie streichelt das Tier, schimpft mit ihm, ihre Stimme ist schneidend, die Worte fallen wie Peitschenhiebe.

      »Wen wollte er dann haben?«

      Sie sollte es nicht tun, sie sollte Benoîts Loyalität nicht auf eine so harte Probe stellen, aber sie kann es einfach nicht lassen.

      »Er hat von Yseut geträumt«, sagt er, und sein sommersprossiges Gesicht erstrahlt in einem Lächeln. »La femme soleil

      »Komm.«

      Am Fuße des Abhangs hat sich das Elsternpaar in den Baum zurückgezogen, ihre heiseren Schreie zerteilen die Luft über den Blumenständen, die sich gegen den gräulichen Himmel recken.

      Das Mädchen und Benoît tauschen Wangenküsse aus. Nanna bleibt ein paar Schritte entfernt stehen, sie kann den Blick des Mädchens spüren, den diese ihr unter ihren dunklen Augenwimpern hervor zuwirft, er ist prüfend.

      »Bonjour, Mademoiselle.«

      Eine vorgestreckte Hand in einem weißen Handschuh, sie nimmt sie, murmelt ihren Namen.

      »Enchantée.«

      Yann hat sich in die Hocke gesetzt, reibt die zotteligen Ohren des wild mit dem Schwanz wedelnden Hundes mit beiden Händen.

      »Dein Hund hat Flöhe, Martine«, sagt er und versucht, die gedrückte Stimmung wegzuscherzen.

      Das dunkelhaarige Mädchen sieht ihn mit stummer Verachtung an.

      »Du siehst aus, als solltest du bald die Taufmandeln bestellen.«

      Benoît mischt sich ein, atemlos vor Eifer.

      »Seit wann bist du denn ein Experte für Schwangerschaften geworden?« Das Mädchen schlägt scherzhaft mit der Hundeleine nach ihm, jetzt besänftigt. »Aber es stimmt, das Kind sollte schon vor einer Woche kommen, morgen fahren wir nach Quintin, zum Gürtel der heiligen Jungfrau. Kennen Sie den, Mademoiselle?« Sie wendet sich Nanna zu mit Augen, die boshaft unter dem dunklen Haarflügel funkeln. »Yann kann Ihnen davon erzählen, wenn es aktuell sein sollte.«

      Nanna kann ihren Blick nicht von ihr wenden, von dem toten, metallischen Licht um sie herum, einem mondhaften Schimmer, der alle anzieht, unwiderstehlich. Yves hat sich seitlich abgewandt, wie um sich zu schützen, Benoît scharrt unruhig mit dem Fuß im Kies des Wegs.

      Yann hat sich gefangen, aber seine Augen flackern, auf frischer Tat ertappt.

      Nanna holt tief Luft, sucht nach einer Antwort. Da fühlt sie Yanns Arm auf ihrer Schulter.

      »Mémé wartet auf uns.«

      Er streckt dem Mädchen die Hand entgegen. Einen Augenblick lang zögert sie, dann ergreift sie die ihr hingestreckte Hand, streift die Fingerspitzen mit ihren Lippen.

      »Bonne chance, mon petit.«

      Die Stimme schlägt zu wie eine Peitsche.

      Der Schrei der Elstern folgt ihr und dem tänzelnden Welpen, bis beide hinter der Kirchenmauer verschwunden sind.

      Schmale, perlmuttfarbene Wolkenfahnen gleiten langsam über den weißgrauen Himmel, als sie nach Westen fahren. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, und die Kieferngruppen stehen wie tintenfarbene Schatten in der bleichen Dämmerung, krumm gebeugt wie ein geschlagenes Heer.

      Nanna richtet ihren Blick auf das helle Band des Wegs, bohrt ihr Kinn in ihr Halstuch. Weder Yann noch sie haben sich getraut, das dumpfe Schweigen zu brechen, in das sie das Treffen mit dem dunkelhaarigen Mädchen hat fallen lassen, während der ganzen Autofahrt nicht.

      Noch ein Kilometer. Die Umrisse der ersten Häuser der Stadt tauchen bereits in der Ferne auf.

      »Merde!«

      Das wütende Bellen eines Hundes. Yann reißt den Wagen zur Seite, kann nur mit Mühe und Not einen Zusammenstoß verhindern. Der Wagen schlingert, hüpft ein paar Meter über den unebenen Seitenstreifen, bevor sie wieder den Asphalt unter den Rädern spüren.

      »Kannst du meine Zigaretten finden?«

      Im Licht der kleinen Flamme des Streichholzes sieht sein Gesicht verletzlich aus. Sie legt die Zigarettenpackung zurück auf die Konsole, unterdrückt ihren Impuls, ihm über die Wange zu streichen.

      Yann holt tief Luft.

      »Ich habe keine Lust, dir das zu erklären.«

      »Ich brauche keine Erklärungen.«

      Sie weiß bereits alles, was sie wissen muß, weicht zurück vor den Details, die ihre Unsicherheit nur steigern würden.

      »Martine kriegt immer alles, was sie haben will. Mich auch. Einmal. Aber nicht öfter.«

      »Ich habe gesagt, ich brauche keine Erklärungen.«

      »Aber ich muß dir das sagen.« Er ist mit der Geschwindigkeit heruntergegangen, fährt mit beiden Händen auf dem Lenkrad, der Zigarettenrauch zwingt ihn, die Augen zusammenzukneifen. »Martine macht den Leuten angst.«

      Er denkt eine Weile nach, dann sagt er:

      »Hier draußen glauben wir an alles mögliche.«

      »Was meinst du mit alles mögliche?«

      »Wenn ich sagen würde, daß Martine die Fee Morgane ist, würdest du das nicht verstehen.«

      »Muß ich das verstehen?«

      »Ich weiß nicht.«

      Der Wagen hält vor einem weißgestrichenen Gartenzaun. Gelbes Licht aus kleinen Fensterscheiben trifft auf das kurze Gras um das Haus, die Kieselsteine knirschen unter ihren Füßen.

      »Mémé!«

      Yann umarmt die alte Dame so stürmisch, daß die weiße Spitzentracht auf ihrem Kopf bedrohlich schwankt, die Wangenküsse schnalzen. Sie ist noch kleiner als auf dem Foto, und der grotesk dimensionierte Kopfschmuck aus gestärkter Spitze verleiht ihr ein sonderbar puppenhaftes Aussehen. Das feine Faltennetz ihrer Haut erinnert an die Schale einer Melone.

      Nanna bleibt in der Küchentür stehen. Sie atmet die Atmosphäre in dem Raum ein, die Wärme von dem heißen Herd, die Kupfertöpfe, die matt auf dem Regal glänzen, die abgenutzten irdenen Schüsseln, das dunkle Holz des Tisches.

      Eine dicke, weiße Katze springt vom Fensterbrett hinunter, bleibt vor ihr stehen. Ihre Augen sind rund, eins braun, eins blau, das Fell ist auf dem Rücken schon dünn geworden, wie von allzu vielen Händen. Nanna beugt sich hinunter, um sie zu streicheln, aber die Katze schreitet nur erhaben an ihr vorbei, auf lautlosen Pfoten, eine ältere Herzogin.

      Eine vorgestreckte Hand, in den halb geschlossenen Augen unter dem weißen Haar funkelt es neugierig.

      »Und wie heißt die junge Dame?«

      »Das ist Nanna, Mémé.« Yann mischt sich ein, bevor sie antworten kann. »Ich möchte, daß du sie kennenlernst.«

      »Das ist also die Nanna, die dich an deinem Geburtstag in Paris festgehalten hat?«

      Ein kleiner kühler Seitenhieb, trotz des freundlichen Lächelns.

      Martine bildet nur das kleinste der Hindernisse, die sie von Yann trennen. Diese Erkenntnis läßt ihre Wangen glühen. Wenn sie nicht bereit ist, den Kampf mit dieser Dornenhecke aus starken Frauen aufzunehmen, die ihn umgeben, dann kann sie lieber gleich umkehren und vergessen, daß sie ihn jemals kennengelernt hat.


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