Nanna - Eine kluge Jungfrau. Lis Vibeke Kristensen

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Nanna - Eine kluge Jungfrau - Lis Vibeke Kristensen


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Häuser mit eigenartigen Schornsteingiebeln, Bäume mit runden grünen Gewächsen daran, zerfranste Riesenbälle.

      Yanns Mutter zieht an der Revolverschaltung, die einer primitiven Handwaffe ähnelt, und der Motor heult unheilschwanger auf. Es klingt, als könnten die losen Teile des Wagens jeden Moment aus ihren Verankerungen aus Schrauben und Muttern herausfliegen. Die Fahrt, verbunden mit dem überwältigenden Gefühl, an einer Prüfung teilzunehmen, deren Inhalt sie nicht kennt, bereitet Nanna Bauchschmerzen.

      »Nicht wahr, Nanna?«

      Yann dreht sich halb zu ihr um, sieht sie auffordernd an.

      »Doch«, sagt sie auf gut Glück, »ich denke schon.«

      Yann runzelt die Stirn.

      »Hörst du nicht zu?« fragt er. Sie spürt, daß auch er angespannt ist, will, daß sie richtig antwortet, ihm zuliebe. »Mutter fragt, ob du bei einer Familie arbeitest.«

      Die leichte Spur von Schärfe in seiner Stimme bringt Nanna dazu, sich aufzurichten.

      »Entschuldigung«, sagt sie und rutscht auf die Vorderkante des ausgesessenen Rücksitzes, eifrig bemüht, ihr Bestes zu geben.

      »Doch, ja, das tue ich.«

      Der Blick der Augen, graublau wie Yanns, der ihr im Rückspiegel begegnet, ist weder freundlich noch feindlich. Ein diskret gemalter Strich markiert den Rand der Augenlider, die Brauen sind gebogen, sie sehen gezupft aus. Ein ebenso diskreter Strich verlängert sie um eine Spur, hin zu den hellen Haaren der Schläfen, die in einer strengen Frisur nach hinten gekämmt sind. Die Stirn zeigt Yanns Sorgenfalte, aber das Gesicht ist schmaler als seins, die Nase lang und fein.

      Nanna beugt sich vor, bereit für neue Fragen. Aber die Mutter hat sie bereits aus dem Blick entlassen und nimmt das unterbrochene Gespräch mit ihrem Sohn wieder auf, Nanna existiert nicht mehr.

      Nanna hat sich vor dem Besuch bei dieser Frau lange Zeit gefürchtet. Jetzt ist sie mittendrin.

      Sie lehnt sich wieder auf dem unbequemen Sitz zurück, zupft an ihrem hellgrauen Flanellrock, der ihr über die Knie hochgerutscht ist. Ihre Kleidung ist unauffällig, die meerblaue Cardiganjacke und die kleinen Perlenohrringe, ein Geschenk ihres Vaters, sind so klassisch, daß sie überall dazupassen. So sehr sie auch die Tricks und raffinierten modischen Details der Pariser Mädchen studiert hat, kehrt sie doch immer wieder zu dem sicheren, klassischen Look zurück, den sie von zu Hause mitgebracht hat. Chic ist sie nicht.

      Sie hat Yann mit Fragen über Kleidung und Gewohnheiten gelöchert, jedes seiner Worte auf der Goldwaage ihrer Ängste abgewogen. Alles an ihr wird begutachtet werden, darüber war sie sich nur zu klar, begutachtet, bewertet und kommentiert von allen, die sie in den kommenden Tagen kennenlernen wird. Der Gedanke verschlägt ihr den Atem.

      Die Landschaft vor den Autofenstern verändert sich. Die Bäume werden immer spärlicher und kleiner, biegen sich leicht Richtung Osten. Die hellgrünen Felder werden abgelöst von ebenen Wiesen mit kurzem, trockenem Gras, blaßgrau wie Zementstaub in dem scharfen Licht. Der Wolkenberg vor ihnen ist aufgerissen, er läßt schräge Sonnenstrahlen hindurch, wie ein starker Projektor. Ein Vogelschwarm flattert davon, zerschnittene Silhouetten in dem starken Wind.

      Durch die Windschutzscheibe entdeckt Nanna etwas, das zunächst aussieht wie eine Schneewehe im Frühling, Weiß unter Grau. Die Wehe wird zu einer kleinen Stadt, deren weiße Häuser unter den dunklen Schieferdächern strahlend frisch gekalkt sind.

      Ein Aufblitzen von Quecksilber zwischen zwei Reihen niedriger Häuser, und Nanna kann ein Gefühl von Wasser und Licht erhaschen, das in einem blendenden Brennpunkt irgendwo hinten am Horizont zusammentrifft.

      Yann hat seine Hand auf die seiner Mutter auf dem runden Knauf der Schaltung gelegt.

      »Es kommt rein.«

      Sein Ton ist sonderbar feierlich, seine Augen glänzen, als er Nanna sein Gesicht zuwendet.

      »Willkommen am Meer«, sagt er.

      Das Auto hat vor einem massiven, weißgekalkten Gebäude mit drei Stockwerken angehalten, dem einzigen höheren Haus hier, das Nanna in der Reihe der niedrigen, aneinandergebauten Häuser sehen kann.

      Auf der Mauer über dem Eingangsbereich ist der Name mit schwarzen Buchstaben aufgemalt. Hôtel du Port, Hafenhotel. Und ganz richtig liegt der Hafen auch nur wenige Meter entfernt hinter einem mit Steinplatten belegten Fußweg und einer niedrigen Mauer.

      »Hol mal tief Luft.«

      Yann steht bereits hinter dem Auto mit Nannas kleinem, weißem Koffer und seiner eigenen Tasche in den Händen und dreht das Gesicht dem feuchten Wind entgegen.

      Gehorsam atmet sie die salzige Luft tief ein, gerät für einen Moment außer Atem. Es ist etwas von Yanns Duft in der Luft, am liebsten würde sie jetzt einfach nur seine Hand nehmen und ihr Gesicht an seinem Hals verstecken, traut sich das aber unter den Blicken der Mutter nicht. Später, wenn sie allein sein werden, will sie ihm erzählen, daß er es ist, den sie in diesem Duft liebt. Daß sie das Meer durch ihn lieben will. Jetzt begnügt sie sich damit, eifrig zu nicken und höflich der Mutter zuzulächeln, die bereits mit der Hand auf der Türklinke wartend vor dem Haus steht.

      »Salut, les gars!«

      Die Taschen landen hart auf den Steinen. Ein paar junge Männer sind hinter einem weißgekalkten Geräteschuppen an einer Seite der Mole aufgetaucht. Yann läuft in vollem Galopp auf sie zu, umarmt sie, läßt sich unter Jubelgeschrei in den Rücken boxen, mit einemmal übermütig, ein kleiner Junge.

      Nanna dreht sich ratlos um.

      »Laß uns reingehen.« Die Mutter zuckt mit den Schultern. »Das kann eine Weile dauern.«

      Nanna schaut die Gruppe an, die vor Wiedersehensfreude überschäumt.

      »Wer sind sie?« fragt sie vorsichtig.

      »Die Ritter.« Mutters Nase verzieht sich ein wenig, das könnte ein Lächeln sein.

      »Die Ritter?«

      Hinten am Schuppen tanzen Yann und die beiden anderen wie Hundewelpen umeinander. Der eine ist eine dunkelhaarige Ausgabe von Yann, groß und kantig, der andere ist nicht einmal so groß wie sie selbst, aber viel breiter, sein Haar ist unter einer blauen Mütze versteckt, eine Nickelbrille blinkt im Licht.

      »Yanns Freunde.«

      Die Mutter ergreift das Gepäck, ignoriert Nannas Versuch, den eigenen Koffer zu nehmen, schiebt die Tür mit dem Ellbogen auf.

      Nanna folgt ihr zögernd. Das blaugrüne Wollkostüm sitzt perfekt auf dem jugendlichen Körper, sie ist kleiner als Nanna und ebenso zart. Die Beine in den schwarzen Pumps sind schlank, die Strümpfe golden. Die gutsitzende Hemdbluse ist in gelben Schattierungen gestreift, die Zusammenstellung ist frecher als alles, was Nanna sich jemals trauen würde, paßt aber perfekt zu dem blonden Haar der Mutter.

      Im Schein der Leuchtstoffröhre des kleinen Empfangs hat das Gesicht der Mutter etwas Durchscheinendes, die Schatten unter den Augen sind blau, verwelkte Veilchen. Die Müdigkeit, die Nanna unter der unerschütterlichen Tatkraft der älteren Frau erahnt, macht sie weniger angsteinflößend, dafür aber um so unnahbarer.

      Nanna fummelt mit tolpatschigen Fingern an dem Verschluß ihrer blauen Tasche. In der Tasche liegt eine kleine Schachtel mit teurer Schokolade, eigentlich viel zu exklusiv für ihr Portemonnaie. Aber sie wollte nicht mit leeren Händen kommen, hat Yann um Rat gefragt und ist danach von einem Spezialgeschäft in der Rue de Rivoli zum anderen gelaufen, um das Richtige zu finden. Aber jetzt ist sie sich nicht sicher, wann und wie sie die Schachtel überreichen soll, sie fühlt sich ohne Yann am falschen Ort und verlassen.

      Die Mutter hat bereits einen Schlüssel mit einem Metallschild von einem Schlüsselbrett hinter einem kleinen Tresen geholt.

      »Hier entlang«, sagt sie, ohne sich umzudrehen.

      Der rote Teppich auf der Treppe ist von vielen Füßen abgetreten, die schwarze Farbe an den Metallstreben des Geländers ist abgeblättert, das


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