Nanna - Eine kluge Jungfrau. Lis Vibeke Kristensen

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Nanna - Eine kluge Jungfrau - Lis Vibeke Kristensen


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Nachzüglern besetzt sind, die etwas zu lange bei Kaffee und Calvados hängenbleiben. Trotz ihrer Freude und der leichten Verlegenheit, diesmal Yann am Tisch gegenüberzusitzen und von dem sonst immer so geschäftsmäßigen Onkel wie ein Ehrengast behandelt zu werden, ist sie etwas unzufrieden, weil sie keine Gelegenheit hatte, sich ein Geschenk auszudenken, etwas Besonderes, von ihr für ihn.

      »Abgesehen von dir.«

      Nanna senkt den Blick, verfolgt mit dem Zeigefingernagel ein Muster im Gewebe der Tischdecke. Yanns Bewunderung macht sie verlegen, sie kann kaum glauben, daß sie nichts machen muß oder sich nicht in einer ganz bestimmten Art und Weise verhalten muß, um gemocht zu werden. Einfach sie sein kann. Nanna sein darf.

      »Würde deine Mutter nicht gern mit dir feiern?« fragt sie ablenkend.

      »Sie findet kaum jemanden, der sich um alles kümmern kann.« Yann schiebt die Frage mit einer Handbewegung weg. »Wahrscheinlich hat sie geglaubt, ich komme nach Hause.«

      »Aber sie wird doch hoffentlich nicht böse auf dich sein?« fragt sie und fügt zögernd hinzu: »Oder auf mich?«

      Yann hat eine der flachen Austernschalen genommen, schabt eifrig mit einer kurzen Gabel den Haltemuskel des Tiers los. »Komm«, sagt er und lockt sie zu sich heran. »Mach den Mund auf.«

      Die Auster schmeckt nach Nüssen und Salzwasser, sie kaut das feste, weiche Fleisch und schließt die Augen, es ist fast etwas Peinliches an diesem intensiven Genuß.

      »Nun?«

      »Das schmeckt wie saubere Bettlaken«, sagt sie und spürt, wie ihr die Röte in die Wangen steigt.

      Yann lacht.

      »Wie unter einer Brücke hindurchzutauchen«, sagt er.

      »Wie schwimmen im Dunkeln«, erklärt Nanna keck und muß plötzlich lachen, erleichtert. Yann schafft es immer wieder, Seiten bei ihr zu finden, von deren Existenz sie selbst kaum wußte.

      Ihr französischer Wortschatz wächst in seiner Gesellschaft, bekommt einen Einschlag hin zum Jargon und zur Jugendsprache, mit komischen Abkürzungen und absurden Vergleichen, aber auch mit einer Poesie, von der sie nicht weiß, woher sie eigentlich stammt, etwas Buntes, Flüchtiges, das ihr einen fast körperlichen Genuß bereitet.

      »Ein Glas Muscadet, liebes Fräulein, zu Ihren Austern?« Yann hat die grüne Flasche aus dem Kühler gehoben. »Wir haben einen ausgezeichneten Jahrgang hier, auf Hefe gegoren, wissen Sie?«

      Yann streicht sich einen imaginären Schnurrbart mit dem Daumen glatt, ahmt die Art seines Onkels formvollendet nach, und Nanna platzt vor Lachen heraus. Sie probiert den Wein wie ein verwöhnter Restaurantgast, läßt einen kleinen Schluck im Mund kreisen, spitzt die Lippen in französischer Manier.

      »Ist in Ordnung«, sagt sie mit einem überlegenen Schulterzucken, und beide lachen, greifen gleichzeitig nach einer Auster und wollen sich vor Lachen ausschütten.

      Yann fängt ihre Hand, seine Augen lächeln, als er ihre Finger mit einem verstohlenen Blick zum Onkel hin küßt.

      »So, und jetzt essen wir«, erklärt er und läßt sie los. »Wir fressen, bis wir platzen, und dann kommt das Dessert.«

      Nanna legt mit einem Seufzer ihren Löffel auf den Teller mit den Resten des Windbeutels und dem geschmolzenen Vanilleeis und wischt sich mit ihrer Serviette ein wenig Schokolade von der Oberlippe.

      »Keinen Happen mehr«, stöhnt sie.

      Der Gürtel ihres Kleids in Schottenkaro, dessen weißer Kragen sie wie ein Schulmädchen aussehen läßt, wird zu eng. Ihre Wangen glühen von dem Wein, aber sie ist eher satt als berauscht, schwindlig und selig von all dem köstlichen Essen und Trinken, dem Reden und Lachen, von Yanns verstohlenen Zärtlichkeiten auf ihrer Hand und Wange, den Leckerbissen, die er ihr auf den Teller geschoben hat und die sie unbedingt probieren mußte.

      Bevor sie nach Frankreich kam, wußte sie nicht, daß Essen ein Genuß sein kann. Die Kochkünste ihrer Stiefmutter waren geprägt von den Rezepten der Frauenzeitschriften, geprägt von deren angestrengten Erfindungen, Merkwürdigkeiten und Dekorationen.

      Jetzt kann sie zusehen, wie Yann an Gerichten schnuppert, probiert und kostet, Früchte vorsichtig drückt und ein Stück Brot prüfend kaut. Entweder ist das Essen gut, frisch und richtig zubereitet, oder man kann es gleich vergessen.

      Jede kostbare freie Stunde im letzten halben Jahr haben sie gemeinsam verbracht. Emsig wie die Eichhörnchen haben sie die Gaben aus dem Vorrat ihres Wissens, ihres Geschmacks und ihrer Interessen, an Kunst und Essen ausgetauscht, haben die Welt angehalten und sich gegenseitig beigebracht, sie mit neuen Augen zu sehen.

      Sich selbst einen neuen Blick geschenkt, die eigene Person zu sehen.

      Yann hat eine Gitane aus der blauen Schachtel angezündet, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück.

      »Und jetzt?« fragt er, aber bevor Nanna antworten kann, sieht sie, wie der Onkel Yann zu sich winkt.

      Sie folgt ihm mit den Augen, als er mit zähen Schritten den Raum durchquert. Seine gute Jacke ist zur Feier des Tages frisch gebügelt, das blonde Haar kringelt sich über dem blauen Stoff im Nacken. Eine Hand schließt sich irgendwo tief in ihrem Inneren, eine vorsichtige Hand, behütend, wie jemand, der einen verschreckten Vogel hält.

      Ich bin verliebt, denkt sie und spürt das Flattern weicher Flügel in ihrer Brust.

      Tausend feine Fäden umspinnen sie, haben sie umsponnen seit dem Tag auf den harten Fliesen des Metrobahnsteigs. Sie sind jetzt beide beschützt, in dem gleichen Kokon, beschützt von einem feinen Gewebe aus Gefühlen, aus Träumen. Keine Erklärungen, kein Wort bindet sie. Und dennoch fühlen beide das Schweigen zwischen sich wie eine zärtliche Vertraulichkeit, jeden Blick wie ein Versprechen. Wie das gekommen ist, weiß sie nicht, sie weiß nur, daß es so ist, wie es ist.

      Yann kommt zurück. Sie sieht bereits von weitem, daß etwas seine überschäumende Freude getrübt hat.

      »Ist etwas nicht in Ordnung?«

      Yann zuckt mit den Schultern.

      »Mutter«, sagt er. »Mein Onkel hat den Mund nicht halten können. Jetzt will sie wissen, was das für ein Mädchen ist, das mir wichtiger ist als sie.«

      »O nein.«

      Die klammen Hände eines Schuldgefühls ergreifen Nanna. Sie hat versucht sich diese Mutter vorzustellen, von der Yann normalerweise stets voller Respekt spricht, wie von einer Person, die die Hochachtung der Welt verdient, eine besondere, außergewöhnliche Person, aber ihre Phantasie hat sie sich nicht ausmalen können. Die französischen Frauen, die sie kennengelernt hat, Madame und ihre Freundinnen, sind alle aus dem gleichen festen, bunten Holz geschnitzt, laute gezähmte Vögel, immer bereit, ihre sorgsam geschminkten Lippen voller Verachtung zu schürzen, wenn ihnen etwas nicht paßt.

      Sie hat mit Yann darüber gesprochen, daß sie seine Mutter kennenlernen sollte, aber bisher nur in unverbindlichen Sätzen, eine Tür sollte immer einen Spalt offenbleiben, eine Fluchtmöglichkeit für beide, falls trotz allem etwas schiefgehen sollte.

      Und vielleicht ist genau das jetzt passiert.

      Yann sieht verkniffen aus, vielleicht ist die Sache damit entschieden, vielleicht ist das ihr letztes Treffen, sie bereitet sich bereits auf den Abschied vor, spürt schon die dumpfe Verzweiflung.

      Yann zerdrückt die Zigarettenkippe im Aschenbecher, schaut mit einer Art Wut auf seine Hand.

      »Willst du wissen, was ich geantwortet habe?«

      Seine Stimme klingt überraschend hart, und Nanna spürt seinen Blick, jetzt sieht er sie an, fordert eine Antwort.

      Sie nickt, ist kurz vorm Weinen.

      »Das ist meine Geliebte, habe ich gesagt.« Seine Stimme klingt rauh, er räuspert sich, die Worte wollen die Kehle nicht verlassen.

      Seine Hand liegt auf ihrer, drückt sie, daß es schmerzt. Dann läßt er sie los, sagt in seinem üblichen Tonfall:

      »Worauf


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