Nanna - Eine kluge Jungfrau. Lis Vibeke Kristensen

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Nanna - Eine kluge Jungfrau - Lis Vibeke Kristensen


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hier ist Benoît.« Yann hat sich auf einen der freien Stühle gesetzt, streckt den Arm aus. »Der bombarde-Virtuose, du kannst dich schon drauf freuen, ihn zu hören.«

      Sie läßt die kleine feste Hand los, läßt sich von Yann auf einen Stuhl ziehen.

      Yann ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, sie hat es bereits geahnt, jetzt wird es offensichtlich. Er gibt eine drastische Schilderung seines Alltags im Restaurant des Onkels zum besten, unterbricht sie nur, um etwas zu trinken zu bestellen, und seine Freunde geben ihm den Raum, amüsieren sich über seine Pointen.

      Die verschämte Neugier der anderen beiden liegt wie eine Spannung in der Luft, sie behandeln Nanna mit scheuem Respekt, ausgesucht höflich. Sie genießt es, einen Platz in dieser Freundschaft, deren tiefe Verwurzelung sie spürt, zugewiesen bekommen zu haben, sie fühlt die wohltuende Wärme des Arms auf ihrem Stuhlrücken, trinkt ihren Weißwein mit Grenadine in süßen, kühlenden kleinen Schlucken. Sie läßt sich in das verbale Menuett am Tisch hineinziehen, in die elegante Choreographie der französischen Sprache, in der jeder Schritt sicher und vorausschaubar erscheint.

      Plötzlich stolpert jemand, zerstört das tanzende Muster.

      Der Krieg.

      Jemand, sie hat nicht mitbekommen, wer, hat das Wort ausgesprochen. Das Gespräch schwankt einen Moment und hört dann abrupt auf, wie eine unterbrochene Schallplatte.

      »Die wollten mich wieder losschicken, aber ich bin noch mal davongekommen.« Schließlich unterbricht Yves das Schweigen. »Der Alte hat Probleme mit dem Herzen, und jemand muß sich ja ums Geschäft kümmern.«

      Sein kräftiger Körper beugt sich über den Tisch, er zieht eine Zigarette aus Yanns Packung, zündet sie an, stößt den Rauch aus.

      »Ich hätte es nicht machen können«, sagt er, und sein großes Gesicht verschließt sich, »nicht noch einmal.«

      Nanna schielt zu Yann, sie sieht, wie er einen Schluck trinkt, dann noch einen.

      »Ich kriege keinen Aufschub mehr«, sagt er, und sein Ton ist gezwungen leicht, fast fröhlich. »Man muß es wohl als ein Abenteuer ansehen.« Yves läßt den Bierschaum auf dem Grund seines Glases kreisen, immer wieder und wieder.

      »Mach nur«, sagt er, und es ist ein Hauch von Verachtung in seinem Ton. »Mach nur.«

      Der Krieg bestand für Nanna bisher nur aus Zeitungsüberschriften, Schlagwörtern, die an die Häuserwände gemalt waren, Fnl, Oas, Algérie Française. Sie hat auf Flugblättern vom Putschversuch der Generäle gelesen, vom Alarmzustand im Land, hat aber den Hintergrund nicht verstanden, und niemand hat versucht, ihn ihr zu erklären. Politik interessiert sie nicht. Daß der Krieg ihr Yann wegnehmen kann, ihn zu einem Soldaten in einem fernen Land machen kann, ihn Risiken aussetzt, das kann sie nicht fassen. Die Fragen bleiben ihr im Hals stecken, sie will alles wissen und gleichzeitig möglichst gar nichts.

      Yves ist aufgestanden, hat sich seinen Weg zwischen den braun gebeizten Tischen gebahnt, sein Rücken ist breit und schwer, abweisend wie eine Geldschranktür.

      Benoît rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum.

      »Es muß ja nicht so schlimm kommen.«

      Seine sanfte Stimme ist beruhigend, warme Milch, sie schaut ihn gierig an, will, daß er weiterredet, ihr die Unruhe nimmt, aber die wasserblauen Augen weichen ihr aus, suchen sich einen Punkt in der Nähe des Ausgangs.

      »Das ist es nicht«, sagt er, und sie kann an seinem Ton hören, daß das Gespräch beendet ist.

      Yann hat ihre Hand genommen, er hat jeden einzelnen Finger fest gedrückt, als wollte er die Haut von den Knochen reiben. Sie zieht sie vorsichtig zu sich und spürt gleichzeitig Yves’ mächtigen Körper hinter ihrem Stuhl. Sieht seine Hand auf Yanns Schulter, daß er ihn drückt. Dann setzt er sich, kippt die Hälfte des Inhalts seines neuen, beschlagenen Bierglases in einem Schluck hinunter.

      »Pélinore ist hier«, sagt er mit einem schiefen Grinsen, hebt den Daumen an den Mund und nickt nach hinten, in Richtung des abgewetzt aussehenden Mannes. »Er hat schon reichlich was gekippt.«

      Die drückende Stimmung ist weg. Die Spannung in Nannas Zwerchfell löst sich, sie atmet erleichtert auf. Sie haben eine Auszeit, so lange sie hier um den runden Tisch in dieser überfüllten Kneipe sitzen, der Lärm der Jukebox und das Sausen des Ventilators über ihren Köpfen beschützt sie gegen alles Böse.

      »Pélinore«, sagt sie. »Ist das nicht ein merkwürdiger Name?«

      Drei Gesichter wenden sich ihr zu.

      »Galaad«, Benoît zeigt mit dem Zeigefinger auf Yves.

      »Lancelot«, grinst Yves, seine schwere Faust hämmert dem jammernden Benoît auf den Oberarm.

      »Und wer bist du?«

      Nanna wendet sich Yann zu, sieht, daß er rot wird.

      »Natürlich Arthur.«

      Die anderen beiden johlen im Chor, eifrige Kinder, die hinter einem Ball herlaufen.

      »Werdet ihr deshalb die Ritter genannt?«

      »Bien sûr

      Drei Jungen, übermütig, schäumend vor Energie, sie kann sie vor sich sehen, zwölf Jahre alt, alle ihre Abenteuer haben sie von Pélinore erfahren, wie sie den geliebten Musiklehrer getauft haben, der ihnen beigebracht hat, die alten Instrumente zu spielen, sie gelehrt hat, die Tradition zu respektieren. Sie sind mit den Legenden aufgewachsen, sind in ihre Rollen hineingewachsen, am runden Tisch in Yanns Zimmer und später an diesem Tisch hier, sie haben sich Ritterlichkeit und gute Sitten beigebracht, haben kolossale Schlachten gegen fiktive Feinde geschlagen, gegen bösen Zauber und eindringende Mächte.

      »Gab es denn keine Mädchen dabei?« fragt sie, plötzlich neugierig geworden.

      Zwei Paar Augen richten sich auf Yann. Eine Sekunde lang ist es still am Tisch.

      »Von denen haben wir geträumt«, sagt er und legt seinen Arm um ihre Schultern.

      Der Himmel ist immer noch hell, als sie die Straße hinunter zum Parkplatz schlendern. Yann und Yves reißen sich von der Gruppe los, laufen um die Wette, als wollten sie ihre Zusammengehörigkeit bekräftigen und den letzten Rest der schlechten Stimmung wegrennen. Ihre Rufe hallen zwischen den Häusern wider, werden übertönt von dem Lärm eines Mopeds, das an ihnen vorbei den Hang hinunterknattert.

      Auf dem Rasen vor der massigen grauen Kirche führt eine junge Frau ein wuscheliges Hundebaby aus. Ihr Schwangerenbauch läßt den Mantel weit abstehen, das schwarze Haar bildet einen Flügel über ihrer Stirn. Ein Elsternpaar fliegt mit heiserem Schrei im Sturzflug auf den Hund. Nanna kann die sperrigen Zweige eines Nestes in einer der hohen Kastanien sehen.

      Yann ist vor dem Mädchen stehengeblieben, abrupt, als wäre er gegen eine Mauer gelaufen. Zwei Kombattanten, die überlegen, ob sie Schläge oder Küsse tauschen sollen. Keiner von beiden reagiert, als der Hund sich losreißt und bellend über den Rasen zum Fluß läuft, in dessen trägen Wirbeln sich das schwindende Licht spiegelt.

      Yves ist einen Schritt hinter Yann stehengeblieben, jetzt setzt er sich wieder in Bewegung. Das Mädchen ist aus ihrer Starre erwacht, sie dreht sich nach ihm um, ruft den Hund beim Namen. Yann aber ist stehengeblieben, wie festgefroren, ängstlich, einem Vakuum zu begegnen, wo er sich auch hinwenden mag.

      »Wer ist das?«

      Nanna fragt Benoît. Seine hellen Augen hinter der Brille vermeiden ihren Blick.

      »Morgane«, sagt er verlegen. »Die Fee Morgane.«

      »Ich kenne die Geschichten nicht.«

      Die Unsicherheit läßt sie kurz angebunden sein, aber sie bereut es sofort. Benoît ist kein starker Gegner, und sie möchte ihn auch lieber als Verbündeten gewinnen.

      »Die böse Kraft.«

      Ein Schacht hat sich in den Fußwegplatten vor ihren Füßen geöffnet, eisige Luft schlägt ihr


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