Du bist die Ruh!. Rudolf Stratz

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Du bist die Ruh! - Rudolf Stratz


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sprach, hatte sich die ein wenig gelockert. Ohne dass er es selbst merkte, war seine Stimme wärmer, sein sonst so kühler Blick weicher geworden. Man hatte wie in einen anderen Menschen hineingesehen. Aber jetzt, wo er sich wieder ganz auf den spöttischen Moskauer Weltmann hinausspielte, war das vorbei und ebenso die flüchtige Annäherung an sein Wesen, die sie dabei empfunden. Der kalte Egoismus seiner Weltauffassung stiess sie nun wieder ab und beunruhigte sie zugleich und reizte sie zum Widerspruch, als wollte sie etwas Unbestimmtes in sich übertäuben.

      „Wenn alle so dächten wie Sie, Herr Wieprecht!“ sagte sie weit heftiger, als es sonst ihre klare, heitere Art war. „Wenn jeder nur an sich dächte — dann würde es bald schön in der Welt ausschauen — kalt und leer ... wie in einem Grab. Da lob’ ich mir unsere alte einfältige Art, einander zu geben und zu nehmen. Und wenn man da zehnmal etwas von seinem armen bisschen Persönlichkeit verliert — man gewinnt dafür so vieles, was Sie gar nicht ahnen und wahrscheinlich auch gar nicht wissen wollen — weil Sie es verachten, ohne es zu kennen ...“

      Sie brach ab. Sie wusste nicht, wie sie fortfahren sollte, und ihre Wangen röteten sich von Unmut, von einer ihr selbst unerklärlichen Bitterkeit. Wieprecht sass ganz ruhig da, rauchte und sagte nach einer Weile trocken, fast beiläufig: „Das hat doch gar keinen Zweck, sich zu ereifern und darüber zu streiten, gnädige Frau! Wir haben uns ja nichts getan! Unsere Wege kreuzen sich ja nicht. Seien Sie froh, dass Sie so glücklich und zufrieden sind — denn das ist doch der Fall — nicht wahr? Nun also, gottlob! — und lassen Sie mich auf meine Weise selig werden ...“

      Das klang auch etwas schroffer als nötig war. Iwan Michels, der mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern über die Schwelle trat, hatte die letzten Worte gehört und lachte laut auf. „Sie und selig werden, Wieprecht!“ rief er vergnügt. „Na ... poloshim ... da hab’ ich meine Zweifel ... Sie seh’ ich schon mindestens im Fegfeuer! Sie haben schon zu viel Leute im Baumwollengeschäft hereingelegt — ohne mit der Wimper zu zucken, macht er das, Duschinka! Du solltest das nur einmal sehen — posluschaite, hören Sie ... versuchen Sie einmal diesen Kachetiner ...“

      „Warum nicht?“ Der andere liess sich den schweren kaukasischen Rotwein einschenken. Die beiden Männer tranken und rauchten. Aber es wollte kein rechtes Gespräch mehr in Gang kommen. Der Hausherr wagte nicht, noch einmal von dem seinem Gaste von sieben Uhr Abends ab verhassten Geschäft anzufangen und über etwas anderes zu reden wurde ihm schwer. Er hatte dann in Marjas Gegenwart immer Angst, irgend eine Lücke in seiner Bildung zu zeigen und dadurch auch sie in eine peinliche Lage zu versetzen — und nun gar vor Wieprecht, der, wie man wusste, in allen Dingen zu Hause war. Aber auch der war nun wortkarg geworden und ebenso erwiderte ihm Marja nur das Nötigste, damit die Unterhaltung nicht ganz einschlief. Dabei war es noch früh am Abend. Der Gast konnte doch noch nicht wohl gehen. Es standen noch ein paar leere Stunden in Aussicht.

      Eben wollte Iwan Michels, um die auszufüllen, eine Kartenpartie zu dritt vorschlagen, da sagte der andere mit einem Blick auf das in der Ecke stehende Klavier: „Sie sollten uns etwas vorspielen, gnädige Frau!“

      Sie lachte. „Sehen Sie nicht den Staub am Schlüssel?“

      „Den kann man doch wegblasen.“

      „Nein — ich meine — das ist ein Zeichen, wie lange ich nicht mehr gespielt und gesungen hab’! Gewiss ein Vierteljahr. Bei Tag komm’ ich nicht dazu — und Mittags nach Tisch und des Abends will Mischa seine Ruhe haben. Er ist ganz unmusikalisch. Ihm ist das ein störendes Geräusch ...“

      Aber ihr Mann widersprach eifrig, froh, auf einen Wunsch des anderen eingehen zu können. „Nein — nein — ich halt’ es schon aus ... Und Wieprecht ist Kenner! Ich hab’ ihn früher oft in die klassischen Konzerte fahren sehen und hab’ mir gedacht: Gott sei Dank, dass du da nicht mit musst! ... Wot ... so ...“ Er klappte energisch den verquollenen Deckel auf. „Neulich war erst der Klavierstimmer da. Fünf Rubel hat er für seine Katzenmusik genommen. Die kriegen wir heute gerade wieder heraus ... Nun — Gospoda ... fangt an, Herrschaften ...“

      Marja fühlte sich freier, als ihre Finger die Tasten berührten. Das war wie eine Flucht aus diesem Zimmer heraus, aus dem gequälten Hin und Her der Worte, dem langsamen Verrinnen der Zeit in einer unausgesprochen zwischen ihr und Sascha Wieprecht herrschenden, sie berückenden, beinahe feindseligen Gespanntheit. Hier am Klavier war sie seiner Nähe entzogen. Mochte er auch da in dem grossen Schaukelstuhl mitten im Zimmer sitzen und gedankenvoll die Rauchringe seiner Zigarette von sich blasen — er konnte ihr nicht folgen, hinüber in das Reich der Töne, auf deren weichen, leise wogenden Wellen ihr so oft die Seele wie ein Schiff mit gespannten Segeln dahinzugleiten schien — hinaus in das Abendrot überm Meer und ferner Küste — in das Dämmern ... in das Niegeschaute — Unbegreifliche. Sie fürchtete sich selbst manchmal vor dieser Traumstimmung. Da war ihr oft zu Vieles wach, was sonst schlief — regte sich im Halbdunkel gedämpfter Klänge ein Ahnen und Sehnen, das sonst der Helle fremd blieb. Nicht umsonst war der Schlüssel an dem Instrument mit feinem Staub bedeckt. Aber heute war es ihr gerade recht, dass sie einmal spielen durfte — spielen sollte — mit halbgeschlossenen Augen — den Kopf leicht zurückgelegt, als zögen ihre Gedanken flüchtig vor dem, der sie fangen wollte, im Rausch der Tasten dahin, und voll eines leisen, inneren Lachens über Alexander Wieprecht da drüben und sein ernstes Gesicht. Nur singen wollte sie ihm nichts, als er darum bat, und gab als Grund den vielen Papyrosrauch im Zimmer an. Aber in Wirklichkeit hatte sie den Eindruck, als enthüllte sie durch das Leben und den Klang ihrer Stimme etwas von sich selbst, von ihrem Inneren vor ihm, und davor empfand sie Scheu. Er sollte nichts von ihr wissen, wenn er wieder wegging.

      Dabei fühlte sie immer, während sie musizierte, deutlich seinen Blick auf ihr ruhen — unverwandt — und schaute ein paar Mal beim Umdrehen der Notenblätter flüchtig zu ihm hinüber und überzeugte sich jedesmal, dass es eine Täuschung war. Seine Augen suchten sie nicht. Sie waren zur Decke gerichtet. Er rührte sich nicht und hörte auf die Musik. Auch sein Gesicht war unbewegt. An was er dachte — was ihn beherrschte — ob die Baumwollpreise — die Börse morgen — oder einfach die Langeweile — oder dasselbe Träumen in Tönen, wie es leise betäubend um sie klang und schwang — sie wusste es nicht. Und doch glaubte sie zu fühlen, dass er jetzt auch ungefähr so fühlte wie sie — dass sie es jetzt in ihrer Macht hatte, durch die Weisen, die ihre Hände anschlugen, Gedanken, Stimmungen, Erinnerungen in ihm heraufzulocken, auf ihn einzuwirken, der sonst dem Einfluss anderer Menschen unzugänglich schien — und das gab ihr ein ganz übermütiges Bewusstsein von Stärke — von Sieg — aber seltsam — nicht eigentlich ihm gegenüber — sondern vor sich selbst ...

      Ihr Mann hielt sich im Hintergrund. Er hatte die Kachetinerflasche neben sich und füllte sich öfter sein Glas. Der Ärmste — der langweilte sich nun sterblich, aber voll Rücksicht und Höflichkeit gegen die anderen und mit guter Miene. Sein Gesicht trug einen andächtig gespannten, verständnislosen Ausdruck, ganz im Gegensatz zu Alexander Wieprechts undurchdringlichen Zügen. Und doch war das der, der ihr in diesem Augenblick näher war. Er begriff wohl eher ihr Spiel. In seinem geistigen Ohr fluteten und ebbten die Töne vielleicht jetzt ebenso wie in ihr — im Rauschen eines uferlosen, weiten, weiten Meeres und Windeswehen über den Wellen — einem fernen, langsam verhallenden, nachzitternden Klang ... In der Ecke aber, wo Iwan Michels sass, blieb alles, wie es war — freundlich und gut — aber ganz ohne jenes seltsame Feiertagsleuchten, dort drüben am Horizont — alles so wie gestern — so wie morgen — und das stimmte sie auf einmal traurig. Wenn er sie nicht verstand, wollte sie lieber gar nicht weiterspielen, am wenigsten vor dem Unbekannten da, von dem sie nichts wusste und nichts wollte — der heute zum ersten und hoffentlich auch schon zum letzten Male ihre Wohnung betreten. Sie brach, beinahe unvermittelt, die Musik ab und erhob sich. Und im selben Augenblick war auch schon das geistige Band, das sich während des Spiels um sie und Alexander Wieprecht geschlungen hatte, zerrissen. Er war ihr fremd wie zuvor, Scheu einflössend, fast unheimlich. Sie ging zu ihrem Mann. Der klatschte in die Hände, geräuschvoll und nicht ohne einige Verlegenheit. Denn er war in der letzten Viertelstunde ein klein wenig, kaum merklich eingenickt. Alexander Wieprecht aber begnügte sich damit, ruhig zu sagen: „Ich danke Ihnen, gnädige Frau!“ und sah dann auf die Uhr. Es war nahe an Mitternacht. Sie erschrak förmlich. So lange hatte sie gespielt — beinahe anderthalb Stunden, ohne es zu merken


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