Du bist die Ruh!. Rudolf Stratz

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Du bist die Ruh! - Rudolf Stratz


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nach den Fasten in die Oper fahren wollte ...“

      Marja musste über die plötzliche Wandlung der alten Weltdame lachen. Das war wirklich wieder sie, die unverwüstliche Komödiantin, die bis zum letzten Atemzug auf der Bühne des Lebens draussen stand, so sehr sie es auch verachtete und so krank sie auch in Wahrheit war. „Gut — ich werd’ es besorgen!“ erwiderte sie, stieg in den Schlitten und fuhr nach Moskau zurück.

      III

      Wieder glitten die Kufen des Schlittens pfeilschnell über den weissflimmernden Boden dahin, wieder knirschte und klagte unter ihnen der hartgefrorene Schnee und pfiff ein eisiger Wind um Marjas gesenktes Haupt. Sie sass, ohne sich zu rühren, den Blick geradeaus auf den Kutscher vor sich gerichtet, als habe sie noch nie die unförmlich in den Hüften ausgefütterte Rückwandung eines Moskauer Lichátsch mit der bunten schmalen Schärpe und den beiden schrägen Reihen weisser Glasknöpfchen gesehen und hörte die halblauten unaufhörlichen Rufe, mit denen er, je mehr sie sich wieder der Stadt näherten und in das Gewimmel der Twerskaja untertauchten, die Fussgänger warnte. „Aufgepasst, Invalide! ... aufgepasst, du Tatar da ... aufgepasst, junge Frau ...“ und hörte ebenso all die andern schneegedämpften, beinahe schattenhaften Geräusche der lichterfüllten Strasse und vernahm sie eigentlich doch nicht. Ihre Gedanken waren noch draussen, vor dem Tore — nicht so sehr bei dem einsamen Landsitz im Petrowskipark, sondern noch weiter hinaus, vor den letzten Bannlinien des Häusermeers, am Rand der unendlichen russischen Ebene. Dort stand ein ganz neuer, grüngedachter Rohziegelbau. Das war Iwans Fabrik und von diesem Haus war ihre Zukunft umschlossen.

      Sie hatte schon früher, seit einem Jahre und länger, dann und wann, und in letzter Zeit immer häufiger, Befürchtungen wegen des neuen Unternehmens laut werden hören — namentlich von Onkel Petruscha. Der war ja freilich bekannt als ein alter Sorgenvater und Grillenfänger. Er klagte immer und ewig und brachte dabei in aller Stille, seufzend und stöhnend, einen Hunderttausender an Rubeln nach dem andern beiseite. Man nahm seine chronische Schwarzseherei nicht mehr ernst. Aber heute hatte er offenbar nur gesagt, was alle Welt schon längst sprach. Jetzt erst begriff sie, wie gross die Gefahr war und wie nahe. In wenigen Tagen war vielleicht schon alles zu spät. Sie sagte sich selbst: vielleicht! Denn sie verstand ja nichts davon — sie konnte nicht helfen und nicht raten in diesem Kampf der Männer, der jetzt von den Wüsten Turkmeniens bis zu den Ufern des Mississippi alles, was irgend mit Baumwolle zu tun hatte, in atemloser Aufregung erhielt — ihr blieb nichts übrig, als zu warten und mit ihrem Mann Leid und Freud zu teilen.

      Das war so selbstverständlich, dass man schon solch eine zerfahrene, kindlich naive Egoistin wie die da draussen im Petrowskipark sein musste, um ein derartiges Versprechen überhaupt von ihr zu verlangen. Ihr bangte auch nicht vor der Zukunft. Sie konnte sich nichts Rechtes unter einer geschäftlichen Katastrophe und deren Folgen vorstellen. Ihr Dasein war immer einfach und ruhig verlaufen. Irgend eine Änderung in dem stillen Leben, in dem sie sich mit den Ihren hier in der fremden Stadt, dem fremden Lande, eingesponnen, war ihr bisher ganz undenkbar erschienen. Wie sie sich die Dinge dachte, da wuchsen die Kinder allmählich heran und verliessen das Vaterhaus, die Jahre vergingen, man wurde älter und älter, und merkte es kaum und hatte endlich genug verdient und zog sich — das war immer ihr letztes und heimliches Sehnen gewesen — auf seine alten Tage nach Deutschland zurück und verbrachte da noch ein, zwei friedliche Jahrzehnte und schliesslich war das Leben zu Ende und man wusste es kaum und war doch froh, dass es schmerzlos, schonend, scheinbar nur von weitem an einem vorbeigegangen war.

      Ein schneidender, schmerzlich-eisiger Windstoss umfegte sie und drang ihr erkältend durch die dichten Hüllen. Der Schlitten fuhr über die offene Moskwabrücke und gleich darauf hielt der Fuhrmann vor ihrem Hause und begann mit lebhaftem Gebärden- und Händespiel seine Gründe für ein Trinkgeld zu entwickeln. Sie war froh, dass ihr Mann nicht dabei war. Der lebte, wie jeder echte Moskauer, mit dieser Gilde der Lichatschî auf ewigem Kriegsfuss und pflegte sie bei ihren nachträglichen Forderungen eines Teegelds abwechselnd nach Sibirien und an den Galgen zu verweisen. Sie aber zahlte ohne Widerrede und stieg die Treppen hinauf. Auch oben war Iwan Michels noch nicht — die Kinder ebenfalls mit dem Fräulein fort — die Vorderzimmer der Wohnung noch dunkel. Das war ihr lieb. Sie zündete das Gas nicht an, sondern stellte sich an das Fenster und schaute hinaus in die Finsternis.

      Dort drüben lag der Kreml in schwarzer Nacht und weissem Schnee. Schwere Uhrschläge tönten von dem unsichtbaren Zifferblatt irgend eines Torturms und dann der melancholische Klingklang eines Spielwerks. Allmählich erhellten sich da oben geheimnisvoll die Fenster der Paläste in rotflimmernden Pünktchen, die traulich durch den Winterabend leuchteten. Die auch bei Tage brennenden ewigen Lampen unter den Heiligenbildern an den Eingangspforten spendeten ihren sanften tröstenden Schein und seltsame Farbenwirkungen entstanden da, ein Spiel von Licht und Schatten unter den finsteren, mittelalterlichen Torwölbungen, den verschwiegenen Höfen und wunderlichen Winkeln, den beschneiten Zinnen und Treppen der heiligen Stadt. Auch die zwei Ampeln am Denkmal des Zarbefreiers glänzten jetzt auf, in den Laternen auf den Strassen und Plätzen des Kreml blinkte das elektrische Licht und übergoss mit bläulichem Schein die weiten, weissen Schneeflächen, die undeutlich weiss und bunt ragenden Mauern. Und darüber schwammen in dunklen Höhen, zwischen dem Sterngeglitzer der Februarnacht am Himmel, scheinbar von der Erde losgelöst, matt schimmernde gelbe Massen — haufenweise und vereinzelt — gross und klein — da und dort — Massen lauteren Goldes — die goldenen Kuppeln und Turmdächer der Kirchen ...

      Marja fühlte Reue, dass sie da draussen im Petrowskipark so viel über sich und ihr innerstes Leben, ihr Verhältnis zu Iwan, geredet. Freilich ... sie hatte es tun müssen. Die Mutter ihres Mannes frug danach. Der war sie Offenheit schuldig. Und doch — wozu das, das still in einem lebte, in einem wirkte als etwas Selbstverständliches, über das man sich keine Rechenschaft gab, ja, das gar nicht in einem zu klarem Bewusstsein kam, weil es eben ein Teil des Selbst war, — wozu das in Worte kleiden? Mit jedem solchen Wort, das man von sich sprach, schickte man ein Stück Leben aus sich in die Welt hinaus. Das hatte dann sein eigenes Leben. Es wurde einem fremd und blieb einem doch nahe. Man sah es von aussen an, diesen Teil von sich, und sah ihn ganz verändert. Und mehr noch als was sie geredet, fielen ihr wieder die Antworten der anderen ein — vor allem dies seltsame der alten, müden, vielerfahrenen Weltpilgerin: Du hast deinem Mann viel geopfert ... vielleicht zu viel. Mög’ es nicht eines Tages wiederkommen und bei dir anpochen ...

      Sie hob abwehrend den Kopf und schaute hinaus in die Nacht. Freilich ... sie hatte ihm mehr gegeben, als er wusste und je begreifen würde. Aber es war gern geschehen, bei klarem Sinn, aus vollem Willen. Es tat ihr nicht leid.

      Und wenn ihre Gedanken wie jetzt hinausschweiften in einem brustweitenden Sehnen, in das Land Nirgendwo, in das Reich der Regenbogenträume, als dessen Gleichnis ihr immer der Kreml erschien, wenn er mit seinen phantastischen Türmen und Zacken und Zinnen und Kuppeln, zu welcher Stunde sie auch an das Fenster trat, im Mondscheinweben und Sonnenglanz, im Morgengrauen und dem feinen Silber des Abends als ein buntes Wunder vor ihr stand — wenn ihre Seele auch einmal die Flügel spannte und aus dem Nest der Heimat wegflog — was lag daran? Sie hatte ja selbst der Greisin da draussen gesagt: wenn sie wollte, rief sie ihre spielenden Wünsche zurück und sah den weiten, Unermessliches ahnen lassenden Horizont nicht mehr und war wieder daheim in ihren vier Pfählen und im Frieden, als ein Mensch, der bewusst einen Teil seines „Ich“ dem Schicksal geopfert hatte, damit der Rest glücklich sei.

      Vielleicht den besten Teil. Sie sagte sich das mit einem leisen Trotz, der ihr sonst fremd war. Es war ein Stachel in ihr zurückgeblieben von jenem Gespräch. Sie fühlte ihn und konnte ihn doch nicht entfernen. Sie sah immer wieder zwischen bläulichen Zigarettenwolken Mascha Westrups Gesicht vor sich, dies müde, welterfahrene Lächeln um die schmal und farblos gewordenen, einst so viel geküssten Lippen, den eigentümlichen Blick, den sie halb forschend, halb ungläubig auf sie gerichtet, während Marja von sich berichtet ... und von ihrem Mann ... und wie sie sich ihm ganz angepasst und was nicht seines Wesens war von sich getan habe, zum Lohn für seine Liebe, und so ärmer und reicher zugleich geworden sei ... Und dann von drüben wieder das wunderlich Betonte, die Silben langsam fallen Lassende: Er liebt dich und du bist ihm dafür dankbar. Mögst du das andere nie kennen lernen ... das, was wie das Fegfeuer brennt ...

      Mögst


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