Du bist die Ruh!. Rudolf Stratz

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Du bist die Ruh! - Rudolf Stratz


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in seltenen Dämmerstunden ein merkwürdiges, wie von aussen in ihre Seele hineingewehtes, nicht zu fassendes Ahnen gewesen, dass dies Ganze, was sie da lebe, nur ein Traum sei und dass dieser Traum einmal enden müsse, und plötzlich die wirkliche Welt ganz anders, ganz nahe, ganz drohend vor einem stände.

      Vielleicht kam dieser Augenblick jetzt wirklich und kam so prosaisch wie möglich, in Gestalt geschäftlicher Not und Sorgen, des Verlustes an Geld und Gut durch die Fabrik da draussen. Aber eben in der Nüchternheit, in der Alltäglichkeit eines solchen Unglücks lag ja auch sein Trost. Marja Michels atmete plötzlich befreit und tief auf. Es war ihr wieder ganz leicht um das Herz geworden. Ein solcher Schlag kam doch nur von aussen und traf einen, wenn man ihn recht trug, nur von aussen. Selbst wurde man davon nicht berührt. Man blieb, was man eigentlich war, und blieb den anderen dasselbe oder noch mehr als bisher und blieb mit sich einig und klar und das war die Hauptsache. Alles andere im Leben liess sich verlieren und verschmerzen und auch einmal wiedergewinnen.

      Sie hörte die Flurtüre gehen und erkannte den schweren Schritt ihres Mannes. Und zugleich fiel ihr erst ein, dass ja noch alles dunkel war, und sie eilte ihm entgegen. Aber da war er schon auf der Schwelle und frug ungläubig, halb enttäuscht: „Ach ... ist noch niemand hier ...?“

      „Doch — da bin ich ja, Mischa!“

      „Mitten in der Finsternis?“

      „Ja — verzeih ... ich hab’ ein bisschen Schummerstunde gehalten ...“

      Iwan Michels lachte und zugleich war ihr, als träte behutsam, langsam wie ein Fremder, noch jemand in das Zimmer. Und dann vernahm sie, wie ihr Mann, gegen den Eingang gewendet und in der Tasche mit den Streichhölzern rappelnd, sagte: „Wot! ... lieber Wieprecht, das haben Sie nun davon! So sieht das bei mir aus.“ Und darauf antwortete eine ihr ganz unbekannte Männerstimme in unbefangen heiterem Tone: „Guten Abend, gnädige Frau! Verzeihen Sie, dass ich Ihnen noch nicht die Hand küsse ... aber ich sehe Sie noch nicht ...“

      Und da sie nicht sofort etwas erwiderte, setzte die gleiche Stimme hinzu: „Ich bin nämlich Alexander Alexandrowitsch Wieprecht und habe Ihren Mann, nachdem er endlich das Kriegsbeil begraben hat und zu mir gekommen ist, zum Danke gebeten, meinen heutigen einsamen Junggesellenabend statt irgendwo im Klub und bei den Karten bei ihm verbringen und mich Ihnen vorstellen zu dürfen — wenn ich nicht zu ungelegen komme. Sonst, bitte, weisen Sie mich meiner Wege ...“

      Marja war zu sehr an die Leichtigkeit des russischen Verkehrstons gewöhnt, um in dieser Selbsteinladung eines Geschäftsfreundes ihres Gatten etwas Auffallendes zu finden. Deutsche Förmlichkeit kannte man hier nicht. Und doch hätte sie alles andere eher erwartet, als dass gerade Alexander Wieprecht, der Vielberufene, den sie nicht kannte und von dem sie schon so viel gehört, da plötzlich vor ihr stehen würde — und eigentlich doch auf ihre eigene Veranlassung. Denn sie hatte doch ihren Mann zu ihm geschickt. Aber sie bezwang ihre Unruhe und antwortete halblachend wie er: „Seien Sie herzlich willkommen, Herr Wieprecht ... und entschuldigen Sie die eigentümliche Beleuchtung bei Ihrem Empfang.“

      Dabei streckte sie unwillkürlich die Hand aus, obwohl sie von dem Besucher nur einen unbestimmten Schatten in dem dunklen Zimmer sah, der ihr langsam wachsend und deutlicher werdend näher kam. Aber durch Zufall berührte sie doch seine Rechte, die auch er suchend vor sich hingehalten, und verspürte ihren kräftigen, beinahe freundschaftlichen Druck im Dunkel, und beide standen sich dicht gegenüber und er sagte lachend: „Das passiert nicht jedem Einbrecher, dass man ihn so freundlich empfängt — was, Michels?“

      „Wot!“ rief der nur befriedigt. Er hatte endlich sein Streichholz angezündet. Das Gas flammte auf und erhellte das Zimmer. Und Marja sah nun ihren Gast leibhaftig vor sich.

      Sie hatte ihn sich ganz anders vorgestellt — wie, das wusste sie selbst nicht recht. Aber sie dachte, er müsse doch etwas Besonderes sein nach all den Gerüchten, die über ihn und seinen Lebenswandel gingen, und anderseits wieder nach der halb widerwilligen, scheuen Achtung, fast Bewunderung, mit der ihr Gatte und alle Geschäftsleute von ihm als Kaufmann sprachen. Aber was sie da sah, war ein Mann wie andere — gegen vierzig, über mittelgross, gut angezogen, mit braunem Haar und braunem Schnurrbart. Nichts Ausserordentliches war an ihm zu bemerken. Auch die Art, wie er sich noch einmal halb lächelnd vor ihr verbeugte und ihre Hand oder eigentlich nur ihre Fingerspitzen langsam an die Lippen zog, entsprach ganz der nachlässig leichten Salonart Moskaus, in dem er ja ebenso wie Iwan Michels als Deutschrusse geboren und aufgewachsen war.

      Er benahm sich ganz ungezwungen, als sei er schon ein alter Freund des Hauses, setzte sich und nahm die Papyros, die Michels ihm bot. „Iwan Antonowitsch kam schon vor mehreren Stunden zu mir,“ sagte er dabei mit einem Blick auf den Hausherrn zu Marja. „Ich war gerade bei einer dringenden Unterredung — Sie wissen vielleicht, dass einige Menschenfreunde in Zentralasien auf die ingeniöse Idee gekommen sind, aus Baumwollrückständen Speisefett für die Europäer zu machen — so sagte man ihm aus Versehen, ich sei weggefahren. Wie ich das hörte, fuhr ich gleich nach Schluss der Bureaustunden in sein Kontor — ich dachte, es handelte sich um ein Geschäft — und traf ihn auch dort und vernahm zu meiner Freude, dass der Besuch rein à I’amiable gemeint war ...“

      „Nun ... schön ... da haben wir ihn hier bei uns!“ Der andere klopfte ihm auf die Schulter. „Aber wir reden auch noch von Geschäften miteinander ...“

      Wieprecht zuckte die Achseln und antwortete, wieder mehr zu Marja hin: „Wer tut das jetzt nicht? Alle vier Weltteile sind ja jetzt verrückt und durcheinander. Nur in Australien ist noch Ruhe. Vorhin erzählte man mir wieder was von neuen Fallissements unter den polnischen Spinnern. Und in Triest soll sich ein eben aus Alexandrien angekommener griechischer Grosshändler ohne weiteres im Hotel am Türpfosten aufgehängt haben ...“

      Marja wurde wieder bang ums Herz. Sie sagte gepresst: „Es ist doch schrecklich, dass so etwas erlaubt ist ... dies Spekulieren an der Börse ... auf Kosten von andern Leuten ...“

      Aber ihr Gegenüber lächelte nur. „Ja ... jetzt geht alles drunter und drüber. Wer jetzt nicht aufpasst, der liegt am Boden, ehe er sich’s versieht. Ein ordentliches Gewitter ... rechts und links schlägt’s ein — drüben in Amerika ... in Ägypten ... in Indien ... jetzt sogar bei uns in Russland und überm Kaspischen Meer. Es ist eine stolze Zeit!“

      Eine stolze Zeit! ... Marja sass ganz starr da, während ihr Mann ins Nebenzimmer gegangen war, um eine Flasche aufzukorken. Der klagte seit Wochen über die gefährliche Unsicherheit des Baumwollgeschäftes, Onkel Petruscha und wen sie sonst sprach — sie alle hatten nur Worte der Verwünschung für die Neuyorker Preistreibereien und hier — sie traute ihren Ohren nicht — hier sass jemand und fand das alles wunderschön. Vielleicht war das nur ein Scherz. Aber Wieprecht sah sie kaltblütig aus seinen grauen, auffallend grossen Augen an und wiederholte: „Da wird einem wohl ... man kriegt doch mal ein bisschen Lebensluft in diesem faulen Moskauer Frieden hier ... endlich einmal ein frischer, fröhlicher Krieg, der einem die Konkurrenz ein wenig vom Hals schafft ... nun ja, gnädige Frau — was machen Sie denn für ein Gesicht? Sehen Sie — das ist doch die alte Eigentümlichkeit — ich möcht’ beinahe sagen das Unglück des Moskauer Platzes, dass er viel zu schwer ist ... dass er viel zu viel Geld hat. Darum geht alles seinen alten Trott weiter ... aber jetzt ist der Markt endlich einmal wachgerüttelt ... Gott sei Dank ... man kann an ein paar Vorderleuten vorbei ...“

      „Sehr schön!“ schrie Iwan Michels aus dem Nebenzimmer. „Aber was dabei zu Grunde geht ...“

      „... das bleibt liegen!“ sagte der andere philosophisch und rauchte.

      Der Hausherr kam wieder über die Schwelle, etwas erhitzt vom Hantieren mit Korkzieher und Konservenbrecher. „Und Sie spielen inzwischen den Hecht im Karpfenteich ... siehst du, Marja ... so ist er ...“ Und dabei warf er ihr einen verstohlenen ernsteren Blick zu, der ungefähr hiess: Ein Mensch, der als Kaufmann Rücksicht oder Mitleid weder kennt noch beansprucht. Und dem soll ich mich anvertrauen? — Alexander Wieprecht aber erwiderte nur: „Ich rede jetzt nicht mehr mit Ihnen über Geschäfte, Michels! Ich hab’ Ihnen ja gesagt: Machen Sie mir morgen Vormittag die Freude Ihres Besuches auf dem Kontor. Dann steh’ ich mit meinem Rat zu Diensten. Aber jetzt ist es sieben Uhr Abends. Da weiss ich


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