Du bist die Ruh!. Rudolf Stratz

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Du bist die Ruh! - Rudolf Stratz


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gerettet hatte, als den resigniert mit allem spielenden Spott — und so wiederholte sie nur: „Ich hab’ Iwan von Herzen lieb und werd’ ihn immer lieb haben. Und wenn wirklich schwere Zeiten, wie du fürchtest, über uns kommen sollten, so wird das einzige Gute daran sein, dass ich das dann beweisen kann.“

      Madame Westrup nickte. Eine Weile sassen die beiden Frauen stumm da. Dann machte die alte Dame plötzlich eine energische Bewegung, um das Zigarettendöschen aus erreichbarer Nähe wegzuschieben. Denn sie war fest entschlossen, nunmehr aus Gesundheitsrücksichten mindestens eine Viertelstunde nicht zu rauchen.

      „Und die vielen Eigenschaften, die du hast und die der Iwan nicht hat ...,“ versetzte sie dabei ganz unvermittelt, „die bringt man doch mit in die Ehe ... was man eben ist ... Du bist doch viel gescheiter als der Iwan ... was machst du nun mit alledem, womit du über ihn hinausreichst ...? Denn dass du über ihn hinausreichst, das muss er doch selber merken ...“

      „Nein. Er merkt es nicht,“ sagte Marja gleichmütig, beinahe heiter. „Wenn es überhaupt der Fall ist ... oder wenigstens merkt er’s nicht so, dass es ihn kränkt. Denn kränken würd’ es ihn nur, wenn ich dabei meine eigenen Wege ginge und ihn stehen liesse. Er ist ja so weich und leicht verletzt. Darum hab’ ich mich vom ersten Tag ab bemüht, ganz ihm gleich zu werden ... mich ganz auf den Boden von dem zu stellen, was er ist und worin er lebt.“

      „Das hast du ganz bewusst getan?“

      „Ja. Das hielt ich für meine Pflicht gegenüber einem Menschen, der mich so liebt, dass ich ihm wirklich alles im Leben bin — und das ist das ganze Geheimnis, warum wir so glücklich miteinander sind.“

      „Da hast du ihm vieles geopfert, Marja!“

      „Manches freilich ... oder geopfert eigentlich nicht. ... Es ist nur manches enger um mich geworden, kleiner, als ich mir das als Mädchen gedacht hab’! Man sieht jetzt mehr in die Nähe ... was jeder Tag mit sich bringt ... im Kommen und Gehen ... und das da draussen ... in der Ferne ... das vergisst man allmählich ... man hat gar kein Verlangen mehr danach ...“

      „Und da bereust du nichts?“

      „Nein — wahrhaftig nichts! Denn ohne das könnten Iwan und ich nicht so als gute Kameraden mit einander gehen. Wenn zwei verschiedenen Schritt haben, dann muss doch der Schnellere auf den anderen Rücksicht nehmen. Das hab’ ich mir von Anfang an klar gemacht ...“

      „... auch dass ... ja, dass man da doch eigentlich geistig ein wenig einbüsst ... nimm mir’s nicht übel ... aber das ist doch notwendig damit verbunden ...“

      „Gott ... ob man sich und anderen nun ein wenig gescheiter oder weniger gescheit vorkommt ...“ sagte die junge Frau und lächelte. „Es liegen eben dann einfach gewisse Strecken in einem brach ... sogar ziemlich viele und vielleicht auch ganz reiche ... eben alle die, von denen ich weiss, dass Iwan sie nicht mit mir teilen kann. ... Um die bin ich nun freilich ärmer geworden. Aber ich ertrage das mit grosser Philosophie. Ich hab’ dagegen so viel anderes eingetauscht ...“

      „Und du sehnst dich auch nie danach?“

      „Ach — manchmal, wenn ich allein bin — namentlich wenn ich am Fenster steh’ und drüben den bunten Kreml seh’ — wie ein Märchen im Schnee — dann lass ich einmal meine Gedanken fliegen — so ins Blaue hinein, wie man’s als Mädchen getan hat ... das ist gar kein unangenehmes Gefühl ... mehr eine Spielerei ... es ist ja auch alles so unbestimmt ... man kann sich gar nichts Rechtes mehr darunter vorstellen — und wenn man dann wieder daheim ist, dann fühl’ ich mich doppelt wohl — in meinen vier engen Wänden — mit meinen Kindern und mit Iwan ... und in unserer Ruhe ...“

      Es war jetzt schon halbdunkel im Zimmer geworden und in dem Schatten der Portière über dem Diwan glimmte ein Feuerpünktchen auf. Madame Westrup hatte ihren Vorsatz der Entsagung aufgegeben und wieder nach der geliebten Tuladose mit bessarabischem Tabak gegriffen. „Ja ... die Ruhe ...“ sagte sie. „Es gibt zweierlei Art von Ruhe — die, die du hast — und die, die ich hab’ ... Ich hab’ alles durchgemacht ... das Leben, wie mir’s jetzt vorkommt, ist eine Art Krankheit, die man so und so oft hintereinander übersteht und sich ganz daran gewöhnt, bis man beim letzten Rückfall daran stirbt. Das ist das Ziel, das sich mein Doktor jetzt gesetzt hat, weil er begriffen hat, wie unnütz ich auf der Welt bin — er verlangt, ich solle das Morphium aufgeben, der Esel ... nun, Frauen, wie mich — die sollte man überhaupt nicht älter als neununddreissig werden lassen — der Rest ist Unsinn ...“

      Sie brach ab, um ihre Gedanken zu sammeln, und fuhr dann fort: „Also ich bin ruhig, weil mir nichts mehr passieren kann. Du bist ruhig, weil dir noch nichts passiert ist. Du bist noch unberührt, du weisst noch nichts von der bösen Welt da draussen. Wie ein junges Mädchen bist du — gar nicht wie eine Frau, die schon ein paar dicke, kleine Kinder daheim hat. Aber sei auf der Hut, Täubchen! Wer meine Ruhe hat — der kann daliegen und Papyrosse rauchen und, was da will, an sich kommen lassen. Es tut ihm nichts mehr. Aber in deiner Ruhe — da ist noch die Gefahr ...“

      Marja musste lachen. „Da sei unbesorgt. Ich geh’ meinen Weg ... da hat mich noch nichts nur einen Zoll breit von ihm gebracht ... und so wird’s bleiben ...“ Aber die ihr gegenüber schüttelte zweifelnd das blasse, graue, von den letzten Schönheitslinien durchzogene Haupt: „Du hast deinem Mann viel geopfert! Vielleicht zu viel. Und eigentlich nicht der Liebe, sondern der Dankbarkeit. Mög das nur nicht einmal zurückkommen und bei dir anpochen. Ich möcht’ ja so hoffen, dass das nicht geschieht ... ich möcht’ drum beten, dass der Iwan, der nie eine Mutter gehabt hat, bei seiner Frau gut aufgehoben und versorgt bleibt. Aber ich hab’ immer die Angst: Auf die Dauer kann ein Mensch nicht so viel in sich unterdrücken ... da wächst es und wird immer stärker ... ich wenigstens ... ich hätt’ das nie gekonnt ... ich hab’s freilich auch nie versucht. Ich hab’ mich immer ausgegeben, wie ich nun einmal war ...“

      Voll einer für ihr leidendes Aussehen überraschenden Spannkraft erhob sie sich plötzlich von ihrem Lager und stand vor der jungen Frau, sie mit ihrer immer noch auffallend schönen, trotz ihrer sechzig Jahre schlanken und straffen Rassegestalt um ein paar Fingerbreit überragend. Sie nahm den Kopf Marjas, die geduldig stillhielt, in die Hände, und bemühte sich aufmerksam, in dem dämmerigen Halblicht ihr unbefangen lächelndes, jugendfrisches Antlitz zu ergründen. „Wenn nur die Augen nicht wären ...“ murmelte sie dabei gedankenvoll und liess den Blick nicht von den beiden ruhig zu ihr emporgerichteten braunen Pupillen. „... ganz, ganz dahinten steckt was ... da schläft was ... das bist noch nicht du ... wenn du nur nicht noch mal was siehst, was du jetzt noch nicht ahnst! Dann denk an mich ... nein ... denk nicht an mich, sondern was du mir eben gesagt hast ... und sei tapfer, du liebe Kleine ... halt aus bei unserem armen Iwan ...“

      Marja hatte sich auch erhoben, entschlossen, das Gespräch abzubrechen. „Also nochmals ...“ sagte sie, „solange Iwan lebt und mich braucht, bin ich an seiner Seite. Das verspreche ich dir noch einmal heilig und feierlich — obwohl nach meinem Empfinden so viel grosse Worte gar nicht not tun. Denn mir erscheint das ganz selbstverständlich und ist es ja doch auch. Und nun will ich in die Stadt zurück. Sonst kommt Iwan womöglich noch vor mir von Herrn Wieprecht heim und findet die Wohnung dunkel ...“

      Sie beugte sich über die Hand ihrer Schwiegermutter und die zog sie zu sich empor und küsste sie nach russischer Art auf beide Wangen und den Mund, und dabei fühlte Marja, dass das Antlitz der andern von Tränen feucht war. Und auch Madame Westrups Stimme zitterte von einer kränklichen Rührung. „Nun denn, mit Gott, Kind ... ich danke dir, dass du gekommen bist und mir das alles gesagt hast. Du hast mir Ruhe gebracht. Ich glaub’ jetzt an dich. Du bist besser als ich. Und ich wünsch’ dir nur das eine: mögst du all das nicht erleben, was ich jetzt mit mir ins Grab nehme ... sehr bald wahrscheinlich ... ich bin den Ärzten nicht mehr gewachsen ... erzähle das dem Iwan ... am Ende schaut er dann doch noch einmal nach mir, ehe es zu spät ist ... und grüss die Enkelchen von mir ... die kleinen Engel ... vielleicht seh’ ich sie gar nicht wieder ... vielleicht hat unser Herrgott schon in den nächsten Tagen endlich an mir genug ... Zeit wär’s! Und höre, Schatz ...“ rief sie ihrer Schwiegertochter nach, als die schon die Flurtreppe hinabschritt, „mach doch auf dem Heimweg den kleinen Umweg über die Schmiedebrücke — zu


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