Du bist die Ruh!. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.zierliche Rauchringel eines Papyroswölkchens stieg von der Stelle, wo ihr Kopf in den Seidenkissen ruhte, empor und zerfloss in der sich trübenden Luft. Dann murmelte sie weiter: „Ich hab’ schon Grund dazu, meine gute, kleine Marja ... aber lassen wir’s ... Das wär’ doch nichts für dich ... und ich bereue auch nichts ... nichts ... nichts ... bloss mit der einen Ausnahme ... das quält mich jetzt immer ... jetzt erst, wo ich krank bin und mein Doktor mir bald den Rest geben wird: ich bin deinem Mann nie eine rechte Mutter gewesen ...
„Ich hab’ ihn seinem Vater überlassen müssen. Wie ich von dem geschieden war, da war mein Zorn so gross — damals war ich anders wie jetzt — da war ich noch jung und ich verstand ordentlich zu lieben und zu hassen — da wollt’ ich nichts von ihm haben, was von ihm war ... kein Geld und kein Kind — und später war es zu spät. Mein Sohn ist mir fremd geblieben — vielleicht wär’ er es auch ohne das geworden, mit seinem deutschen Blut. Wenn er kommt und dasitzt, dann wundere ich mich oft und denke: Der da und du — die sind einmal ein Leib und ein Mensch gewesen — und versteh’ das nicht recht. Und trotzdem — manchmal jetzt — des Nachts besonders — aber lach nicht, Marja ...“
„Wie sollt’ ich denn?“
„Des Nachts, wenn ich nicht schlafen kann ... da wird die Mutter in mir wach ... in mir, der Mascha Westrup! ... Da bang’ ich mich um den Iwan ... ihm selbst kann ich das nicht sagen ... er würd’ es jetzt nicht mehr verstehen ... also da lieg’ ich und hör’ den Diener draussen vor der Türe schnarchen — und denk’ mir immer wieder: wenn du nun stirbst — Herrgott im Himmel ... was wird aus dem Iwan? Er wird sicher Dummheiten machen ... er wird sein Vermögen verlieren ... Alle sagen’s ... auch Sascha Wieprecht, der gescheiteste von euch allen — der einzige, mit dem man überhaupt ein vernünftiges Wort reden kann ...“
„Iwan ist eben bei ihm!“
„So? Was hilft’s? Soll das Unglück kommen, so kommt’s! Und das möcht’ ich nicht, dass der Iwan dann plötzlich so dasteht wie jetzt ich — ganz allein auf der Welt — ohne eine Menschenseele. Dazu ist er viel zu weich — er ist ja wie ein grosses Kind ... das hält er nicht aus ...“
„Aber dazu bin ich doch da!“ sagte Marja ruhig.
Die gegenüber richtete sich halb aus ihrer liegenden Stellung auf. Man konnte ihr Gesicht in der zunehmenden Dämmerung kaum mehr unterscheiden. „Siehst du — das ist’s eben, was ich wissen möchte. Ich kümmere mich sonst um nichts mehr ... ich hab’ mich auch um eure Ehe nie gekümmert — ich war eine sehr bequeme Schwiegermutter — das wirst du mir zugestehen ...“
„Leider haben wir nie viel von dir gehabt!“
„Aber was ich so von euch gesehen hab’!“ Madame Westrup zündete sich eine neue Papyros, die zehnte oder zwölfte in dieser Stunde, an. Das Tischchen vor ihrem Lager, das Bärenfell, der Boden war mit Stummeln bedeckt. „... da hatt’ ich immer den Eindruck, als ob ihr wirklich glücklich miteinander wär’t ...“
Die junge Frau musste unwillkürlich ein wenig lachen. „Nun ja — unsere Ehe ist auch glücklich!“
„Und wie kommt denn das?“
„Ja — was soll ich dir denn um Gottes willen darauf antworten? Es ist eben so, Gott sei Dank!“
Eine Sekunde waren beide still. Daun sagte Marjas Schwiegermutter: „Du musst mir die Frage nicht übelnehmen. Die tu’ ich nicht etwa, weil ich von mir auf andere schliesse ... ich war dreimal verheiratet und es war doch ungefähr immer dasselbe Unheil — so oder so ... also das mag an mir gelegen haben und mich lass’ ich ganz aus dem Spiel ... ich schau nur euch beide an. Und da wundere ich mich eben immer: ihr seid doch so verschieden!“
„Das macht doch nichts.“
„Ja — meinetwegen — wenn der Mann die Frau geistig überragt — was ich von meinen drei Seligen gerade nicht sagen kann. Aber wenn das Umgekehrte der Fall ist — sieh: der Iwan ist ja mein Sohn und du siehst selbst, wie ich mich jetzt um ihn sorge. Aber deswegen kann ich doch die Augen nicht zumachen vor den Dingen, wie sie sind, und behaupten: Er ist ein grosser Geist. Ein seelenguter Mensch gewiss — wo er das her hat, weiss Gott! Von mir nicht — aber im übrigen ist er dir doch nicht gewachsen — in allem, was Urteil und Bildung betrifft — und Kenntnisse und Geschmack und überhaupt ... du hast doch einen ganz anderen Gesichtskreis als er ...“
„Nun — dafür hat er eben den seinen ... das Geschäft und was damit zusammenhängt ...“
„Ach ... lass mich doch mit dem Geschäft zufrieden!“ sagte die alte Weltdame verächtlich. „Geschäft heisst Geld verdienen. Geld verdienen heisst Scheuklappen rechts und links tragen — auf nichts sehen als auf sein bisschen Vorteil da vor der Nase ... einen weiten Blick bekommt man erst vom Geldausgeben — drum seh’ ich jetzt auf meine alten Tage viel schärfer als mir lieb ist,“ sie seufzte ... „und seh’ auch genau, dass ihr beide ... sage, Kind, darf ich mit dir darüber reden?“
„Wenn es dich beruhigt, dann rede nur!“
„Ja. Ich schlaf’ dann vielleicht heute Nacht besser! Ohne Morphium. Darum hab’ ich dich ja hier heraus in meine Schneegrube gebeten. Es kommt sonst nie ein Mensch, ausser dem alten langweiligen Petruscha ... der ist der einzige Anhängliche — der ist nun schon seit dreissig Jahren in mich verliebt und muss tun, was ich will — also höre ... oder soll ich erst die Lampe bringen lassen ...?“
„Nein — ich sitze ganz gern so im Dämmern.“
„Schön. Nun antworte mir einmal ganz ehrlich, Marja ... Du bist so merkwürdig ehrlich. Dir glaub’ ich: Wie du den Iwan hast kennen lernen ... in irgend einem deutschen Badeort, wo du mit deinen Eltern warst — dein seliger Vater war doch da irgend so ein grosser Tschinownik — ein hoher Beamter bei euch ...?“
„Ja. Bei Gericht.“
„Also ... wie ihr euch da verlobtet, hast du da den Iwan so gesehen, wie er nachher wirklich war ... als Gatte war ... ganz genau so ...?“
„Ganz genau so.“
„Du hast dir gar keine Illusionen über ihn gemacht ... er war nicht nachher eines schönen Morgens ein ganz anderer Mensch, wie es mir mit meinen Seligen immer gegangen ist ...?“
„Nein. Ich hab’ gewusst, wer er war — und dabei ist’s gottlob geblieben!“
„Ja — und was war er denn nun für dich?“
Die junge Frau hob den Kopf und sagte mit unwillkürlich etwas lauterer, aber ganz ruhiger Stimme: „Wie er und ich uns damals näherkamen, da hatte ich ein einziges unbeirrbares Gefühl: ‚So wie jetzt und so wie von dem da wirst du nie mehr in deinem Leben geliebt werden!‘ Und dabei ist’s geblieben! Wir sind jetzt sieben Jahre verheiratet und er ist wie am ersten Tag — die Güte und Freundschaft selbst ... er trägt mich und die Kinder auf Händen ... er verwöhnt uns viel zu sehr .., ich sag’s ihm oft ...“
„Nun — dafür kann man wohl dankbar sein!“ Es war ein hinterhaltiger Klang in der Stimme der alten müden Weltpilgerin, wie sie so dalag und durch das verwehende Zigarettenwölkchen hinaus in das Winterland schaute, um dessen kahles Geäst als das einzig Lebende auf weisser Flur die krächzenden Raben strichen.
„Freilich — er ist viel zu gut.“
„Aber Dankbarkeit ist noch nicht Liebe.“
„Doch. Ich hab’ ihn von Herzen lieb ...“
„Und das sagst du so friedlich, Täubchen ...“ Mascha Westrup lächelte schmerzlich. „Sei froh, dass du das kannst ... dasselbe Wort ... das brennt bei anderen wie das höllische Feuer ...“ Sie warf einen beinahe mütterlich-mitleidigen Blick auf die zarte junge Frau. „Ach Gott ... wie ein kleines deutsches Pensionsmädchen sitzt sie da ... so artig ... die Hände im Schoss ... ich beneide dich, Kind ... eine arme alte zerzauste Zigeunerin wie ich ... und ich beneid’ auch den Iwan ... Du bist gerade die Frau für ihn ...“
Marja wusste nicht recht, was sie erwidern sollte. Das Sprunghafte — Abgerissene