Wie aus dem Ei gepellt .... Sandy Penner

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Wie aus dem Ei gepellt ... - Sandy Penner


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      „Los! Wir müssen den Osterhasen finden und ihm helfen, hier rauszukommen. Und zwar bevor Oberschwester Marta ihn bekommt“, rief Pia plötzlich.

      Und mit einem lauten zustimmenden „Jaaa, wir müssen ihn retten!“ stürmten alle Kinder los. Oberschwester Marta hatte im Schwesternzimmer Alarm geschlagen, was dazu führte, dass nun ungefähr zwanzig Kinder in Pyjamas auf der Suche nach dem Osterhasen die Station 2b stürmten und sechs Krankenschwestern plus Oberschwester Marta hinter ihnen herjagten. Wer nun jedoch genau wen jagte, wusste wohl niemand mehr so recht. Jedenfalls dauerte es eine geschlagene halbe Stunde, bis Oberschwester Marta mithilfe der anderen Krankenschwestern alle Kinder wieder beisammenhatte. Der Osterhase jedoch musste immer noch auf freiem Fuße oder besser gesagt freiem Pfötchen unterwegs sein.

      Gab das einen Ärger! Mit hochrotem Kopf schimpfte Oberschwester Marta etwas von „Hier geht es ja zu wie im Zirkus – erst ein Tier auf meiner Station und dann auch noch dieses Fiasko hier!“ Sie atmete tief durch, wandte sich an ihre Krankenschwestern und ordnete an, dafür zu sorgen, dass jedes Kind wieder in seinem Bett landete. „Um dieses Tier kümmere ich mich persönlich“, sagte sie und machte sich, bewaffnet mit einem Besen, wieder auf den Weg.

      Pia war eine der Ersten, die wieder in ihr Zimmer kam. Als sie sich erschöpft auf ihr Bett fallen ließ, spürte sie plötzlich etwas Hartes im Rücken. Sie sprang auf, und warf die Decke zurück. „Das gibt’s doch nicht“, rief sie aus. „Christina, schau nur!“

      Ihre Zimmernachbarin machte große Augen. Da lag doch tatsächlich ein Osternest, prall gefüllt mit jeder Menge Leckereien, in Pias Bett.

      Sofort sah Christina auch unter ihrer Decke nach. „Oh! Da ist nichts“, sagte sie enttäuscht.

      „Los, komm, wir müssen suchen! Der Osterhase ist doch nicht so blöd und wählt gleich zweimal das gleiche Versteck“, rief Pia. Und tatsächlich! Unter Christinas Bett lag ein Nest. „Ob er bei den anderen wohl auch war“, überlegte Pia laut und rannte zur Tür.

      „Warte! Wenn Oberschwester Marta dich auf dem Flur erwischt, gibt es bestimmt wieder tierisch Ärger“, rief Christina, doch Pia war schon verschwunden.

      Auf Zehenspitzen trippelte sie zum Nachbarzimmer. Auch dort hatte man schon ein Nest gefunden. Im übernächsten Zimmer erst ein Ei, doch die Suche war noch in vollem Gange. Als Pia sich gerade aus einem der Nachbarzimmer herausschleichen wollte, war ihr, als hätte sie für einen Moment etwas wie einen kleinen Schatten wahrgenommen. Verdutzt hielt sie inne. Es war mucksmäuschenstill.

      „Das kann doch nicht sein“, dachte Pia und schlich hinterher. Ihr Weg führte zum Aufzug. Sie sah noch, wie einer der Fahrstühle eben seine Türen schloss. Pia hätte schwören können, dass sie noch für den Bruchteil einer Sekunde ein kleines graues Stummelschwänzchen im Aufzug verschwinden sah.

      Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Augen wieder traute und vorsichtig zu ihrem Zimmer zurückschlich.

      Als sie dort ankam und leise die Tür öffnete, stand sie plötzlich vor Opa Theo.

      „Pia! Da bist du ja“, strahlte er gut gelaunt. Pia stutzte. Wie um alles in der Welt sollte Opa Theo hergekommen sein, ohne dass sie ihn bemerkt hatte? Sie war die letzten zehn Minuten von Zimmer zu Zimmer geschlichen. Sie hätte ihn doch sehen müssen – schließlich hätte er nur über den Flur vom Aufzug her kommen können. Der Aufzug! Na klar! Pia war sich plötzlich sicher: Opa Theo war Flitzers Komplize. Er wusste Bescheid! Ihr Opa machte gemeinsame Sache mit dem Osterhasen! Pia stockte der Atem. „Pia? Alles in Ordnung?“, wollte Opa Theo sichtlich amüsiert wissen.

      Pia schluckte. „Ehm ... ja ... also, ich meine, natürlich. Mir geht’s gut.“ Sie legte eine kurze Pause ein, bevor sie schließlich nachsetzte: „Sag mal, Opa, wie geht’s eigentlich Flitzer?“

      Opa Theo verzog keine Miene. „Gut geht es ihm. Er war heute den ganzen Tag mit den anderen Hasen draußen im Garten und hat faul in der Sonne gelegen.“

      „Hm“, machte Pia. „Und wann hast du ihn das letzte Mal gesehen“, wollte sie mit bestimmtem Ton wissen.

      „Eben kurz bevor ich mich auf den Weg hierhergemacht habe“, antwortete Opa Theo mit angestrengt ernstem Gesicht.

      Pia sah ihn noch einmal prüfend an. Sie glaubte ihrem Opa kein Wort! „Warte ab“, dachte sie. „Nächstes Jahr! Nächstes Jahr erwische euch alle beide!“

      Silke Tappen ist 1982 in Köln geboren und dort aufgewachsen. Nach einer Ausbildung zur Erzieherin arbeitete sie mit sehr viel Freude in diesem Beruf, bis sie im Jahr 2011 selbst Mutter wurde. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten draußen. Spaziergänge mit Pferd, Hund, Mann und Kind sind für sie das Schönste. Die Freude am Schreiben kam bei ihr schon sehr früh – zu Grundschulzeiten – auf und ist bis heute geblieben. Der Umgang mit Tieren von Kind an, die spätere Arbeit mit Kindern und die Erlebnisse mit ihrem Sohn geben ihr immer wieder die besten Anregungen zum Schreiben von Geschichten – am liebsten für Kinder.

      *

      Die Osterklage

      Dass es den Osterhasen nicht gibt, er nur eine Legende ist, das weiß mittlerweile jedes Kind. Trotzdem gibt es Sonderbares aus dem Land der Langohren zu berichten: Merkwürdiges passierte mitten in Deutschland. Wer sonst als der legendäre Osterhase wäre, wie in all den Märchen um seine Person, tatsächlich dazu in der Lage, zur selben Zeit vor den Gerichten diverser Städte ein Osternest mit bunten Ostereiern und einer Klage zu verstecken?

      Wittenberg, 21. April 2011

      Richterin Hildegard Flinkenstein war recht früh auf den Beinen. Sie machte sich gerade auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz, dem Gericht von Wittenberg, als ihr auf den Stufen hoch zum Eingang des Gerichtsgebäudes hinter einer Säule etwas Buntes entgegenschimmerte. Sie zog die Stirn in Falten. Mit ihren 56 Jahren und den grauen Haaren, die ihr in die Stirn fielen, wie auch der geradezu riesigen Hornbrille auf ihrer Nase, wäre das aber niemandem wirklich aufgefallen.

      Neugierig blickte sie um die Ecke und erspähte ein Osternest, das dort säuberlich platziert worden war. In dem wuscheligen, aus grün eingefärbter Holzwolle gewobenen Nest war allerlei Süßes versteckt. Sie konnte mehrere bunt bemalte Ostereier und andere Naschereien entdecken, aber auch einen kleinen, gefalteten Brief.

      Hildegard blickte sich neugierig um, ob sich jemand einen Scherz mit der Obrigkeit erlaubte, aber es war niemand zu entdecken. Ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen griff sie nach dem gesamten Osternest, hob es hoch und stolzierte damit an verdutzten Kollegen vorbei in ihr Büro.

      „Wird sicherlich eine hübsche Dekoration auf dem Schreibtisch abgeben“, dachte sie gerade, als ihr erneut der Brief auffiel, der zwischen den Eiern klemmte. Das Papier sah merkwürdig alt aus, fand Hildegard, als sie auf dessen Rückseite auch noch ein angebrachtes dunkelrotes Siegel entdeckte. Auch das wirkte brüchig, als wenn der Brief bereits seit Langem auf seine Auslieferung wartete. Verblüfft erkannte sie auf dem kleinen Siegel das Gesicht des Osterhasen, wenngleich auch mit etwas anderem Aussehen als gewohnt. Dieser hier besaß fast menschliche Züge und nur die langen Ohren waren eindeutig ein Beweis für seine Hasenzugehörigkeit. Im Mundwinkel steckte zufrieden eine Pfeife, deren Rauch ein bemaltes Osterei bildete. Ungeschickt brach sie das Siegel auf und faltete den kleinen Brief vorsichtig auseinander. Verwundert begann sie nun zu lesen, was dort in altdeutscher Schrift geschrieben stand:

      An alle Richter dieses Landes:

      Lange habe ich gezögert, diesen Brief zu schicken an all diejenigen, die über uns richten. Denn ich habe Klage einzureichen gegen alle, die den Glauben an mich verloren haben. Selbst Kinder verspotten mich, obwohl ich stets mein Bestes gebe. Da ich schon recht alt bin, fällt mir meine Arbeit immer schwerer, weshalb ich leider nicht mehr überall rechtzeitig meine Nester ablegen kann. Diese Klage geht an alle Gerichte, die ich im näheren Umkreis für zuständig erachte. Nachrichten an mich bitte in das Nest legen. Für den Inhalt wünsche ich einen gesegneten Appetit.

      Herzlichst,


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