Crazy Love. Eva Kah
Читать онлайн книгу.Kopf und hoffte, Freddy würde endlich aufhören, die halbe Trambahn mit dem F-Wort zu unterhalten. Sämtliche Leute im Umkreis von zehn Metern drehten sich schon interessiert zu uns um.
Freddy kramte ihr Smartphone heraus und zog es aus der dunkelroten Lederhülle, in der es sonst immer verborgen war. Die Rückseite des Geräts funkelte vor klaren Glitzersteinchen im Diamantschliff. Es war eine ziemliche Menge Steinchen. Erinnerte etwas an die Milchstraße.
„Ich zum Beispiel hab da ein ganz lustiges Belohnungssystem mit Straßsteinchen und Sonnenbrillen entwickelt. Also ich meine, eigentlich ist ja das Ficken selbst schon eine Belohnung, sollte es zumindest sein, hehe. Aber mit meinem System behalte ich immer den groben Überblick. Über meine Erfolge sozusagen. Für einen mittelmäßigen Fick mit einem mittelmäßigen Typen kleb’ ich mir einen kleinen Swarowski-Kristall auf mein Telefon, für einen anständigen Fick mit einem anständigen Kerl kleb’ ich mir einen großen drauf, und für einen Spitzenfick mit einem Spitzentyp kauf’ ich mir eine neue Sonnenbrille!“
Mittlerweile hatten alle Leute im gesamten Waggon ihre Gespräche eingestellt, was Freddy nicht dazu veranlasste, ihre Lautstärke zu senken. Wer wie sie mit solchen Möpsen herumlief, war wohl schon optisch genug durchsexualisiert, um sich noch mit Schamgefühl herumzuschlagen. Ich wurde trotzdem immer noch röter.
Ungerührt fuhr sie fort. „Und du weißt ja, wie viele Sonnenbrillen ich habe. Mich motiviert so was halt. Damit ich noch lieber bei der Stange bleibe, höhöhö. Aber dir läuft schon auch noch was Passendes über den Weg. Ja ja, denn wer vögeln will, der muss säen!“, schloss Freddy ihren Vortrag und nickte freundlich in die Runde, bevor sie ausstieg und mich alleine ließ.
Freie Bahn also für mich und die schöne weite digitale Welt der Schwanzfotos. Nachdem ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte, nahm ich erst einmal ein langes Bad mit so viel Schaum, dass er überschwappte. Max hätte das gehasst! Er war immer schon, das muss man einfach so sagen, ein Warmduscher gewesen. Und ich hatte mich des lieben Friedens wegen angepasst, obwohl ich in meinem vorherigen Leben eine Art Sumpfkröte gewesen sein muss. Die Badewanne ist doch die schönste Erfindung der Menschheit! Und zwischen Badern und Duschern – nein, da herrscht einfach keine Harmonie. Vielleicht war auch das einer der grundlegenden Fehler in unserem Beziehungssystem gewesen.
Nach dem Baden verzog ich mich mit einer großen Tasse Kakao ins Bett. Doch diesmal war ich nicht alleine. Meine neue Errungenschaft, das Smartphone, leistete mir Gesellschaft. Freddy und der nette Verkäufer hatten es mir dankenswerterweise schon ausgepackt, zusammengesetzt und eingerichtet. Bevor ich mich in die Badewanne gesetzt habe, hatte ich es sorgfältig in seine hübsche kleine Aufladestation gestellt, und jetzt wartete es mit grün leuchtender Akku-Anzeige auf mich und war bereit für all die Dating-Abenteuer, die wir hoffentlich zusammen erleben würden.
Seufzend starrte ich auf den großen, hoch auflösenden Bildschirm in meiner Hand. Noch im Laden hatte Freddy eine ganze Weile daran herumgewischt und getippt, um mir allerhand Apps zu installieren. Diese sagenhaften Apps, von denen ich ja schon viel gehört hatte, bräuchte ich angeblich ganz dringend. Ein zögerlicher Wisch, und da waren sie schon: Dutzende kleine Bildchen, gleichmäßig angeordnet. Das meiste war für mich völlig unerklärlich und sinnfrei, und mir sank das Herz ein wenig in die Schlafanzughose. Spontan erkannte ich nur das Telefon-Symbol und den Brief, der die SMS-Funktion symbolisierte. Der Rest sah aus wie ein merkwürdig formatiertes Kinderbuch. Wie sollte ich mich in diesem Wust aus bunten Blasen und winzigen Details jemals zurechtfinden? Freddy hatte mir zwar eine kurze Zusammenfassung über die Funktionsweise eines Smartphones gegeben, aber besonders viel gemerkt hatte ich mir nicht. Der Verkäufer hatte mir ungefähr fünf Mal erklärt, dass ich bestimmt keine Bedienungsanleitung bräuchte, weil so eine Dingsbums-Oberfläche mit Dingsbums-Betriebssystem sowieso selbsterklärend sei.
Wie ich von Freddy gelernt hatte, hießen die einzelnen kleinen Bildchen Icons. Eins dieser Icons immerhin fand ich besonders hübsch: Ein schlichter Stern, der in der Mitte eine schwarze Fläche in der Form eines Herzens freiließ. Mir gefiel, dass das Herz einfach nur schwarz und eigentlich gar nicht da war. Es ergab sich nur aus dem darum herum tanzenden Stern. Grafisch sehr reduziert, ziemlich unaufdringlich. Fast schon elegant. In Kleinbuchstaben stand darunter das Wort luvjah. Ah, das musste diese Datinghilfe sein, von der Freddy mir ständig vorgelabert hatte. Neugierig tippte ich mit der Fingerspitze darauf.
Ein Fenster öffnete sich, in dem ich zur Eingabe meiner Kreditkartenummer aufgefordert wurde. Erschrocken schloss ich das Menü wieder. Zu viele Geschichten aus meiner Schulzeit waren mir noch in Erinnerung, in denen sich Siebtklässler mit Klingelton-Abos in fünfstelliger Höhe verschuldet hatten. Wenn Freddy wirklich glaubte, dass mein nächster Traummann ausgerechnet in den endlosen Weiten des Internets auf mich wartete, dann sollte sie mir dabei helfen. Sie war schließlich die Expertin, die mich zu diesem Experiment überreden wollte.
3
Hairway to Steven
Wie erwähnt, bin ich von Beruf Krankenschwester. Weil ich zu blöd zum Medizinstudium war, sagen meine Eltern (sie verwenden natürlich andere Adjektive als „blöd“. Eher so etwas wie „rebellisch“, „aufsässig“, „unkonzentriert“). Weil ich auf einkommensstarke Männer in weißen Kitteln stehe, sagen meine Freundinnen.
Weil ich gerne direkt mit Menschen zu tun habe, sage ich. Menschen, denen man mit kleinen Nettigkeiten große Erleichterungen verschaffen kann. Die ein bisschen mehr Glück in ihrem Leben gut brauchen können. So einer einsamen, eingeschüchterten Oma mit Oberschenkelhalsbruch bedeutet ein Lächeln von mir einen weiteren guten Tag, und ein Kind mit Hüftdysplasie muss vielleicht die ganze Nacht nicht weinen, wenn ich ihm den nass geschwitzten Rücken unter dem Plastikkorsett mit Baktolan aktiv einreibe.
Es ist natürlich nicht immer so einfach. Es gibt nicht nur nette Omas, glückliche Kinder und heiratswütige Scheichmütter, sondern leider auch die grimmigen Alkoholiker-Frührentner, die sich im Suff zum vierten Mal den Knöchel gebrochen haben. Es gibt Frauen mit 250 kg, die vor lauter Fett und kaputten Knien nicht mehr laufen können und es dann an mir auslassen.
Im Großen und Ganzen habe ich aber echt Glück mit meiner Arbeitsstelle. Ich habe mich gezielt bei einer rein orthopädischen Klinik beworben, wo das Allerschlimmste eine unheilbare Querschnittslähmung ist. Klar, das wünscht man sich auch nicht. Wir sind auch noch spezialisiert auf die kniffligen Fälle, wo die Leute froh sind, wenn hinterher unterhalb des Knies noch ein Stück Bein dran ist. Aber trotzdem, das richtige Elend findet sich bei uns selten. Eine Krebsklinik oder Palliativstation ist da eine ganz andere Nummer. Das könnte ich nicht.
Auch unter Orthopädie-Patienten gibt es natürlich Arschlöcher. Oder, um es etwas netter zu sagen, Patienten mit zeitlich-pflegerischem Mehraufwand. Besonders oft wird man von neuen Knien oder Hüftgelenken über 40 angemacht, die sich ihre Männlichkeit beweisen müssen. Nach dem Motto: Ich hab zwar eine neue Hüfte, aber darüber funktioniert’s noch wie bei einem jungen Hengst. Oder: Statt Joggen muss ich mich jetzt halt auf Pimpern beschränken. Alles schon gehört.
Der Typ „geiler Opa“ ist auch weiter verbreitet, als ich es zu Beginn meiner Ausbildung je gedacht hätte. Die Tatsache, von der Schwester mal die Bettpfanne gereicht bekommen zu haben, scheint für viele einen Freifahrtschein zu sämtlichen anderen Intimitäten darzustellen. Dass man hin und wieder einen Patienten beim Onanieren erwischt – geschenkt. Wo sollen sie auch hin mit ihren Trieben, Nächte im Krankenhaus sind lang. Dass man manchmal nachts um halb drei in ein Einzelzimmer geklingelt wird, um stolz eine Latte präsentiert zu bekommen – okay. Da lache ich drüber und geh wieder raus. Den Kerlen ist das am nächsten Tag auch meistens peinlich.
Aber körperliche Übergriffe gehen gar nicht. Ein einziges Mal bisher habe ich einem Patienten eine gescheuert. Das war so ein „geiler Opa“. Mitte 70, Schulterdyslokation. Ich, gerade 20, musste ihn waschen. Er hatte schon den ganzen Tag zuvor nicht mit anzüglichen Sprüchen á la „Wenn ich jetzt so alt wäre wie Sie, wüsste ich schon, womit ich Ihnen die Mittagspause versüße“