Crazy Love. Eva Kah
Читать онлайн книгу.hervor guckte. Er schaute verdutzt in die Kamera. Etwas unscharf zwar, aber das waren die meisten Fotos der Augenaufschlags-Blondinen ja auch. Einen Versuch war es wert.
Tatsächlich meldete sich auf das Hamsterfoto erst einmal kein neuer Sklave. Ich lag schon im Bett und dämmerte gerade weg, als plötzlich ein lautes Schmatzgeräusch durch mein Schlafzimmer hallte. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis mir klar wurde, was es damit auf sich hatte. Ein Kuss! Meine erste „richtige“ Nachricht war eingegangen! Hellwach griff ich nach meinem neuen Gerät, wischte mit dem Finger drüber und las:
Liebe Hamsterette, wenn du weniger Haare auf den Zähnen als Haare auf dem Kopf hast, würde ich Dich gern näher kennen lernen.
Das schrieb ein Mensch namens Steffen666. Hm. Nicht der intelligenteste Anmachspruch des Universums, aber auch nicht der allerentsetzlichste. Keine Rechtschreibfehler, keine ekligen Anspielungen, kein Foto von seinem Penis. Ich sah zur Sicherheit extra noch mal nach: Nein, kein Schwanzfoto. Fast war ich ein bisschen enttäuscht.
Aber Hey, dafür war die Nachricht offenbar wirklich auf mich gemünzt und enthielt sogar eine objektiv feststellbare Portion Wortwitz! Ich öffnete kurz entschlossen das Antwort-Fenster und beschloss, auf derselben Ebene zurück zu schießen.
Wenn Du in Wirklichkeit nicht der fünfzigjährige Satansrocker bist, den dein Nick vermuten lässt, könnte ich dich glatt treffen wollen. Ich hab zwar schon Haare auf den Zähnen, aber in etwa gleich viele wie auf dem Kopf.
Klar, dass ich mir zu diesem Zeitpunkt schon längst sein Profil angesehen hatte. Steffen666 wohnte in Sendling und war stolze 35 Jahre alt. Beruflich machte er Irgendwas mit Immobilien. Er hörte gern Heavy Metal (klar, dass ihm da meine Haare gefielen) und sah, wenn das Foto nicht log, ziemlich gut aus. Markante Gesichtszüge, strahlend blaue Augen, Kahlkopf. Rasiert. Wohl ein Opfer von Geheimratsecken bis zum Nacken.
Gleich für den nächsten Abend verabredeten wir uns. Er hatte ein kleines orientalisches Restaurant unweit seiner Wohnung vorgeschlagen. Ich willigte gerne ein, obwohl es recht offensichtlich war, welchen Grund es für die Nähe zwischen Restaurant und Wohnung gab. So würde ich, wenn wir uns sympathisch waren, hinterher noch auf „einen Kaffee“ mit rauf kommen können.
Für die Auswahl meines Outfits brauchte ich Stunden: Das neue rote Kleid erschien mir plötzlich viel zu gewagt und die Stiefel nuttig. Als ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg nach Sendling machte, trug ich dann doch die neuen halterlosen Strümpfe zu den Nuttenstiefeln und ein Wickelkleid mit schwarzweißem Karomuster von Freddy. Das Kleid betonte, so hatte mir Freddy tausendmal versichert, meine schlanke Taille bei gleichzeitiger Wegmogelei meiner „starken“ Hüften und der Kaschierung meiner minimalen Oberweite. Allerdings kaschierte es nicht die Spitzenkanten meiner halterlosen Strümpfe, so dass ich bei jedem kleinen Windstoß begeisterte Pfiffe von Passanten kassierte und bei der Ankunft am Restaurant knallrot im Gesicht war.
Glücklicherweise war ich wie immer zehn Minuten zu früh dran und konnte mich am reservierten Tisch in einer halbdunklen Nische wieder erholen, bevor Steffen eintraf und die Kellner begrüßte wie alte Kumpels.
Sein Profilfoto hatte nicht gelogen. Der Mann, der da mit genau zwei Minuten Verspätung auf mich zukam, sah umwerfend aus. Wenn man auf knapp zwei Meter große, leicht trainierte Schlakse mit Glatze und Brille stand. Was ich spontan tat – spätestens, als er mir bei der Auswahl unseres Essens eine kleine Einführung ins Arabische gab. Lässig erzählte er, dass er ein paar Brocken beherrschte, seit er ein paar Monate für einen mittleren Scheich im Oman gearbeitet hatte.
Das einzige, was mich an seiner Erscheinung störte, war das Leinenhemd mit Indianermuster. Es war definitiv mindestens einen Knopf zu weit offen und gab den Blick auf seine breite, muskulöse und komplett haarlose Brust frei. Ob er sich da rasierte? Doch nachdem ich vom Rest des Komplettpakets so angetan war, schob ich das Indianerhemd auf eine seiner vielen Reisen. Wahrscheinlich hingen eine Menge lieb gewonnener Erinnerungen daran.
Er war selbstständiger Architekt mit Home Office. Wie er selbst zugab, hörte sich das nach mehr an, als es tatsächlich hergab. In Wirklichkeit schob er nur Zahlen und Tabellen über den Bildschirm. „Ich mache für zwei große Bauunternehmen das, wofür sich die offiziellen Architekten zu schade sind. Den Ingenieurkram, die Berechnungen. Sozusagen die notwendige, aber lästige Drecksarbeit.“
Selten, aber oft genug, um seine Liebe zum Beruf am Leben zu erhalten, durfte er auf längere Auslandsreisen gehen. Immer dann, wenn eines seiner Bauunternehmen einen Großauftrag an Land gezogen hatte und sich die fest angestellten Familienväter weigerten.
Ich war fasziniert. Gegen diesen freien, unabhängigen Kosmopoliten waren meine bisherigen Urlaubserlebnisse schnöder Mädchenkram. Die zwei Wochen auf Teneriffa, die Max und ich uns im Frühling zu unserem zehnjährigen Beziehungsjubiläum gegönnt hatten, wagte ich gar nicht zu erwähnen, auch nicht den jährlichen Wanderurlaub in Südtirol mit meinen Eltern.
Steffen zeigte sich trotzdem sehr angetan von mir. Er lachte über jeden meiner Witze, erklärte mir geduldig den Unterschied zwischen Architekten und Bauingenieuren, machte mir Komplimente zum „grafischen“ Muster meines Wickelkleids und gab mir ganz nebenbei den besten Lammbraten und den leckersten Weißwein des Jahres aus. Eine ganze Flasche, wirklich nicht die billigste. Er hatte schon gezahlt, als ich vom Pinkeln zurückkam. Selbstverständlich übernehme er die Rechnung, wenn er in Begleitung hübscher junger Damen sei, sagte er. Das fand ich nun ein bisschen schleimig – war das nicht ein Kompliment, das nur noch fünfundsiebzigjährige Päderasten auf dem Spielplatz machten?
Egal. Ich vergaß das sofort, als er unerwartet den Arm um mich legte, mit den Fingern unter mein Haar fuhr und meinen Nacken hinauf strich. Alle hunderttausend Nervenrezeptoren meiner Kopfhaut klingelten Alarm, und von der Stelle der Berührung breitete sich eine Gänsehaut über meine gesamte Körperoberfläche aus. Ich konnte nicht anders, als überrascht und angenehm erfreut zu stöhnen, während er mir den Nacken kraulte und mit meinen Haaren spielte. Er wickelte sich ein paar Strähnen um die Hand und zog meinen Kopf leicht zu sich hinüber, um mir ins Ohr zu flüstern:
„Baby, du hast wunderbares Haar. Davon würde ich gerne noch mehr spüren. Meine Wohnung ist gleich da drüben über die Straße. Ich hab’ extra aufgeräumt, und es gibt eine wirklich gute Espressomaschine. Kommst du mit?“ Er grinste wölfisch.
Ich überlegte. Sexy war für mich immer etwas anderes gewesen: Ein viel sagender Blick, ein schickes Hemd (nicht notgedrungen eines mit Indianermuster). Zeigen, dass man sich für den anderen Mühe gegeben hat. Zusammen auf dem Sofa über denselben Witz kichern. Vertrautheit.
Doch Steffens Unverschämtheit löste zwischen meinen Beinen wider Erwarten eine gewisse Hitzewallung aus. Dass ich diesen Typen trotz des offenen Indianerhemds und der fehlenden Vertrautheit auch mördersexy fand, stand außer Frage. Also überlegte ich nur sehr kurz. „Ja“, wollte ich sagen, aber das Wort blieb auf halber Länge stecken. Mein Mund war zu trocken. Ich nickte stattdessen und stand auf. Das Grinsen meines Gegenübers wechselte von wölfisch zu haifischmäßig.
Noch vor unserem Date hatte ich mir geschworen, nie zu einem Kerl mit einer dreckigen Bude mitzugehen. Leute, die nicht mal ihr eigenes Klo anständig sauber halten können, sind in meinen Augen nicht vertrauenswürdig. Ich habe zu viele Sauereien aus Klinikzimmern geschrubbt, um so was auch noch privat sehen zu wollen. Aber Steffen hatte nicht gelogen. Seine Wohnung war wirklich gleich auf der anderen Straßenseite und nach dem, was ich in den ersten fünf Minuten sehen konnte, tipp topp sauber. Vom Flur bis zum großen Wohn- und Arbeitszimmer. Fast eine Spur unglaubwürdig sauber für einen Junggesellen, eher die Arbeit einer gründlichen Putzfrau. Die er vielleicht sogar von der Steuer absetzen konnte, schließlich arbeitete er auch in seiner Bude. Die Einrichtung bestand in erster Linie aus zweckdienlichen Ikea-Regalen voller akribisch geordneter Unterlagen und einem riesigen Schreibtisch mit einem noch riesigeren Flachbildschirm. Das einzige andere Möbelstück war ein riesiges weißes Ledersofa mit dunkelgrauen Stoffkissen.
„Mach’s dir bequem, Süße!“, schnurrte Steffen, als er mich dort platziert hatte. „Was willst du – klein, stark, schwarz, aufgeschäumt oder gleich eine richtige Latte?“
Für