Crazy Love. Eva Kah
Читать онлайн книгу.Stellen.“ Seine Stimme klang schon etwas brüchig, als würde er vor Respekt vor meinem Haar gleich anfangen zu weinen. Schnell unterbrach ich ihn.
„Äh, Danke. Aha. Haare also. Und was genau soll ich jetzt damit machen?“
„Du sollst… äh, du könntest vielleicht… - würdest du deine Haare um meinen Schwanz wickeln?“
Ich glaube, mein Gesicht in diesem Moment hätte man problemlos fotografieren und als Illustration für ein Englisch-Lehrbuch verwenden können. Und zwar zum Eintrag What the fuck?!
Meine sorgsam gezüchteten, gerade heute wieder aufwendig gehegten und gepflegten Haare um eine fremde Latte wickeln? Oh nein, das würde ich nicht! Aber wirklich nicht – bei allen Birkenwässerchen und selbstgerührten Eier-Bier-Shampoos dieser Erde. Schon allein die Vorstellung gruselte mich zutiefst. Ich stammelte nur ein „Nein, meine Haare sind mir heilig!“ und machte geradezu einen Hechtsprung von dem weißen Ledersofa, das mich abfederte wie ein Sprungbrett im Schwimmbad. In das ich in Zukunft auch immer nur überall gründlichst rasiert gehen würde, man wollte ja keine falschen Hoffnungen bei Haarfetischisten wecken.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich schneller angezogen. Innerhalb von weniger als einer Minute stand ich wieder unten auf der Straße, atmete tief durch und rannte hinüber zu dem orientalischen Restaurant, vor dem mein treues Rad parkte. In meinem Kopf tanzten Bilder von Cameron Diaz in der Komödie Verrückt nach Mary. Der Film war in meinen Teenagerjahren ganz groß gewesen – aus keinem anderen Grund, als dass die von Cameron gespielte Figur Sperma ins Haar bekommen hatte und deshalb mit steil nach oben stehendem Pony durch die Welt laufen musste. Warum sie das Sperma ins Haar bekommen hatte, wusste ich nicht mehr, aber die Bilder waren unsterblich in mein Gehirn gebrannt. Ich wollte sie nicht durch Bilder von meinem Sperma-Pony ausgetauscht haben.
Es war ein lauer Sommerabend, und viele Menschen waren so leicht bekleidet wie ich. Niemandem fiel bei dem Anblick einer nach Hause radelnden jungen Frau im grafisch gemusterten Wickelkleid etwas Besonderes auf, höchstens die besonders gut durchbluteten Wangen. Wenn ab und zu jemand die Ansätze meiner halterlosen Strümpfe herausblitzen sehen sollte, dann war mir das egal. Ich radelte und radelte wie in Trance. Erst daheim begann mir der arme Steffen ein bisschen leid zu tun. Immerhin hatte er mir (abgesehen von seinem Indianerhemd) nichts angetan, sondern soagr denbesten Orgasmus ever beschert. Nachdem ich mich bei einer halben Flasche Geburtstagsprosecco beruhigt hatte (langsam wurden die Vorräte knapp), schrieb ich ihm eine Mail.
Entschuldige meine geschockte Reaktion, aber ich hatte noch nie was in dieser Richtung. Grundsätzlich bist du ganz in Ordnung. Ich glaub, ich bin wirklich die Falsche für so Fetisch-Zeug.
Er antwortete prompt. Scheinbar saß er, ebenso unzufrieden wie ich mit dem Verlauf des Abends, auch auf seinem Sofa und starrte auf den kleinen Touchscreen in seiner Hand.
Das ist kein Fetisch. Guck mal ins Lexikon. Ein Fetisch definiert sich dadurch, dass man nicht ohne ihn kann. Ich könnte aber sehr wohl ohne, wenn ich nur wollte. Ich hatte zum Beispiel auch schon eine Freundin mit kurzen Haaren.
Ach. Wenn ich darauf hätte antworten müssen, wäre die Antwort notgedrungen ziemlich gehässig ausgefallen. So ungefähr wie Wenn du ohne lange Haare könntest, hättest du doch auch bis zu unserem zweiten Date warten können. Oder Wie kurz waren denn die Haare von deiner kurzhaarigen Freundin, bis zur Lendenwirbelsäule oder doch nur bis zum Schulterblatt? Also ließ ich es lieber bleiben, trank ein weiteres Glas Prosecco und ging ins Bett.
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Und Äktschn!
Am nächsten Morgen beschloss ich zwei Dinge. Erstens würde ich nie wieder mit zu einem Typen in die Wohnung gehen – wer weiß, was einem da außer heftigen Orgasmen und haarigen Angelegenheiten noch alles passieren konnte. Mein nächstes Date würde zu meinen Konditionen stattfinden: Ein Beschnuppern in meinem Lieblingscafé eine Querstraße weiter, und ein eventuelles Vertiefen der Bekanntschaft in meiner Bude. In der sicheren Umgebung wäre ich weniger nervös. Ab sofort nur noch Heimspiele!
Zweitens musste die Matte ab. Steffen war zum spontanen Auslöser für die überfällige Trennungsfrisur geworden. Ich hatte Spätschicht, also spazierte ich gleich nach dem Frühstück zu Valentinas Schnittstübchen und eine Stunde später mit einem Pfund toter Hornpartikel weniger wieder heraus.
„Bitte irgendwas Flottes, aber deppensicher“, war mein einziger Auftrag an die Friseurmeisterin. „Und kurz. Viel, viel kürzer. So, dass man das Haar auf keinen Fall noch irgendwo herum wickeln könnte. Machen Sie einfach, bevor ich es mir anders überlege.“
Valentina persönlich hatte mir versichert, der neue kinnlange Stufenbob wäre absolut pflegeleicht und würde auch ohne zwanzig Minuten Föhntheater mit Schaumbällchen und Rundbürste prima aussehen. Ich glaubte ihr das notgedrungen, weil ich weder einen Ionen-Föhn noch Haarschaum und noch nicht einmal eine Rundbürste besaß und mir das alles eigentlich auch nicht zulegen wollte. „Und wenn’s doch zu viel Stress macht, können Sie es auch prima wieder raus wachsen lassen. Sie haben ja sowieso tolle Haare, so schön lang sehen die auch supi-dupi aus, da können viele nur davon träumen. Seidig und weich, und wie die Wellen schimmern…“
„Kennen Sie zufällig einen Steffen?“, lag mir schon auf der Zunge, aber ich sprach es nicht aus. Friseure müssen ihren Kunden ja Haar-Komplimente machen, damit sie wieder kommen. Ich gab Valentina ein hübsches Trinkgeld und stellte auf dem Heimweg ganz erstaunt fest, wie gut sich frische Luft am Nacken anfühlt.
Im Zuge meiner optischen Veränderung brauchte ich natürlich auch ein neues Profilfoto. Der Spontantermin bei Valentina hatte das alte mit dem Hamster zur Produktfälschung gemacht. Praktischerweise bot sich dazu Freddys neuestes Hobby an. Sie sammelt nämlich nicht nur Herrenbekanntschaften und die dazugehörigen Swarowski-Kristalle, sondern auch neue Hobbies. In den letzten zwanzig Jahren waren das bisher Makramée, Salzteig kneten, Schlaufenschals stricken, Osterkränze flechten, Freundschaftsbändchen knüpfen, Seidenmalerei, Ponyreiten, Broschen filzen und Töpfern gewesen. (Das sind jedenfalls die, an die ich mich noch erinnere.) Jedes dieser Hobbies betreibt sie so intensiv, bis ihre soziale Umgebung unter den jeweiligen Produkten halb erstickt und kaum mehr zu sehen ist. Wenn es aber keine Abnehmer mehr gibt für ihre Basteleien, ist sie gelangweilt und wendet sich einer neuen Tätigkeit zu.
Freddy besitzt aber nicht nur eine unausgelastete kreative Ader, sondern auch einen ausgeprägten Sammeltrieb. Sie hat schon Fußballersticker, Überraschungseierfiguren, Achtziger-Jahre-Lederstiefel, Parfümpröbchen, kleine Eulenstatuen und Schneekugeln aus deutschen Städten gesammelt. Manchmal profitiere auch ich von ihrem guten Auge für Krimskrams und ihrer Liebe zu ausgiebigen Flohmarktstreifzügen. Ein paar ihrer Stiefel und Parfümproben haben ein neues Zuhause bei mir gefunden, als sie sich neuen kreativen Ufern zuwandte. Außerdem bin ich immer noch stolze Besitzerin einer bunt bemalten Salzteig-Brezel, die sie mir 1996 zum Übertritt aufs Gymnasium schenkte.
Ihr neuestes Hobby – die Fotografie! – kombiniert auf ideale Art und Weise beide Veranlagungen: Beim Knipsen kann sie kreativ sein UND eine Menge Technikkram sammeln. Außerdem eignet sich das Fotografieren prächtig, um jede Menge unnützes Fachwissen anzuhäufen. Gleich nachdem ich ihr in unserer Nachmittagspause von meinem Date mit Steffen erzählt hatte (die ganz ekligen Details zensierte ich), plauderte sie begeistert über Objektive, Blenden, Lichteinfallswinkel und das supergünstige Stativ, das sie eben auf Ebay ersteigert hatte. Ihr Fotokurs an der Volkshochschule sei der Hammer, und sie suchte im Moment sowieso noch ein Modell für ihre Hausaufgabe.
„Kannst du vielleicht morgen Vormittag gleich, Icki? Hinterher lade ich dich auch zum Brunchen ein. Ist nur für mich, zur Übung, wir kennen uns ja, gell?“
Gutmütig sagte ich zu. Ich war froh, die Eindrücke aus Steffens Wohnzimmer rasch durch die von Freddys kleinem Appartement ersetzen zu können.
Am nächsten Morgen stand ich in ihrem zum Studio umgebauten Zimmer und guckte mir misstrauisch das Buch Der ästhetische Akt an, das unverblümt auf ihrem Ess- und Arbeitstisch lag.
„Sag