Gib mir die Hand. Rudolf Stratz

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Gib mir die Hand - Rudolf Stratz


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ich denke, weil ich gesund bin: Es wird schon nicht so schlimm werden! Er glaubt steif und fest an das drohende Getreideausfuhrverbot und will keine Ankäufe wagen, ich glaube absolut nicht daran und meine, jetzt gerade muss man auf Kosten der Ängstlichen ein grosses Geschäft riskieren . . .

      „Eines von beiden muss geschehen!“ fuhr er fort. „Entweder was Papa will oder was ich will. Nun kann er ja schon seit Monaten nicht mehr in das Kontor und unter die Leute. Im Kontor ist alles von ihm zu stummem Gehorsam gegen ihn oder mich erzogen. Der einzige, der sich einmal ein Wort erlaubt, ist Sruhl Freidkind, der Buchhalter. Aber erstens versteht der nichts vom Weizen und zweitens will er ja weg. Er träumt ja nur davon, alles Weltliche hinter sich zu lassen und da irgendwo in seinem galizischen Heimatnest zwischen Przemysl und Tarnopol Talmudgelehrter zu werden. Mit einem Wort: ich hätte freie Bahn und könnte disponieren wie ich wollte, wenn — ja wenn eben Herr Roloff nicht wäre!“

      Da klang wieder der Name, den Lisa heute morgen im Eisenbahnwagen zuerst gehört. Sie schaute ihren Gatten erwartungsvoll an. Aber der schwieg. Er wollte erst noch einmal gefragt werden, ehe er seinem Herzen Luft machte, und so tat sie ihm den Gefallen: „Du wolltest mir doch erzählen, wer dieser Herr Roloff ist.“

      „Ja — wenn ich es nur selbst wüsste!“ setzte Nicolai. „Oder wenn es sonst jemand wüsste!“ setzte er hinzu, über ihr Erstaunen die Achseln zuckend. „Aber frage doch, wen du willst, in Odessa. Du bekommst keine Antwort.“

      Lisa fiel das eigene, zurückhaltende Lächeln ein, mit dem auch Karl Görwihl in der Eisenbahn über Roloff, mit dem er doch befreundet sein wollte, mehr geschwiegen als geredet hatte. „Aber man kennt doch seinen Namen und wo er her ist,“ sagte sie.

      „Er nennt sich Roba Roloff. Wahrscheinlich weil ihm das gerade so gefällt. Wie er vielleicht noch vor einem Jahr geheissen hat, kann man nicht erraten!“

      „Aber er hat doch seinen Pass!“

      „Einen Pass kann man sich leicht in Russland verschaffen, wenn man es geschickt anfängt.“

      „Aber man sieht ihn doch! Man spricht täglich mit ihm!“

      „Man sieht ihn und es ist nichts Auffälliges an ihm. Man spricht mit ihm und er antwortet in fliessendem Russisch und in Deutsch mit baltischem Anklang — was meiner Überzeugung nach seine Muttersprache ist —, auch in Französisch oder Englisch. Er ist offenbar ein gebildeter Mann — hat viel gesehen und erlebt. Das wirst du auch an seinem Benehmen merken!“

      „Ja — aber von wo ist er denn zu euch gekommen? Daraus liesse sich doch ermitteln . . .“

      Nicolai lachte und schaute, die Papyros im Munde, die Hände in den Hosentaschen, tiefsinnig hinaus in den Garten. „Das ist ja gerade das Unerhörte. Ich kenne nur einen Platz auf der Welt, der — ich möchte sagen, das Nichts ist . . . in dem man untertaucht und alles abstreift, was man bisher war . . . wo Leute aus aller Welt zusammenkommen und alle Spuren sich verwischen . . . erinnerst du dich, wie wir vorhin über den Platz fuhren . . . diese Hunderte von Barfüsslern und Schwarzarbeitern aus dem Hafen, die in die Stadt heraufgeschlichen waren, um den Juden die Branntweinfässer einzuschlagen . . .?“

      „Nun ja . . . und?“

      „Aus dieser Horde,“ sagte Nicolai kaltblütig, jedes Wort wägend, „aus den Schwarzarbeitern im Getreidehafen . . . aus diesem . . . diesem Hexenkessel geradezu, in dem alle nur denkbaren verkommenen und vertierten und verkrachten Existenzen zusammenfliessen — du kennst das nicht so wie wir, die mit diesem Menschenmaterial umgehen müssen — es ist wirklich eine Hölle im kleinen . . . gesetzlos . . . verwildert . . . ohne Ordnung . . . ohne Hoffnung . . . kurz, aus dieser Umgebung hat sich Papa Herrn Roba Roloff herausgeholt und zu einer Art von Vertrauensmann und Berater, beinahe in seiner Krankheit schon zum Stellvertreter, gemacht, der mir nun überall, wo er nur kann, entgegenarbeitet . . .“

      Lisa schloss unwillkürlich die Augen und schauerte ein wenig. Sie sah diese zerlumpten, kohlengeschwärzten, lautlos überall wie scheue Tiere herumstrolchenden Gestalten vor sich. Wie ist denn das nur möglich?“ frug sie halblaut. „Ein solcher Mensch . . .“

      „Ich will ihm nicht Unrecht tun!“ sagte Nicolai . . . „Ein richtiger abgerissener Barfüssler, wie du dir das nun wohl vorstellst, war er nicht. Er trug Schaftstiefel und eine Lammfellmütze und leidliche Kleider und wusch sich, nur eben statt in einer Waschschüssel direkt im Meer. Sie hatten ein Artêl, eine Arbeitsgenossenschaft . . . er, ein paar Juden, ein Haufen Tataren, ein tscherkessischer Edelmann, einige russische Bauern, ein verkommener polnischer Student . . . so trugen sie gemeinsam Getreidesäcke aufs Schiff . . .“

      „Und da sah ihn Papa?“

      „Papa hatte sich im Hafen Abends verspätet — vor sieben Monaten — wenige Tage, nachdem du ins Ausland gefahren warst . . . und fand keine Droschke und ging zu Fuss zurück. Da, an einer einsamen Stelle, überfallen ihn ein paar Kerle — wollen ihm Uhr und Geld wegreissen — ihn womöglich niederschlagen und im Schnee liegen lassen. Er schreit um Hilfe und ein Mann, der da unbemerkt gestanden und sich das gefrorene Meer im Mondschein angesehen hat, springt dazwischen und boxt kunstgerecht mit seiner Faust den Strolchen derart rechts und links an die Ohren, dass sie übereinander fliegen und machen, dass sie fortkommen. Das war Roba Roloff. Papa dankt natürlich seinem Retter und fragt, was er für ihn tun könne, und der sagt: ,Geben Sie mir kein Geld! Geben Sie mir eine kleine Anstellung. Ich verlade seit Wochen bei Ihnen Getreide! Und ich verstehe etwas von Getreide!‘ Und das ist wahr. Seine Weizenkenntnis ist gross! Nicht nur wie bei einem Kaufmann, sondern auch wie bei einem geschulten Landwirt — und es ist auch Instinkt da — oder natürliche Begabung! Seit ihn Papa, zuerst in einem ganz untergeordneten Posten, in das Geschäft genommen, hat er ein ganz anderes Leben in unsere Aufkäufer in der Provinz gebracht. Sie fürchten ihn wie den Teufel . . . die Juden . . . die Gutsbesitzer . . . die Konkurrenz . . . alle! Er wäre höchst brauchbar, wenn er sich nicht eben ganz als Papas gefügiges Werkzeug betrachtete, das alles das ausführt, was er selbst wegen seines Leidens nicht mehr kann, und so mir Licht und Luft nimmt. Also so liegen die Dinge zwischen uns, Lisinka, und nun weisst du, was es für eine Bewandtnis mit der Persönlichkeit hat, die sich Robert Roloff nennt.“

      „Kann man ihn denn nicht fragen, wer er eigentlich ist?“

      Nicolai Sandbauer nahm seinen Tropenhelm und weissen Sonnenschirm. „Versuche es doch! Er wird dir antworten, was er allen zu antworten pflegt: ,Wer unter den Schwarzarbeitern war, hat ein Kreuz hinter sein früheres Leben gesetzt. Das ist begraben. Also lassen wir es ruhen!‘ . . . Und nun komm! Wir wollen zu Papa gehen!“

      III

      So zierlich, beinahe kokett die Villa von Sandbauer junior in der Parkvorstadt der Kleinen Fontäne dalag, so grau und düster war der wenige hundert Schritte entfernte „Choutor“ seines Vaters. Seit dem Tode der alten Madame Sandbauer hatte da keine pflegende Hand mehr gewaltet. Alles war verwittert und verwildert. Der Hausherr, der zusammen mit einer entfernten ältlichen Verwandten als seiner Wirtschafterin das stille, zum grossen Teil unbenutzt abgeschlossene Gebäude bewohnte, hatte auch, als er noch gesund war, nie Sinn und Zeit für den äusseren Schmuck des Daseins gehabt. Dazu lasteten zeitlebens die Sorgen des Weizengeschäfts zu schwer auf ihm. Und nun war er krank, todkrank. Gerade heute ging es besonders schlecht. Der alte ungepflegte Diener, der dem Ehepaar öffnete, zuckte auf die Frage Nicolais nur stumm die Schultern: er wisse nicht, ob man mit dem Gospodin werde sprechen können — und schritt dann auf den Fussspitzen voraus bis zu dem Gartenzimmer, das Dominik Sandbauer, seit er das Haus nicht mehr verlassen konnte, halb als Krankengemach, halb als Privatkontor benutzte. An seiner Schwelle liess er die Besucher allein und zog sich geräuschlos zurück.

      Die Türe war halboffen. Das Innere hüllten die herabgelassenen Vorhänge in Dunkel. Man konnte nur undeutlich die Gestalt des alten Kaufherrn unterscheiden, der in einem Rollstuhl sass, seine Pflegerin Marussja Sandbauer, eine verarmte stille Witwe, neben sich. Sie war stets schwarz gekleidet. Ihr Mann hatte sich vor zwanzig Jahren in der Nacht, ehe der Konkurs über seine Getreidefirma in Cherson verhängt und er nach russischem Gesetz in Personalhaft genommen werden sollte, erschossen.

      Sie war jetzt beinahe


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