Gib mir die Hand. Rudolf Stratz

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Gib mir die Hand - Rudolf Stratz


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meine Privatangelegenheit . . . ich bin doch schliesslich ein Mann zu Mitte der Dreissig . . . und was die Getreideverkäufe betrifft — du lebst doch leider hier ganz abgeschieden . . . du hörst doch nur von Herrn Roloff, was draussen geschäftlich vorgeht — oder vielmehr, du willst es von niemand anderem hören . . .“

      „Nein!“ sagte der Alte: „Denn Roloff hat mehr Verstand wie die anderen alle zusammen.“

      Sein Sohn bezwang sich, um ruhig zu bleiben. Verstand mag er haben — sogar viel, das leugne ich nicht. Aber seinen geschäftlichen Einfluss halte ich für ein Unglück. Mit dieser ewigen Kälte und Ruhe kommt man nicht vorwärts. Man muss doch auch einmal ein bisschen Wagemut in sich spüren. Schliesslich ist doch nicht dieser Mann, den du aus dem Hafen aufgelesen hast, von dem niemand weiss, woher er kommt und wer er eigentlich ist, der Chef der Firma, sondern du und ich. Und da du leider nicht herauskommen und disponieren kannst, so muss ich, der ich mitten in der Welt stehe, es eben an deiner Stelle tun, so wie ich es für das beste halte . . .“

      Dominik Sandbauer hob rasch den Kopf. Ein unheimliches Lächeln spielte über seine abgezehrten Züge. „Und ich bin schon ganz zum alten Eisen geworfen? Beinahe begraben — denkst du? Nein — Nicolai — so schnell geht das doch nicht. Vorderhand bin ich noch da und werde verhindern, dass du zerstörst, was ich mühsam aufgebaut habe . . . Willst du mir dein Versprechen geben, künftig keinen Verkauf ohne Beratung mit mir abzuschliessen?“

      „Wie kann ich das? Du weisst, wie schnell das im Geschäft geht. Man wird antelephoniert oder der Makler kommt, und man muss sich entscheiden.“

      „Also du willst nicht?“

      „Nein.“

      „Gut!“ Dominik Sandbauer drückte auf eine Klingel neben seinem Krankenstuhl und frug ganz ruhig den eintretenden Diener: „Wartet Herr Roloff, wie ich angeordnet hab’?“

      „Er wartet!“

      „Sage ihm, ich liesse bitten, zu kommen!“

      „Ich höre!“

      Der Diener ging. Nicolai hatte im ersten Augenblick eine Bewegung gemacht, als wolle er vor ihn treten, aber dann frug er nur mit einem heiseren Klang in der Kehle, der seine unterdrückte Erregung verriet: „Was hast du denn mit Roloff vor?“

      „Du wirst es sehen!“

      Das klang so schroff, dass Lisa bang auf ihren Mann blickte. Sie befürchtete bei ihm einen Zornausbruch, aber seine weltmännische Haltung siegte. Er lächelte nur verächtlich und ging langsam, wie gelangweilt, auf und nieder. Nun wollte sie sich zurückziehen, wie es die stumme Pflegerin Marussja schon getan, um die Männer bei ihren finanziellen Besprechungen allein zu lassen, aber Nicolai rief sie beinahe ungeduldig wieder her: „Bleib doch nur! Das sind keine Geheimnisse!“ Und sie merkte, dass ihre Gegenwart von ihm und wohl auch von seinem Vater als ein Vorbeugungsmittel empfunden wurde, um sich nicht gehen zu lassen und nicht allzu heftige Auftritte herbeizuführen, Auftritte, wie sie vor langen Jahren, noch ehe sie selbst in das Sandbauersche Haus gekommen, in furchtbarer Weise stattgefunden hatten. Man erinnerte sich wohl noch daran, auch nachdem die Beziehungen zwischen Vater und Sohn sich äusserlich wieder gebessert — aber den wahren Grund ihrer gegenseitigen, von da ab entstandenen Entfremdung wusste keiner und ahnten die wenigsten: Dominik Sandbauer hatte damals Wechsel in Händen gehalten, auf denen sein Name stand, und hatte seinen Namen doch nie auf diese Wechsel geschrieben, die sein Sohn Nicolai in Umlauf gebracht. Er hatte, geschwiegen und gezahlt und die Papierstreifen mit zwei Fingern, als ekle er sich vor ihnen, gepackt und auf den glühenden Holzkohlen unter dem Samowar verbrannt. Dann aber hatte es eine Aussprache mit Nicolai gegeben, nach deren Verlauf jener blass wie eine Leiche das Gemach des alten Herrn verlassen und beide ein Jahr lang nur geschäftlich Worte miteinander gewechselt hatten, bis die Zeit die Kluft überbrückte.

      Das war lange her. Nicolai hatte es wohl schon ganz vergessen. Er besass eine glückliche Gabe, alles zu vergessen, was ihm unangenehm war. Seine Papyros rauchend, stand er gleichmütig mit ironisch-heiterem Gesichtsausdruck da. Lisa war auf ihren Platz am Fenster zurückgekehrt. Da blieb sie. Es war ganz still im Gemach, bis die Türe von aussen aufging.

      Draussen klangen rasche feste Schritte und Robert Roloff trat an dem öffnenden Diener vorbei in das Zimmer. Lisa hatte seinem Kommen mit einem leisen Unbehagen entgegengesehen. Die wilden zerlumpten Gestalten der Schwarzarbeiter, wie sie sie eben noch auf dem Platz vor der Branntweinschenke geschaut, wollten ihr nicht aus dem Sinn. Aber der Angestellte des Hauses Sandbauer und Sohn, der da stand, war ein Mann wie andere, über mittelgross, zu Ende der Dreissig, unauffällig in einen leichten grauen Sommeranzug gekleidet, mit kurzem dunkelbraunem Vollbart. Nichts an ihm verriet, dass ihn die Schlünde des Lebens schon einmal in ihre Tiefen gerissen und dem Tag wieder zurückgegeben hatten, nirgends war an ihm eine Spur der Unterwelt, aus der er kam. Nur war sein Gesicht von der Sonne gebräunter, seine Gestalt straffer und breitschultriger, seine ganze Haltung unwillkürlich selbstbewusster, als es sonst bei einem Kaufmann der Fall war, der sein Leben im Kontor verbracht. Er erinnerte eher an einen Landwirt. Luft, Wind und Sonne schienen ihm von früher her vertraut, und auch jetzt war es ja nicht sein Beruf, in der Stube zu sitzen, sondern auf weiten Reisen durch die Weizengouvernements des südlichen Russlands den Saatenstand zu prüfen und die Aufkäufer der Firma zu überwachen.

      Er begrüsste seine beiden Chefs mit der Zurückhaltung des Untergebenen und verbeugte sich leicht, in einer ihm selbst vielleicht unbewussten ruhig-sicheren Art, vor Lisa. Ihr vorgestellt zu werden, erwartete er in seiner abhängigen Stellung wohl gar nicht, und Nicolai, der auch seinen Gruss nur obenhin erwidert hatte, machte auch keine Miene dazu. Aber sein Vater murmelte doch mit einer Handbewegung: „Lisa — dies ist unser Herr Roloff!“ Und er verneigte sich noch einmal, stumm und gemessen, wie es ihm hier zukam.

      Dabei sah sie, dass sein dichtes braunes Haar an einer Stelle über der Stirne dunkler und wie zusammengeklebt erschien. Und ein diesem Punkte entsprechender Flecken, aber hellrot, war an der weissen Schirmmütze, die er in der Rechten hielt. „Sie bluten ja!“ sagte sie erschrocken.

      Roba Roloff verneinte. „Ich geriet in einen kleinen Judenkrawall hinein — nahe am Magazin Ihres Herrn Vaters — und machte mir Platz. Das ist alles, gnädige Frau!“

      Seine Stimme war tief, mit einem leisen, ehernen Grundklang. Es fiel ihr auf, dass er, wie heute morgen sein Freund Görwihl, nach dem Brauch des Westens „gnädige Frau“ sagte und nicht „Madame Sandbauer“. Das war ein Zeichen, dass er mit der deutschen Kolonie in Odessa nichts gemein hatte. Sie blieb stumm und er wandte sich wieder den beiden Herren zu, um deren Befehle entgegenzunehmen. So konnte sie von der Seite sein Gesicht betrachten. Es lag darauf — im Gegensatz zu der kränklichen Gereiztheit ihres Schwiegervaters, der lächelnden Nervosität ihres Gatten — eine unerschütterliche Ruhe. Man fühlte: den Mann da konnte nicht mehr leicht etwas aus seiner Gelassenheit bringen. Er hatte zu viel gesehen und erlebt und sich in zu viel Dinge und Menschen hineingelebt, um sich noch aufzuregen. Das war ihm nicht mehr der Mühe wert. So waren auch seine Augen . . . hell . . . leidenschaftslos . . . eigentlich heiter. Und was ihm noch etwas Besonderes gab: Wenn er sprach, gestikulierte er nicht mit den Händen, wie es sonst jeder vom Grosskaufmann bis zum jüngsten Laufburschen tat, der sich in Odessa am Glücksspiel des Getreidehandels beteiligte, sondern stand, ohne sich zu rühren, da, — gleich als ginge ihn der Kampf ums Dasein eigentlich gar nichts an, sondern er mache das Spiel nur einmal in philosophischer Ruhe als Unbeteiligter mit.

      „Sie haben mich rufen lassen, Herr Sandbauer?“ frug, er, da der Kranke noch zögerte und, erschöpft und leidend vor sich hinstarrend, mit einem Entschluss zu kämpfen schien.

      Dominik Sandbauer strich die Decke über seinen Knieen glatt, hüftelte und begann dann unvermittelt: „Haben Sie Nachrichten aus Petersburg?“

      „Jawohl! Vorhin!“ Roloff zog eine Depesche hervor.

      „Bitte, lesen Sie!“

      Und der andere las mit seiner tiefen gedämpften Stimme: „Scholims Befinden seit gestern eher wieder schlechter. Doch hat unser hiesiger Arzt immer noch Hoffnung auf Genesung.“

      „Nun also!“ sagte der alte Grosskaufmann. „Da hörst


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