Gib mir die Hand. Rudolf Stratz

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Gib mir die Hand - Rudolf Stratz


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des Chefs heimzuführen, und seitdem auch den Sturz der Firma mitgemacht. Er war halb verrusst, da seine Mutter eine Moskauer Kleinbürgerin gewesen war — selbst sein ursprünglicher süddeutscher Familienname „Haas“ hatte sich, da die Russen das „H“ am Anfang eines Wortes nicht aussprechen können und durch „G“ ersetzen, schon unter seinem Vater in „Gaas“ verwandelt — der stete Aufenthalt in Sibirien, wo er nach dem Vermögensverfall des Schwiegervaters selbständig als Vertreter der Schwarzwälder Orchestrionfabriken tätig und weithin als „Gospodin Gaas“ bekannt war, hatte seine an sich schon rauhen Sitten nicht eben verfeinert, und doch hatte Lisa immer eine gewisse Zuneigung zu Kolja Gaas gehegt, den gutmütigen und ungebildeten Kraftmenschen, der sich das ganze Jahr zwischen dem Ural und dem Stillen Ozean abmühte, um für seine Frau und seine vier Kinder, die seit Jahren im Ausland, nahe am Rhein, wohnten, den Lebensunterhalt zu beschaffen. Er sah sie fast nie — er hatte so gut wie nichts von ihnen, ausser dem Brief, der einmal alle vierzehn Tage nach Irkutsk kam. Aber er war doch zufrieden. Irgendwo in der Welt wusste er ein Häuflein Menschen, die ihn liebten. Das tröstete ihn.

      Er hatte nicht erwartet, Lisa zu treffen, und nahm beinahe verlegen ihre schmale behandschuhte Rechte zwischen seine mächtigen haarigen Hände. Sie auf die Wangen zu küssen, wie es sein Recht als Schwager war, wagte er nicht. Er hatte Scheu vor der eleganten Frau von Welt. Er fühlte sich überhaupt auch jetzt, nach der Verarmung seines Schwiegervaters, immer noch als der mittellose Angestellte von einst, der Eindringling in einem vornehmen Familienkreis. Der Respekt sass ihm, der bis in seine dreissiger Jahre hinein vom in Schicksal als ein armer Teufel in der Welt herumgestossen worden war, zu tief in den Knochen.

      Der Hinterwäldler setzte sich, stiess zwei bläuliche Wirbel von Zigarettenrauch durch die geblähten Nüstern und seufzte tief auf Lisas Frage, wie es ihm ginge.

      „Alles geht schlecht,“ sagte er in seinem harten, russisch betonten und vielfach russisch gedachten Deutsch. „Man verdient kein Geld! Jetzt war ich wieder in Asien bis zur Mandschurei. Aber mache einmal ein Geschäft mit diesen sibirischen Kaufleuten. Verkaufe diesen Heiden ein Orchestrion! Es sind Wilde! Ich glaube, wenn sie unter sich sind, laufen sie noch auf allen Vieren. Mit diesen Räubern muss man sich plagen . . . Schnaps mit ihnen trinken . . . Schnaps nach der Elle . . . ein Gläschen neben dem anderen steht längs des Ellenmasses . . . nun trinke, Bruder . . .“

      „Und man tut’s?“

      „Wie denn nicht? Erbarme dich: wie soll man sonst einen Auftrag bekommen? Ist der Sibiriake trunken, dann kauft er . . . ich habe gesehen, wie nach dem Essen Wirt und Gäste alles zerschlagen haben, was da war . . . das Geschirr . . . die Spiegel . . . die Fenster . . . die Stühle . . . sie riefen nach Äxten und zertrümmerten das Parkett, die Unholde . . . ich stand dabei und schämte mich für sie und hatte meine Bestellung in der Tasche . . .“

      „Also hast du doch Bestellungen?“

      Kolja Gaas schleuderte die ausgebrannte Papyros achtlos in die Ecke, schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel und lachte grimmig auf. „Bestellungen! Ja — das war früher! Aber jetzt! Das Unglück verfolgt mich! Nichts zu machen! Ich war doch jetzt im fernsten Osten — ich hatte mir eigens chinesische Walzen für die Mongolen aus dem Schwarzwald schicken lassen — die carillon chinoise, die Hymne Che To R’Hoa — den Shanghaiwalzer Tang-Hu-Tschuan — alles umsonst! Nein — es ist kein Segen mehr in dem Handel!“

      Seine kleinen, wässrig blauen Augen funkelten grimmig unter der flachsgelben Mähne. Dann zündete er sich eine neue Zigarette an und sagte ruhiger geworden: „Ich hab’ dich heute morgen schon mit deinem Mann fahren sehen. Ich hab’ euch umsonst zugewinkt — aber ich war doch froh, wie ihr beide da in Frieden nebeneinander gesessen seid.“

      „So sollt’ es bleiben!“ fuhr er zögernd fort, den Blick auf der Asche, die er abstreifte. „Du weisst: Ich halte viel von Nicolai! Er hat das, was nach Russland gehört . . . die . . . die . . .“ Er fand das deutsche Wort nicht gleich . . . „die schirokaja natura . . . die weite Brust . . . den Sinn für grosse Unternehmungen . . . Er hat nicht das Kleinliche der alten Schule! Lasst ihn nur erst ans Ruder kommen! Ihr werdet euch wundern! Er macht die Geschäfte leichthin . . . aus dem Handgelenk . . . spielend gewissermassen wie ein Grandseigneur . . . aber er macht sie gut! Denn er ist kühn. Kühn muss man sein!“

      Lisa hörte stumm das Lob ihres Gatten von den bärtigen Lippen des Sibiriers. Wie kam er dazu? Der Schwager war schon seinem Bildungsgrad nach gar nicht im stande, Menschen und Dinge, die ein bescheidenes Mittelmass überstiegen, zu beurteilen. So dachte sie sich nur: Was wird er nun wieder von mir wollen, dass er Nicolais Lob singt?

      Und in der Tat hub Gospodin Gaas etwas unsicher an: „Ich hab’ dies asiatische Leben satt. Oft wenn ich dort zwischen diesen Vierfüsslern sitze und sehe, wie sie den Champagner aus der Suppenschüssel trinken, seufz’ ich im stillen und denk’ mir: bin ich ein Zigeuner? Bin ich ein Tatar? Bin ich euresgleichen? Ich bin ein Europäer! Dahin will ich zurück. Dein Mann soll neulich von mir geäussert haben, ich sei ein sibirischer Yankee! Das Wort macht mich stolz! Erinnere ihn doch daran, wenn . . . wenn bei euch eine Änderung eintreten sollte . . . und er ganz frei verfügen . . . und . . . und . . . etwa eine Stellung in eurem Geschäft besetzen kann . . . ich wäre herzlich froh, sie zu bekommen. . .“

      „Gut!“ sagte Lisa kalt. Sie konnte ihm ihre Hilfe versprechen. Denn Nicolai war in der Tat seinem ungeschlachten Verwandten sehr zugetan, dessen naive Bewunderung seiner Eitelkeit schmeichelte. Wo die sich in einem Menschen spiegeln konnte, da hatte der bei ihm gewonnenes Spiel. Ohne den Einspruch seines Vaters hätte er dem Sibirier schon längst einen Vertrauensposten bei sich eingeräumt.

      Aber der Widerwille ob dieses ewigen Betteltums war in Lisa so gross, dass sie aufstand und nach der Türe ging. Sie hätte den beiden stumpf und sorgenvoll dasitzenden Männern ins Gesicht rufen mögen: Seht ihr denn nicht, wie ihr euch nicht nur vor mir erniedrigt, sondern auch mich vor Nicolai und mir selbst, dadurch, dass ich in euren Augen nichts anderes mein Leben lang sein soll, als eure Vermittlerin bei einem reichen Mann, gleich als ob ich selbst ihn nur des Geldes wegen genommen hätte und nun ebenso weiter für alles, was an mir hängt, Almosen sammle? Aber sie hielt an sich und frug nur mit trockener Kehle: „Ist Tonja oben in ihrem Zimmer? Dann will ich ihr guten Tag sagen.“

      Tonja war die älteste der drei Schwestern, fünfzehn Jahre älter als Lisa, seinerzeit ebenso schön wie sie jetzt, und — als das Elternhaus noch in vollem Glanz dastand — viel gefeiert und umworben. Aber sie hatte sich zu lange besonnen, das Unglück kam, die Freier blieben aus. Nun lebte sie seit Jahren verbittert und verblüht einsam mit dem Vater hier im Vorstadtwinkel, besorgte ihm, da seine Hände infolge des Branntweintrinkens zu sehr zitterten, seine geschäftliche Korrespondenz und wusste auch unten, in der Reparaturwerkstätte der Orchestrions, in dem geheimnisvollen Inneren der Schwarzwälder Ungetüme, mit Zinn-Violin-Viola und Cello, mit Flöten dulce et forte, mit Violonbass und Subbass, Crescendo und Decrescendo, Pikkolo, Dulciana und Bourdon beinahe besser Bescheid wie der kleine Ehrenbürger und der Sibiriake miteinander. Unter Menschen kam sie selten. Sie sprach auch nur, was sie musste — und das scharf und hart. So war ein Zusammensein zwischen den Schwestern nie von langer Dauer.

      Sie küssten sich. Dann frug Tonja dasselbe, was Lisa von allen hörte. „Also nun bist du doch wieder zurückgekommen?“

      „Ja.“

      „Und bleibst bei Nicolai?“

      „Ja.“

      „Ich hätt’ es nicht geglaubt . . .“

      Lisa zuckte müde die Achseln. „Was hätt’ ich tun sollen?“

      „Ich weiss nicht. Aber das hätt’ ich nicht getan!“

      Über das schöne Antlitz ihrer Schwester glitt ein trauriges Lächeln. „Glaubst du etwa auch, wie Papa und Kolja unten, dass ich mich nicht von meinen Pariser Toiletten und meiner Equipage und meiner Dienerschaft zu trennen vermag, die Nicolai mir zahlt?“

      „Nein. Du bleibst bei ihm, weil du ihn eben doch noch liebst!“

      „Ja!“ sagte Lisa einfach.

      „Und er liebt dich nicht! Er


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