Gib mir die Hand. Rudolf Stratz

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Gib mir die Hand - Rudolf Stratz


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umher, ob er nicht irgend ein dienstbares Wesen fände — ein kraftvoll gebauter, mehr als mittelgrosser Mann, eine weisse Schirmmüsse über dem tiefgebräunten, von einem kurzgeschnittenen Vollbart umrahmten Gesicht. Sie erkannte Roba Roloff.

      Und zugleich sah auch er ihr helles Kleid in der Laube schimmern und grüsste, draussen in der Sonne stehen bleibend, ehrerbietig. „Verzeihen Sie, gnädige Frau, dass ich hier eindringe . . . aber der Dwornik scheint zu schlafen!“

      „. . . und ich war ein halbes Jahr weg!“ sagte sie, sich erhebend, mit einem leichten Seufzer. „. . . und da Sie russische Dienstboten kennen, wissen Sie, dass ich jetzt erst wieder von Anfang an neu Ordnung schaffen muss! . . . Suchen Sie meinen Mann, Herr Roloff? . . . Er ist schon vor gut zwei Stunden ins Geschäft gefahren . . .“

      „Ich komme vom Kontor, gnädige Frau. Dort ist Herr Sandbauer nicht.“

      Sie zuckte unmerklich zusammen. Der vor ihr bewahrte seine unbewegliche Miene. Und doch wusste sie genau, dass er in diesem Augenblick dasselbe dachte wie sie: der Chef der Firma war zu Madame Yannopoulo geeilt, um dort seinen Zorn über den Auftritt mit dem Vater auszuschütten und sich beruhigen zu lassen.

      Aber sie behielt äusserlich ihre Gleichgültigkeit bei. „Mein Mann wird jedenfalls noch hinkommen! Dann können Sie ja mit ihm sprechen!“

      „Aber nicht allein!“ sagte Roba Roloff mit seiner tiefen Stimme. „Und es hätte mir viel daran gelegen!“

      Er verstummte und zögerte, wie um sich zu verabschieden. Und sie war im Begriff, ihn durch eine Neigung des Kopfes wieder gehen zu heissen. Das war gegenüber einem Angestellten des Hauses, der in Geschäften kam, das Natürliche. Aber dann fiel ihr ein: gerade diesem Mann, der eine so seltsame Vergangenheit in den Tiefen des Lebens hinter sich hatte, wollte sie keinen Hochmut zeigen. Ihn konnte kränken, was bei einem anderen selbstverständlich war, und so sagte sie: „Aber Sie stehen da in der Sonne! Wollen Sie nicht einen Augenblick Platz nehmen?“

      Roloff setzte sich mit einer stummen Verbeugung ziemlich weit von ihr auf die Ecke eines Gartenstuhls und sah sie ruhig, fragend an. Offenbar erwartete er, dass sie irgend einen Auftrag für ihn habe. Sie fühlte plötzlich eine leichte Verlegenheit, und auch das schien er zu merken. Denn er begann nun seinerseits rasch und bestimmt.

      „Gnädige Frau . . . da Sie ja vorhin bei unserem Gespräch dabei waren . . . ich weiss, meine Ernennung zum Prokuristen — überhaupt meine Anwesenheit in der Firma ist Ihrem Herrn Gemahl unangenehm. Ich möchte ihn nun gerne versichern, dass mir nichts ferner liegt, als mich da eindrängen und etwa dauernd festfetzen zu wollen. Ich rechne durchaus damit, sofort entlassen zu werden, wenn Ihr Herr Gemahl einmal in der Lage ist, völlig selbständig zu disponieren. Ich finde ja auch Stellungen genug. Man ist hier in der Branche auf mich aufmerksam geworden. Wenn ich nicht jetzt schon ausscheide — angesichts der Abneigung Ihres Herrn Gemahls — so tue ich das nur wegen des alten Herrn Sandbauer. Ich kann nicht zur Konkurrenz übergehen und gegen einen Mann kämpfen, der mein Wohltäter ist . . . der mich gewissermassen an der Hand gefasst und mir geholfen hat, ein neues Leben zu beginnen. Deswegen allein bleibe ich vorderhand und habe ich auch heute die Prokura angenommen . . . Das hätte ich gerne Ihrem Herrn Gemahl unter vier Augen erklärt.“

      „Vielleicht schreiben Sie es ihm.“ Lisa sagte das, nur um etwas zu sagen. Die merkwürdige Beklommenheit, die sie sonst gar nicht kannte, wollte nicht von ihr weichen.

      „Dazu ist es zu spät! Die Kontorpause, während der ich herausfuhr, ist gleich um.“

      Und mit dem halben Lächeln, das sie schon kannte und das sein Gesicht so eigen erhellte, setzte er hinzu: „Ich habe ohnedies schon die Unterrichtsstunde versäumt, die ich sonst um diese Zeit bei unserem Buchhalter Sruhl Freidkind nehme.“

      Es wunderte sie, dass dieser grosse starke Mann noch etwas lernen solle, und sie frug: „Weiss denn Herr Freidkind etwas, was Sie nicht wissen?“

      Er lachte: „Ich habe nur praktische Kenntnisse, gnädige Frau! Doppelte Buchführung und all das versteht vorläufig jeder Lehrling besser als ich. Und ich will doch ein ganz geschulter Kaufmann werden.“

      „Und dem opfern Sie auch noch Ihre Mittagsruhe?“

      „Hauptsächlich den Sonntag. Da kommt Freidkind zu mir hinaus nach Hadschi-Bey.“

      „Da draussen wohnen Sie . . . in der Steppe?“

      Er bejahte. „Da hab’ ich mein Pferd und meine Flinten und meine Hunde und ein Boot und Angelgerät für den See. Da ist es schön.“

      „Aber es ist doch sonst fast niemand dort!“

      „Ja — eben, gnädige Frau.“

      Dabei lächelte er wieder heiter, wie jemand, der sich im Besitz eines Geheimnisses vor anderen weiss — der Kunst, ohne Menschen auszukommen.

      Sie frug weiter: „Da haben Sie hier wohl wenig Verkehr in Odessa?“

      „Wie sollte man mit mir verkehren, gnädige Frau?“ sagte er ganz unbefangen. Man weiss doch, von wo ich komme. Nur Herr Görwihl . . . Sie kennen ihn?. . .“

      „Den Vertreter des grossen englischen Hauses?“

      „Ja. Mit dem und seiner Frau bin ich manchmal zusammen.“

      Er wollte sich bei diesen Worten erheben und griff nach seiner Mütze. Ihr Blick fiel wieder auf den ausgewaschenen Blutflecken über dem Schirmrand.

      „Sie haben uns etwas verschwiegen!“ sagte sie schnell und fühlte, wie sich ihre Wangen leicht röteten. „Mein Vater hat mir jetzt erzählt, dass Sie heute vormittag einem Menschen das Leben gerettet haben.“

      „Ja — sie hätten den armen Hebräer wahrscheinlich totgeschlagen!“ bestätigte Roba Roloff so gelassen, als handelte es sich um das Schicksal einer Fliege.

      „Und Sie beinahe mit!“

      „Nein. Mir tun die Schwarzarbeiter nichts! Wir kennen uns doch!“

      Mit leisem Grauen dachte Lisa an die zerlumpten, langmähnigen und kohlenberussten Wilden, die sie heute überall auf Strassen und Plätzen bei ihrem Zerstörungswerk beobachtet hatte. Das waren Geschöpfe, die nach der allgemeinen Odessaer Anschauung nur noch halb zu den Menschen rechneten. Es dünkte ihr ganz unmöglich, dass dieser europäisch gekleidete, ihr ruhig, mit höflicher Ehrerbietung gegenübersitzende Mann je unter diesen Ausgestossenen gelebt haben könne.

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin heute ein paarmal mitten darunter gekommen. Es sind furchtbare Menschen!“

      „Unglückliche!“ sagte Roba Roloff.

      „Aber doch auch Verbrecher!“

      Er verneinte: „Sie wollen nichts Böses, sie tun es bloss — Sie wissen es nicht besser. Ihr Leben heisst Leiden. Sie tragen Getreide ins Schiff und haben selbst nichts zu essen, sie tragen Kohlen heraus und erfrieren selbst im Winter . . . sie sehen bei anderen Kleider und haben selbst nur Lumpen — sie sehen Nachts helle Fenster und gehen in leere Fässer und Strassengräben schlafen — keiner erbarmt sich ihrer. Nur der Staat, die Krone, mischt für sie Gift und macht sie durch ihren Branntwein zu tobenden Tieren und jagt sie dann durch ihre Kosaken wieder an die Arbeit, und gibt ihnen für das bisschen Geld, das sie da verdienen, wieder Branntwein und lässt dann wieder die Kosaken kommen. Erwägen Sie selbst, wie ein Mensch da werden soll. Jeden Tag lehren die Popen: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!’ Ich habe noch keinen gefunden, der die Schwarzarbeiter geliebt hätte . . .“

      „Und Sie selbst . . . haben Sie denn nicht einen Schrecken, wenn Sie an diese Leute zurückdenken?“

      „Ich gehe jetzt noch oft in den Hafen hinunter und setze mich zu ihnen und unterhalte mich mit ihnen, gnädige Frau.“

      „Aber warum denn . . .?“

      „Nun — es sind doch auch Menschen. Wenn auch andere wie die hier oben!“

      „Und Sie ziehen wirklich die da unten vor?“

      „Ich schaue die einen an und


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