Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.die junge Dame in Weiss, mit dem weissen Band am Strohhut, die eben vorüberfährt . . .?“
„. . . die da alleene im Wagen sitzt . . .?“
„. . . und selbst chauffiert! Hinter der fahren Sie her! Hier, Mann Gottes, haben Sie zwanzig Märker!“
„Nanu?“
„Dafür finger Sie folgendes: Sowie wir an rotes Licht kommen, stoppen Sie dicht neben dem Wagen drüben — oder besser noch unmittelbar dahinter . . . so dass ich aussteigen und mich schnell, ehe es weiter geht, neben die Dame in dem anderen Wagen setzen kann! . . . Wie? Nun dämmert’s Ihnen! . . . Also los!“
Es war noch zu früh für Verkehrsstockungen. Der Kurfürstendamm lag noch leer und verschlafen, nach dem brausenden Menschengewimmel, dem tausendfachen Gehupe der Autos, den taghellen Bogenlampen und laufenden Lichtbändern und blauen, roten, gelben elektrischen Girlanden der Mitternacht. Das Auto mit der jungen Dame un Weiss am Steuer glitt gleichmässig und flüchtig an den kritischen Strassenecken vorbei. Die Taxiroschke, ein ausgedienter Herrschaftswagen, rasselte kurzatmig, aber rüstig wie ein steinalter Renngaul, hinterher. Male Matteis merkte es nicht. Sie hatte keine Zeit, den Kopf zu drehen. Jetzt, gegen die Gedächtniskirche hin, wurde das Gerolle der Autobusse und Elektrischen dichter. Der kleine Wagen schlüpfte in Schlängellinien zwischen den Kolossen durch. Stoppte vor der fernen, breiten Brust des armespreizenden Schupos. Im selben Augenblick war der Taxameter neben ihm. Christof Vohwinkel sprang heraus. Die drei Schritte auf seine Schwägerin zu. Sie sah ihn . . . Sie sass hilflos. Sie konnte nicht vorwärts und nicht zurück . . .
„Ihnen hat wohl der Dokter Bewejung verordnet, det Sie hoer zu Fuss mang dem Fuhrwerk ’rumloofen!“ Ein Geschäftsbote schob sich mit seinem Dreirad zwischen die beiden Autos und trennte den Architekten Vohwinkel von dem Matteis-Wagen drüben. „Nu machen Sie mal fix Schlusssprung retour in Ihre Karre! Et jeht wieder los!“
Die kleine Wagenburg ruckte an und rollte. Vohwinkel hatte durch das Aussteigen Zeit verloren. Er sah den Strohhut mit dem weissen Band hundert Meter vor sich in voller Fahrt. Er hatte einen neuen Einfall. Er liess den Chauffeur in die Kurfürstenstrasse einbiegen. Er jagte ihn in Polizeiwidrigem Tempo durch das stille, von Verkehrsschutzleuten unbewachte Geheimratsviertel, über die Potsdamerbrücke, die Viktoriastrasse entlang nach dem Kemperplatz. Dort musste ihm seine Schwägerin auf dem eigentlichen Weg, der Tiergartenstrasse, in die Arme laufen. Kaum hielt er hinter dem Roland an der Ecke der Lennéstrasse, da sah er sie, inmitten eines ganzen Rudels sausender Wagen, herankommen. Sie umrundete vorschriftsmässig langsam, zur Hälfte das Denkmal in der Mitte: Sie musste jetzt an ihm vorbei. Nein. Sie hatte ihn bemerkt. Sie fuhr einfach den Kreis weiter, schwenkte, ihm den Rücken kehrend, rechts ab, durch die Bellevueallee schnurgerade in den Tiergarten hinein.
Der Architekt Vohwinkel konnte ihr nicht folgen . . . Er war durch das standing sich drehende Karussell immer neuer Autos von ihr getrennt. Er überlegte mit zusammengebissenen Lippen: Die Stockungen am Brandenburger Tor würde sie vermeiden. Sie würde längs der Spree hinaufjagen. Er fuhr in einem Sturmtempo nach der Alsenbrücke. Schnellte im Rücksitz des Taxameters empor: Da flitzte gerade vor ihm der Matteis-Six hinüber auf das andere Ufer. „Chauffeur: nun aber hinterher!“ Eine Jagd durch die Strassenzüge des Nordens. Christof Vohwinkel war nur noch zehn Meter hinter dem Wagen seiner Schwägerin — nur noch fünf — Sie wusste es . . . Sie schaute erbittert über die Schulter. Aber sie konnte nicht schneller fahren. Ein unbehilflich rumpelnder Mörtelwagen versperrte ihr den Weg. Der Architekt Vohwinkel lächelte siegesgewiss. Da türmte sich im letzten Augenblick vor ihm jäh das grosse, lähmende Verkehrshindernis Berlins: In der Mitte der Strasse, sie in zwei Hälften spaltend, hielt gemächlich die Elektrische. Sie hatte Zeit. Rechts am Bürgersteig stand, die Strassen-hälften sperrend, ein alter Gemüsekarren. Er hatte auch Zeit. Dazwischen war kein Raum mehr für dir Durchfahrt. Alles übrige konnte warten. Male Matteis war gerade noch vorher durchgewitscht. Ihr Schwager sah sie und ihren Wagen durch die endlose Invalidenstrasse hin immer kleiner und kleiner werden und verschwinden.
Das Mädchen in Weiss fuhr, ohne sich noch einmal umzusehen, dahin. Sie schwenkte in einem gewaltigen Bogen quer durch das ganze Berlin des Ostens wieder in der Richtung nach der Oberspree. Sie kam allmählich aus den Vorstädten hinaus, in das Bereich der Bauzäune, Sportplätze,
Müllstätten, Kiesgruben, der letzten freistehenden Mietskasernen, der einzelnen Fabriken auf freiem Felde.
Neben einer solchen russigen Hochburg von Schloten, Schuppen, Höfen, niederen Dächern lag eine rote Backsteinvilla. Das Gitter ihres Vorgartens öffnete sich vor dem Auto. Male Matteis hielt an dem Haustor und sagte im Aussteigen zu der Portierfrau:
„Mein Schwager fährt hinter mir her! Ich glaube, er will mich umbringen! Wenn er kommt, sagen Sie ihm, dass ich mich in keiner Weise vor ihm fürchte! Er soll also nicht gewalttätig eindringen, sondern sich manierlich bei mir melden lassen, wie es sich gehört!“
7
Male rannte die Treppe hinauf. Auf dem Flur hörte sie schon aus dem Salon die erhitzte Stimme der Mutter. Dazwischen das kräftige Kanzelorgan des Onkels Theodor, des Pfarrers aus der Altmark:
„Gott ist allwissend, Amalie, aber die Menschen nicht!“
„Wo der Hellseher mir doch damals genau gesagt hat, wie das gestohlene Teeservice aussah . . .“
„Das ist so echt euer Berlin! In die Kirche geht ihr nicht . . .“
„. . . wo er mir Stück für Stück beschrieben hat — die Silberkanne . . . das Sieb . . .“
„. . . aber zu solch abergläubischem Getue . . .“
„Ich hab’ mein Silber doch wieder!“
„Durch die Polizei!“
„. . . nachdem der Hellseher die nötigen Winke gegeben hat! Ich schwör’ auf den Strohmeyer!“
„Herr — vergib ihr!“ Der Pfarrer Schuh wandte sich mit einem Seufzen von seiner Schwester. Er war ein langer, dünner Mann mit einem ganz feinen, rosig zarten, in einer graublonden Vollbartwildnis kaum erkennbaren Gesicht. Frau Matteis war jünger al ser, Anfang fünfzig, mittelgross, beweglich, lebhaft wie ihre Tochter, auf die sie mit gerungenen Händen losstürzte.
„Male! Endlich! Da bist du! Um Gottes willen . . . Erzähle . . . Erzähle . . .“
„Ich hab’ dir ja schon alles am Telefon erzählt! Mehr weiss ich selbst nicht!“ Das junge Mädchen warf aufgeregt Hut und Handschuhe auf den Rundtisch, hinter dem auf einem Sofa die Tanten Minna und Aurelia sassen, die eine, das alte Fräulein Schuh, die Schwester ihrer Mutter, die andere, die Frau des Pfarrers, ihre Schwägerin. Der Polytechniker Schuh, deren Sohn, stand daneben. Da war noch die Primanerin Lotte und der junge Bankbeflissene Karl Matteis, Kinder des auch achon verstorbenen, vervetterten Kommerzienrats Matteis — alle teils ohnedies zu Besuch im Haus, teils telefonisch zusammengetrommelt, alle Aktieninhaber des Familienclans der Matteis-Automobil A.-G., alle Frauen und Jugendliche, ausser dem Wort Gottes vom Lande, dem gegenüber den Geheimnissen Berlins weltfremden Pfarrer Schuh. Male hielt sich, in dem allgemeinen Wirrwarr, die Ohren zu.
„Kinder — tut mir den einzigen Gefallen und schreit nicht alle durcheinander!“ sagte sie. „Mit dem Gerede und Gejammer um die Elfi kommen wir nicht weiter! Es muss gehandelt werden! Ich muss handeln! Ich bin der einzige Mann in der Familie! Verzeihe, Onkel Theodor — ich meine natürlich nur in solchen Abenteuern und Gefahren, wie sie jedem bevorstehen, der sich in diese dunkle Mordsache hineinmengt! Wie?“ Sie wandte sich zu ihrer Mutter. „Offenbar hat er sie in der Nähe von Fuensanta ermordet! Ich fahre sofort hin und stelle Nachforschungen an . . .“ Sie klingelte. „Laufen Sie rasch hinüber ins Büro, Martha!“ befahl sie dem eintretenden Mädchen. „Ich lasse Herrn Gilg, den spanischen Korrespondenten, bitten, sich sofort zu mir hierher zu bemühen! . . . Ja. Er hat die Elfi ermordet, Mama! Augenblicklich ist er hinter mir her, wahrscheinlich, um mich auch auszurotten! Er ist auf dem Weg! Er wird gleich da sein!“
„Um Gottes willen . . . die Polizei . . .“
„Die Polizei gibt ja ihren Segen