Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.in der Fabrik. Ich kann also unmöglich in dieser Zeit in Spanien gewesen sein. Ich war überhaupt nie dort. Ich spreche keine Silbe Spanisch. Ich habe keine Ahnung von den dortigen Menschen und Dingen. Leute, die dir glauben, dass ich in Fuensanta die Hand im Spiel hatte, wirst du allenfalls in ’ner Gummizelle auftreiben — aber sonst nirgends auf der Welt!“
„Ich werde bald selbst verrückt!“
„Aber dann spiele bitte nicht gegen mich den wilden Mann und versuche nicht, dein Schuldbewusstsein auf mich abzuwälzen! Das Unterfangen ist kindisch! Das musst du selbst in deinem ersten lichten Augenblick begreifen . . . Ich glaube, du hast jetzt gerade einen . . .“
„Ja. Ich sehe es ein . . .“ Christof Vohwinkel sprach mühsam, den Blick ins Leere. „. . . Ich . . . kann . . . diesen Verdacht . . . nicht aufrecht erhalten . . . diesen Verdacht gegen dich . . . Er kam mir so . . . in meinem Fieberzustand . . . Man klammert sich an einen Strohhalm . . .
Nein. Nein. Nein. Dann ist alles beim alten! Dann ist die Elfi wirklich tot!“ Der schöne Mann am Fenster schrie es auf. Er brach plötzlich zusammen. Er legte im Sitzen die Stirn auf die Knie. Er weinte hell wie ein Kind. Seine Stimme schluchzte erstickt. „Ich weiss ja, dass sie tot ist . . . tot . . . tot . . . tot . . .“ Der Architekt Vohwinkel stöhnte es auf. Er hatte tränenfeuchte Augen. Er schaute wirr zur Zimmerdecke. Er trommelte mit den Fäusten auf den Knien und sank plötzlich wieder wie ein zuckender Klumpen Kleider in einen neuen fassungslosen Weinkrampf zusammen. Seine Schwägerin beobachtete ihn forschend und feindselig vom anderen Ende des Zimmers. Sie schob dabei langsam ihren kleinen Revolver in die Seitentasche ihrer weissleinenen Jacke zurück.
„Nee — der Mann ist nicht mehr gefährlich . . .,“ versetzte neben ihr, wie aus ihren Gedanken heraus, eine halblaute Stimme. Der Rechtsanwalt Burhem war eingetreten. Er senkte den hageren, bartlosen Kopf zu seiner Klientin hinab. Auf seinen beweglichen Zügen zuckte jetzt nicht die gewohnte nervosa Ironie. Die klugen Augen hefteten sich durch den goldenen Zwicker durchdringend ernst auf den still weinenden Mann am Fenster.
„Laufen Sie Sturm!“ flüsterte er. „Er ist jetzt weich! Nutzen Sie die Zeit! Stellen Sie sich vor ihn hin! Reissen Sie ihm das Geständnis aus der Seele . . . So . . .“ Er folgte Male Matteis, die hastig aufsprang und durch das Zimmer auf den Architekten Vohwinkel zulief. Er satnd schutzbereit hinter ihr und schaute ihr über die Schulter. Sie beugte sich zu dem gebrochenen Mann auf dem Stuhl.
„Einmal muss es doch sein! . . .“ sagte sie entschlossen zwischen den Zähnen. „Warum quälst du noch dich und andere? . . . Sprich die Wahrheit . . .“
Eine wilde, entsetzte, abwehrende Bewegung unter ihr. Male Matteis schüttelte den Kopf. Sie beharrte, mit ihrer klaren, hellen Stimme: „Erleichtere dein Gewissen! Du hast dich doch in deinen eigenen Schlingen verstrickt! Du kannst die Widersprüche nicht aufklären! Es bleibt dir nichts übrig, als zu gestehen! Du wirst viel ruhiger werden, wenn du die Last von der Seele hast!“
„Ich war es doch nicht! Ich will nicht sterben!“ Die Stimme Christof Vohwinkels gellte durch das Zimmer. Er sprang empor. Er stand wildkeuchend da. Er griff sich mit der Hand zwischen Hals und Kragen, wie um sich in einem Ersticknungsanfall Luft zu schaffen. „Lasst mich in Ruhe! Verstanden? — Ich hab’ hier schon Leute um mich genug! Was wollen Sie denn auch noch hier, Sie Gerichtsschreiber oder wer Sie sind? . . . Ich brauche Sie nicht . . . Ich will allein sein! . . . Ich . . . ja . . . ich werde jetzt also wieder gehen!“ Der Architekt tat mechanisch ein paar Schritte zur Tür. „Mein Auto ist unten!“
„Meines auch!“ sagte der junge, blonde Referendar. „Der Untersuchungsrichter hat es sehr missfällig vermerkt, dass Sie heimlich das Sanatorium verlassen haben! Er wünscht, Sie daraufhin sofort einem Verhör zu unterziehen! Ich wollte mich, in seinem Auftrag, hier bei Ihren Verwandten, nach Ihrem mutmasslichen Verbleib erkundigen, und hatte die Chance, Sie gleich persönlich anzutreffen! Darf ich bitten, mir zu folgen!“
Christof Vohwinkel erwiderte nichts. Er ging schleppend, dumpf ergeben, mit gesenktem Haupt, ohne sich um die Anwesenden zu kümmern, über die Schwelle. Auf ihr verbeugte sich der blonde, junge Referendar korrekt nach rückwärts in das Zimmer und folgte ihm. Male schaute hinter ihrem Schwager her.
„Aus dem ist nichts herauszukriegen!“ sagte sie, in ihre Gedanken verloren. „Überhaupt hier in Berlin nichts! Nur an Ort und Stelle. In Spanien . . .“
Dann hefteten sich plötzlich ihre lebhaften braunen Augen betroffen auf den Rechtsanwalt Burhem.
„Und womit kann ich Ihnen dienen, Herr Doktor? Verzeihen Sie die Frage! Aber da ich alle Hände voll zu tun habe . . . Sie hatten doch in dieser Sache gestreikt . . .“
„Ja — aber — ich telefonierte vorhin schon vergeblich . . . Es handelt sich um meinen Sozius! Der Mann ist nämlich nicht ganz taktfest auf der Leber! Eine Nervenmühle wie den Fall Vohwinkel hält er nicht aus!“
„Komisch . . .“ sagte Male Matteis.
„. . . Dass der Dohmke nach Karlsbad muss?“
„Nein: Dass Sie dabei rot werden? Warum werden Sie denn rot?“
„Ich denke nicht daran!“
„Aber natürlich! Sie werden ja noch röter!“
„Lassen wir das bitte, gnädiges Fräulein!“
„Ich dachte, so abgebrühten Rechtsanwälten wie Ihnen könnte so was gar nicht mehr passieren!“
„Bleiben wir bei der Sache! Also es bleibt mir da keine Wahl: Ich muss nolens volens statt des Dohmke . . .“
„Ich dachte, Sie wären dazu viel zu blasiert! Sind Sie ja auch! Sensationsprozesse sind Ihnen ein Greuel . . .“
„Aber dieser nicht . . .“
„— ein Greuel — haben Sie selber heute früh gesagt! Also lassen wir’s bei Ihrer guten Absicht bewenden, Herr Doktor! Ich danke Ihnen schön! Ich will auch die Leber Ihres Herrn Dohmke nicht unnötig belasten! Ich finde schon noch heute, ehe ich wegfahr’, hier in Berlin einen wirklich schneidigen Rechtsanwalt während meiner Abwesenheit!“
„Aber, gnädiges Fräulein . . .“
„Ach — du grosser Gott! . . . Geht meine Armbanuhr richtig? Ja? Dann muss ich schleunigst hinüber in die Fabrik! Sonst gehen mir dort die Direktoren durch die Binsen! Wie? Ob Sie mitkommen können?“ Male Matteis sprang schon, zwei Stufen auf einmal, die Treppe hinab. „Wir haben uns doch eigentlich alles gesagt!“ Sie hastete mit blossem Kopf an der Garage hinter der Villa vorbei. „Nein? Noch nicht? Ja — was denn noch? Ob ich mir meine Ablehnung nicht noch überlegen will? Ja, warum denn?“ Sie eilte durch ein aufklirrendes Eisentor, dem salutierenden Wächter zunickend, in den Fabrikhof. „Vorhin hatten Sie keine Lust! Jetzt hab’ ich keine Lust mehr! Das ist doch furchtbar einfach!“
„Nein, Fräulein Matteis! Die Angelegenheit ist nicht einfach! Die Angelegenheit erfordert eine ganz gewiegte Kraft! Und zwar — entschuldigen Sie die Offenheit — keine andere als die meinige!“ Der Rechtsanwalt Burhem trabte atemlos nebenher und musste dabei schreien. Rings um sie beide donnerte jetzt und flammte und rauchte das Reich der Arbeit. Die Hämmer tanzten. Die Drehbänke sangen. Die Treibriemen surrten. Die Fräsmaschinen kreischten. Rotglut aus offenen Öfen und kalter Windzug durch offene Fenster schlugen ineinander. Purpurheisse Stahlstücke wanderten an Ketten durch die Luft. Weisse Augäpfel rollten in russigen Gesichtern. Male Matteis lief durch Hitze, Lärm, Pfützen, Staub, Rauch wie durch ihre gute Stube. Sie sprang elastisch über die Eisenbahnschienen am Boden. Sie schirmte mechanisch die Augen mit gespreizter Hand gegen das Funkensprühen der zischenden Schweisskolben. Sie deutete stehenbleibend mit dem linken Zeigefinger auf einen Motorblock und schrie, die Rechte als Sprechrohr an den Mund legend, durch den Spektakel einem Arbeiter etwas von Zylindern ins Ohr, das der Rechtsanwalt Burhem nicht verstand. Sie hatte seine letzten Worte gar nicht mehr gehört. Sie stürzte auf einen älteren Herrn zu, der in einem Hof eine Reihe von Eisenbahnwagen abschritt, und redete stürmisch auf ihn ein.
„Das war nämlich unser Finanzminister! Der schickt mir in einer Viertelstunde das