Panik in Odessa. Rudolf Stratz

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Panik in Odessa - Rudolf Stratz


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ja beide im Wagengang am fenster!“

      Hinter der herabgelassenen Scheibe hob sich in dunkelgrüner Uniform mit breiten Achselstücken und Fangschnüren die Gestalt des Generals Schischko ab. Er war ein Fünfziger, kurz und stämmig. Auf breiten Schultern sass ein ruhiger, russischer Kopf mit starken Backenknochen und stumpfer Nase. Sein kurzer Vollbart war leicht ergraut. Neben ihm lehnte seine Tochter, zart gewachsen, mittelgross, in weisser Schwesterntracht und Pflegerinnenhäubchen. Mit dem hellblonden Haar, den hellblauen Augen, der vom Nachtwind geröteten klaren Hautfarbe der Wangen glichen ihre weichen Züge mit dem kleinen herzförmigen Mund und der zierlichen Nase eher einem hübschen russischen Bauernmädchen als einer Weltdame von der Newa. Der junge Aristokrat unten lächelte ihr begeistert als alter Bekannter zu. Grüssen konnte er nicht. Denn er hielt in jeder Hand eines der Teegläser. Die bot er innen im Wagen dem General und seiner Tochter an.

      „Ich beeilte mich, Sie zu bedienen!“ sagte er atemlos in schmeichelndem Französisch. „Der Tee wird Ihnen guttun in der kalten Nacht. Ich hörte, dass Sie im Zug seien. Ich wollte Sie schon vorhin aufsuchen. Aber ich fand Ihr Abteil nicht. Nun bin ich am Ziel meines Glücks!“

      Die zarten Mädchenzüge ihm gegenüber gewannen unter der frommen Schwesterhaube bei dem Wort „Glück“ einen leicht ironischen Ausdruck. Fräulein Schischko nippte an dem heissen Tee. Über das Glas hinweg blickten ihre blauen Augen sehr kühl auf den eleganten Herrn und Helfer vom Roten Kreuz. Er faltete die Hände. Er flehte flüsternd:

      „Nadeschda Basilewna — seien Sie nicht wieder aus Eis, wie das letztemal in Petersburg!“

      „Warum haben Sie Petersburg verlassen? Dort gehören Sie hin!“

      „Sie sehen es: ich diene nach meinen Kräften Russland!“ Der junge Fürst hob ergebungsvoll die schmalen Hängeschultern und liess sie wieder sinken. „Nicht mit der Waffe! Mein Brustumfang ist zu gering. Aber alle Duchowskoi haben gedient. Alle meine Vorfahren. Auch ich glühe für Russland. Auch ich möchte endlich nach dem Testament der Grossen Katharina das Christenkreuz auf der Sofienmoschee in Konstantinopel sehen. So mache ich mich wenigstens nach Gottes Willen hier im Hinterland des Krieges nützlich!“

      „Es geht Ihnen wie mir, Fürst Duchowskoi!“ sprach der bärtige General Schischko. „Auch ich sehe keinen Türken und höre keine Kugel pfeifen, sondern schlage mich hier in Südrussland mit der Verpflegungsschwierigkeiten für die Balkanarmee herum!“

      „Und so liess ich mich denn als Krankenpfleger zum Sechsten Militärbezirk beordern“, fuhr der Fürst aufgeregt fort. Nadeschda Schischko lächelte. Aber es lag nichts Ermutigendes in dem leisen Zucken ihrer Mundwinkel.

      „ . . . weil auch ich als Schwester vom Roten Kreuz nach Odessa unterwegs bin“, sagte sie, während ihr Vater sich aus dem Fenster beugte, um seine ausgerauchte Papyros hinauszuwerfen. „Aber Ihre Bemühungen werden hier so vergeblich sein wie in Petersburg!“

      „Warum denn nur, Nadeschda Basilewna?“

      „Nun — weil ich Sie nicht mag!“ sagte das junge Mädchen einfach.

      „Aber wie denn? Ich bin Fürst. Ich bin reich. Ich bin wahnsinnig in Sie verliebt!“

      „Und doch werde ich mich nie entschliessen, Ihre siebte Rippe zu werden!“ Fräulein Nadeschda Schischko wandte sich mit einem leisen Achselzucken ab. „Nie — Fürst — nie!“

      Peter Duchowskoi biss unter dem dunkeln Schnurrbart die blassen Lippen zusammen. Das war nur ein Augenblick. Dann lächelte sein langes, schmales, fast schwindsüchtiges Gesicht wieder glatt nach Petersburger Art. Er bot dem General Feuer für seine neue Zigarette. Er wechselte das Gespräch.

      Hoffentlich haben Sie sich durch den unliebsamen Vorfall hier im Wagen nicht stören lassen, Exzellenz?“

      „Welcher Vorfall?“

      „Nun — man hat doch in einem Abteil dicht neben Ihnen einen Reisenden ermordet. Es war der allgemeine Unterhaltungsstoff rund um den Samowar am Bahnhofsbüfett. Dort steht ja noch der Gendarm vor der Türe des Tatorts!“

      Die Stationsglocke läutete durchdringend dreimal. Die Lokomotiven heulten. Knirschend und stöhnend setzte sich die lange, lichterhelle Schlange des Militärzugs wieder in das Kellerschwarz der Regennacht hinaus in Bewegung. Der General Schischko schüttelte den Kopf.

      „Man hat mir noch nichts gemeldet, obwohl ich meine Geheimpolizei im Zuge habe. Aber da haben Sie Russland, Fürst! Immer der alte Schlendrian. Nun — wir werden sehen!“ Er schritt wuchtig, fast schwerfällig dem von den Gendarmen bewachten Abteil zu. Dessen Tür öffnete sich von innen beim nahenden Klirren seiner Sporen. Ein bleicher, blondbärtiger Mann aus dem Volk in schmutzigem Kittel und Schmierstiefeln stand mit schläfrigem, ausdrucks losem Gesicht auf der Schwelle. Der General furchte streng die Stirne gegen den Geheimagenten.

      „Willst du mich zum Kindergespött machen, Antoschka? In meiner Nähe werden Menschen ermordet. Ich aber sitze ahnungslos in meinem Abteil und raudhe . . .“

      „Ich wollte Euer Exzellenz erst Meldung machen, wenn alles geklärt ist“, sprach Antoschka sanft und einschmeichelnd.

      „Wir fingen mit Dank gegen Gott endlich diese langgesuchten Vögel: Goldhändchen selbst und ihren Gehilfen bei dem Mord, einen rothaarigen Hafenkerl! Wir nehmen fortwährend noch im Zug Verhaftungen vor. Wir haben nach Odessa telegraphiert. Alles ist bereit, um bei Einlaufen des Zuges dort wartende Berdächtige abzufassen!“

      „Und wer ist der Ermordete?“

      „Das ist Gott bekannt, Exzellenz! Nicht uns.“

      „Wie das? Ihr müsst doch Papiere bei ihm gefunden haben?“

      „Da sind keine Papiere!“ Der bleiche Antoschka wies auf den grünröckigen Bewaffneten, der innen in dem Abteil stand. „Der Oberzugsgendarm und ich haben diesen toten Herrn durchsucht. Er scheint vorgestern aus Petersburg abgereist zu sein — nach den Zeitungen, die wir in seinen Taschen fanden. Daher kenne ich ihn nicht, weil ich im russischen Südbezirk der Geheimpolizei tätig bin . . .“

      „Und sein Pass? Seine Fahrtausweise? Seine Briefe?“

      „Kein Pass! Nichts! Wir haben bei diesem Herrn aus Petersburg diese umgehängte Brusttasche hier, gestopft voll von Hundert- und Tausendrubelnoten, gefunden. Die goldene Uhr. Die Diamantenringe an den Fingern . . .“

      „ . . . was ihr alles gestohlen hättet, wenn ich nicht eben noch zurechtgekommen wäre! Also die Wertsachen sind sämtlich vorhanden?“

      „Vorhanden, Exzellenz!“

      „Und alle Papiere fehlen?“

      „Fehlen, Euer Exzellenz!“

      „Ihr habt sie auch nicht bei den Verbrechern gefunden?“

      „Diese Unwürdigen, Exzellenz, wollen nichts davon wissen. Offenbar haben sie die Papiere schon weggeworfen, um sich nicht durch den Besitz verdächtig zu machen!“

      „Aber warum stehlen sie zuerst die Papiere und dann die Wertsachen?“

      „ . . . weil ich eben eingriff, Euer Exzellenz, als sie sich auch der Wertsachen bemächtigen wollten“, sagte der Geheimagent Antoschka mit seiner weichen Stimme, „und Goldhändchen in dem Augenblick erwischte, in dem sie mit der Hand unter den Bart des Toten fuhr und nach dem Lederbeutel mit den Rubelnoten auf seiner Brust langte.“

      „So? . . . hm . . . nun — lasse mich jetzt da hinein!“

      In dem Abteil lag der tote Reisende aus Petersburg feierlich steif. Man hatte seine Lage nicht verändert. Die verglasten Augen starrten zur Decke. Gebieterisch, wie bei dem Moses des Michelangelo, sprang die mächtige Hakennase aus dem grauen Bartgewirr des gelblichen Gesichts. General Schischko betrachtete die Leiche. Lange. Er trat näher. Beugte sich über sie. Richtete sich auf. Sagte halblaut:

      „Mein Gott! Das ist ja Ruben selber!“

      „Wie denn? Avron Ruben?“ wiederholte der Fürst Duchowskoi, der neben ihm stand. Der Geheimagent Antoschka dahinter


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