Panik in Odessa. Rudolf Stratz

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Panik in Odessa - Rudolf Stratz


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Börse!“ sagte Margarete draussen dem Kutscher und innen in den Wagen aufgeregt zu ihrem Better: „Wir müssen alle schwimmenden Getreideladungen nach Freihäfen umdisponieren, bis sich der Rubel bessert! Wir können unseren Weizen nicht an die Leute in Rotterdam und Mannheim verschenken!“

      An den Strassenecken flatterten die schwarzen Kaftane der unzähligen jüdischen Getreidekommissionäre. Auf dem nassen Pflaster lagen verstreut die gelben Weizenkörner und die blauen Probetüten dieser fliegenden Börsen. In dem eigentlichert unansehnlichen Börsengebäude waren wenig Besucher, Grosshändler aller Nationen mit besorgten Gesichtern. Im Vorsaal gab Fräulein Förster einem Makler die Hand. Paul von Minde merkte, dass sie vor Aufregung feuchte Augen hatte.

      „Die Weizenpreise steigen immer noch?“ frug sie verstört.

      „Ruben, Wainstein und Channeles zahlen jeden Preis. Sie verkaufen das Getreide immer noch mit riesigem Zwischengewinn an die Krone!“

      „Und dann sind schwere Feldsteine im Mehl, und das Getreide ist durchnässt, damit es schwerer wiegt, und verfault nachher“, sagte im Vorbeigehen einer der Handelsherren. „Uber was ist das gegen den grossartigsten Betrug, der je da war: die Ochsenlieferungen nach dem Balkan!“

      „Reden Sie sich nicht nach Sibirien!“ Ein Geschäftsfreund legte ihm die Hand auf die Schulter. „Hinter den Ochsenlieferungen steht der Grossfürst selber!“

      Auf der Weiterfahrt rückte Margarete etwas näher an Paul von Minde heran. Es war eine unwillkürliche, weiche Bewegung. Sie suchte nicht nur bei dem Better Schutz. Das war mehr. Sie kämpfte immer noch mit Tränen.

      „Glaube nicht, dass ich sonst ein nasses Seelchen bin!“ sagte sie. „Aber ich bin doch ein Frauenzimmer — ich bin doch so allein — so schrecklich allein zwischen allen diesen Männern, und habe niemand, der mir hilft . . .“

      „Vorläufig bin ich ja da!“

      „Ach ja . . .“ Es klang getröstet. Sie atmete auf. Er hatte ihre Hand gefasst. Sie drückte leise die seine.

      „Sei gut zu mir!“ sagte sie, ohne ihn anzusehen. „Ich brauche es! Es lastet zu viel auf mir!“

      Unten am Hafen hatte sie sich wieder ganz gesammelt. Unbekümmert drängte sie sich durch das Ameisengekribbel der Matrosen, Soldaten, Heizer, Schwarzarbeiter, das Rasseln der Krane, das Heulen der Sirenen, das Knarren der Büffelkarren. Auf der Laufbrücke, die zu einem grossen, am Kai vertauten Dampfer hinaufführte, hatte eine lange Reihe von Sadträgern ihren Gänsemarsch gehemmt. Margarete Förster zwang ihre blassen Züge zu einem liebenswürdigen Lächeln. Sie trat höflich auf einen Hafenbeamten zu, der stumpfsinnig am Ufer stand. Sie frug mit erstickter Stimme:

      „Verzeihen Sie! Warum verhindern Sie die weitere Beladung dieses von der Firma Förster gecharterten Dampfers?“

      „Das Schiff ist von der Regierung beschlagnahmt?“ sagte der Tschinownik gleichgültig.

      „Für wen?“

      „Für Ruben, Wainstein und Channeles!“

      „Ich werde mich beim Gouverneur beschweren!“ sagte Margarete mit letzter Anstrengung.

      „Belieben Sie!“

      Nun schluchzte sie wirklich, als sie wieder mit dem Vetter im Wagen sass. Er streichelte ihr die Schulter. Er beruhigte sie. Sie trodnete sich die Wimpern. Sie richtete sich auf, sie wurde plötzlich wieder kampflustig.“

      „Ich danke dir! Du gibst mir wieder Mut!“ sagte sie. „Man möchte manchmal verzagen! Ach — ich sehne mich aus Russland hinaus! Ich möchte lieber in Deutschland Holz hacken als hier das Fräulein Förster sein!“

      Sie legte ihr Gesicht in die hochmütigen Linien einer Erblichen Ehrenbürgerstochter von Odessa. Sie stieg vor dem

      Gouvernementspalais auf dem Richelieu-Boulevard aus. Sie ging an der Kanone auf dem Bürgersteig, deren Schuss die Mittagsstunde anzeigte, vorbei in das Innere und sagte zu den bleichen Schreiberseelen hinter den Tintenfässern einer Amtsstube von oben herab:

      „Also Sie begreifen — bis zum Abend ist der Dampfer freigegeben!“

      Sie hatte dabei unauffällig eine Anzahl buntfarbiger Hundertrubelscheine unter ein Aktenstück gelegt. Aber der eine Ischinownik schob das Bündel kurzerhand über die Tischplatte zurück.

      „Behalten Sie Ihre paar Regenbogennoten!“ brummte er verächtlich und wandte sich seinen Schreibereien zu.

      „Er nimmt nichts!“ sprach auf dem Flur Margarete Förster erschüttert zu ihrem Vetter. „Ruben, Wainstein und Channeles zahlen ihm das Zehnfache. — Unser Weizen wird wieder ausgeladen und verkommt im Regen am Ufer.“

      „Es ist doch Krieg! Das ist Männersache!“ sagte sie verzweifelt aussen auf dem Boulevard. „Da kommt unsereins nicht mit!“

      „Du bist ein sehr fixes Mädchen! Das merke ich immer mehr!“

      „Ach — das tut einem wohl, mal so was zu hören!“ Margaretes Stimme klang wieder warnt und dankbar. „Es müsste eben ein Mann bei! Aber erzähle meinem Vater jetzt nicht von all den Geschäften! Es verwirrt ihn nur!“

      Der Erbliche Ehrenbürger und Kaufmann Erster Gilde Andreas Förster war ein ergrauter müder Mann. Er hatte ein kluges, nüchternes, vollbärtiges Kaufmannsgesicht, aber mit abwesenden Augen. Er sass im ersten Stock seines Hauses am Neuen Basarplatz mit einigen alten Freunden zusammen. Er hatte ihnen etwas erzählen wollen — dom Krimkrieg — und plötzlich den Faden verloren. Ja — wie war das nur? Er fuhr sich mit der Hand über die Stirne. Er räusperte sich und war froh, dass das Glockenläuten draussen von der Nowo-Basarnaja-Kirche sein Steckenbleiben übertönte.

      „Wir haben wieder einmal auf dem Balkan gesiegt!“ sprach gottergeben in das feierliche Bimbam hinein sein Jugendfreund und Schulkamerad, der alte Kopp. Er war klein, grauköpfig, humoristisch. Er war Junggeselle. Seidenimporteur. Mitglied der Stadtduma. Er war hochangesehen in der ganzen deutschen, russischen, französischen, griechischen, italienischen Kolonie.

      „Hier in Odessa siegt nur einer!“ sprach der deutsche Maschinenfabrikant neben ihm. „Ruben, Wainstein und Channeles! Die aber immer!“

      „Und mit welchen Mitteln?“ nickte der deutsche Brauereibesitzer gegenüber. „Das grosse Militärlazarett in Galta steht leer. Kommt ein Revisor, so werden die Betten auf vierundzwanzig Stunden mit kerngesunden Soldaten in blau-weissen Krankenkitteln belegt. Die Verpflegungsgelder teilt man in Petersburg!“

      „Die neue hölzerne Militärbrücke über den Bug verfaulte in einer Sommernacht bis auf den letzten Span, als der Revisor kam. Sie hatte nie existiert. Der Senator war zufrieden.“

      „. . . weil Ruben und Rubel sich beinahe reimen.“

      „Ruben ist tot!“ Ein kränklicher gelblicher Mensch stürzte in das Zimmer. Seine Hosen und sein Mantel waren kotbesprisst. Er war so aufgeregt, dass er die Schirmkappe auf dem Kopf behielt. Andreas Förster mass seinen Hauskommissionär mit einem strengen Blick.

      „Was fällt Euch ein, Schloime Naidisch, hier unangemeldet . . .“

      „Ä Miesse Meschuno . . .“ Ein wildes Händespiel drüben. Ein verzerrtes Gesicht.

      „Lasst Euer Hebräisch und sprecht Jiddisch-Deutsch!“ sagte der alte Kopp derweisend art Stelle des Hausherrn, der wieder geistesabwesend vor sich hinsah.

      „Ä ungewöhnliche Todesart heisst Miesse Mesdhuno!“ ächzte Schloime Raidisch. „Ä grausam ungewöhnliche! Umgebracht haben se den graussen Ruben . . .“

      „Was?“ Die Herren standen auf.

      „Heit nacht — im Zug nach Odessa . . . .“

      „Und die Mörder . . .?“

      „Ä Hackel-Backel haben se verhaftet! Ä Bagasch. Arme Leut’! Die waren es nix!“

      „Aber wer denn?“

      Ein leidenschaftliches


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