Panik in Odessa. Rudolf Stratz

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Panik in Odessa - Rudolf Stratz


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qualmte. „Da halten schon die Truppenzüge. Die Einfahrt in die Station ist wie gewöhnlich verstopft. Aber bald sind wir in Odessa!“

      Fürst Duchowskoi war sitzengeblieben. Er starrte immer noch verbissen hinaus auf den Gang.

      „Wegen diesen beiden könnte der Zug noch vierundzwanzig Stunden fahren. Sie würden es gar nicht merken“, sagte er. „Bisher, Exzellenz, hatte ich Hoffnung. Das Herz Ihrer Tochter war frei. Aber jetzt . . . .“

      „Ich muss gleich mit dem Oberpolizeimeister sprechen . . .“, brummte Exzellenz Schischko vor sich in den Bart.

      „Wollen Sie denn nicht hier einschreiten, Exzellenz?“

      „Ich habe weiss Gott jetzt anderes im Kopf!“ sagte der General und schaute ungeduldig nach den Geleisen rechts und links. Auf ihnen standen die endlosen Truppentransporte des Zaren, Geschütze starrten von offenen Plattformen. Pferdeköpfe lugten aus Luken, Soldaten in grünen Uniformen und grauen Mänteln hockten haufenweise auf dem gelben Stroh im Dämmern der Güterwagen — Schützen und Grenadiere, Dragoner und Kosaken —, und es war, als sei das, hundertfach abgestempelt, immer der gleiche stumpfnasige Kopf mit starken Backenknochen und aufgeworfenen Lippert, derselbe Mensch und Muschik, aus Russlands Erde geformt. Aus diesen Militärzügen schollen keine trotzigen Kriegslieder. Es war so still, dass man das eintönige Rauschen des Regens hörte. Auf allen den Bauerngesichtern der Balkankämpfer lag die gleiche dumpfe Ergebung: Es ist so befohlen! Also gut!

      Exzellenz Schischko beugte das bärtige Haupt aus dem Fenster. Er klatschte in die Hände und schrie den nächsten vorbeibummelnden Beamten an.

      „Vorwärts! Seht ihr nicht, dass ein General im Zug ist?“

      Ein Durcheinandergeschrei auf dem Bahnhof. Irgendwie wurde Platz gemacht. Der Zug schob sich in die kleine schmutzige Halle. In dem Kriegsgetümmel, das sie füllte, standen längs den Wagen reihenweise riesige Gendarmen. Sie packten mit unsanften Fäusten die wild schluchzende Haja Perlstein und den in gellen Fisteltönen zeternden rotbärtigen Riesen, den Sackträger Morduch Izaaks, und noch ein halbes Dutzend im Zug festgenommener Menschen ohne Pass, Barfüssler, Zigeuner, und schleppten sie durch das Gewühl. In ihm stand der Ältere Gehilfe des Stadtpräfekten und Oberpolizeimeisters von Odessa selber mit seinem Stab. Er war ein hochgewachsener Graukopf mit grauem Schnurrbart. Die Augen lagen finster und dunkel in dem verwitterten Gesicht. Es wirkte beinahe unheimlich, als er über dessen Runzeln hin lachte und dem General die Hand schüttelnd sagte:

      „Es wartet hier schon allerhand Gesindel auf sein Goldhändchen! Wir haben verhaftet, was uns in den Weg kam!“

      Auf dem Bretterboden vor dem Zug standen Paul von Minde und Nadeschda. Sie zögerten noch, voneinander Abschied zu nehmen. Sie blickten sich stumm und förmlich verlegen in die Augen. Dann schaute Fräulein Nadeschda Schischko durch die Bahnhofshalle in das Freie. Ihre Stirne verdüsterte sich.

      „Sehen Sie diese grosse, schlanke junge Dame, die da draussen aus ihrem eigenen Phaeton steigt? Nein: Sie springt geradezu heraus. Sie rennt nach dem Bahnhof hin.“

      „Ja. Sie hat sich verspätet“, sagte Paul von Minde.

      „Sie bleibt stehen und winkt Ihnen mit der Hand!“

      „Sie möchte uns nicht hier gleich stören!“

      „Sie kennen sie?“

      „Wie sollte ich meine leibliche Base nicht kennen? Ich sagte es schon Ihrem Vater: der alte Andreas Förster hier, Ehrenbürger und Kaufmann Erster Gilde, hatte eine Schwester meines Vaters zur Frau, und die Margarete drüben ist seine Tochter.“

      Es war ein kurzes Schweigen. Dann sagte Nadeschda:

      „Sie ist sehr hübsch!“

      „Das hat noch niemand bezweifelt.“

      „Hübsch in deutscher Art. Dies Bestimmte! Uns ist diese Entschiedenheit nicht gegeben.“

      „Sie ist auch rein deutschen Geblüts — ebenso wie ich!“

      „Ihr kennt euch wohl schon lange?“

      „Von Kindesbeinen an. Sie ist fünf Jahre jünger als ich. Mitte Zwanzig.“

      „Nun — dann lassen Sie sie nicht warten!“ sagte Nadeschda Schischko. „Vielleicht sehen wir uns einmal in Odessa! Bleiben Sie hier?“

      „Ich weiss nicht, wohin mein Auftrag mich noch führt. Aber ich werde Sie zu finden wissen, Nadeschda Basilewna!“

      „Nun dann mit Gott!“

      „Mit Gott!“

      2

      Paul von Minde drängte sich durch das Gewühl seiner Base zu. Es ging ihm durch den Kopf: Diese kleine weiche Petersburgerin mit dem träumerischen Kindergesicht und den zarten Bewegungen hat recht. Die Margarete da drüben wird kein Mensch für eine wahre Russin halten . . . . Dazu schaut sie viel zu tatenfroh in die Welt und hält den Kopf hoch und ist zu straff gewachsen!

      Margarete Förster kam ihm entgegen, unbekümmert in ihren hohen Gummistiefeln durch die Pfüssen vor dem Bahnhof. Sie hatte einen festen und zugleich flüchtigen Gang. Um sie war ein Hauch von gesunder Frische. Ihre braunen Augen lachten dent Vetter zu. Sie streifte rasch den Handschuh ab und streckte ihm die Rechte hin.

      „Gerade komme ich noch zurecht! Aber wenn du wüsstest; was ich zu tun hab’!“

      Sie sprach deutsch. Er ebenso, ernst und gedämpft.

      „Wie geht es deinem Vater?“

      „Es wird nicht besser. Er verwechselt alles. Ich muss ihm die Geschäftskorrespondenz vorenthalten, damit nicht irgendein Unheil geschieht. Alles liegt auf mir. Ich weiss nicht, was aus der Firma noch werden soll! . . . Du — wer war denn die niedliche Krankenschwester, mit der du eben . . .?“

      „Fräulein Schischko! Eine junge Dame von viel Geschmach. Sie fand, du seist sehr hübsch!“

      „Nun — das Kompliment kann ich ihr zurüchgeben!“ sagte Margarete Förster leichthin. Sie stand mit ihrem Vetter vor ihrer zweispännigen Equipage und wies nach der langbärtigen, unförmlich auswattierten Herrschaftskutscher, dem die Pfauenfedern an der Pelzmüsse im Regensturm flatterten. „Pawel wird uns jetzt zu uns nach Hause fahren — mich musst du dann entschuldigen! Ich muss dann gleich weiter!“

      „Wohin?“

      „Geschäfte! Es ist doch Krieg. Odessa steht doch auf dem Kopf. Es wird wahnsinnig verdient und verloren. Bei uns alten soliden Firmen verlorent. Wir können es nicht treiben wie Ruben, Wainstein und Channeles und vom Grossfürsten bis zum Ofenheizer alle Welt bestechen! Nun — fahren wir!“

      „Was soll ich bei euch zu Hause?“ Paul von Minde stieg hinter ihr in den Wagen. „Ich begleite dich lieber!“

      „Ich muss in halb Odessa herumkutschieren!“

      „Und ich möchte in ganz Odessa etwas entdecken!“

      „Warum bist du denn eigentlich aus Petersburg gekommen!“

      „Nun — um dich zu sehen!“ sagte Paul von Minde unschuldig. Margarete machte eine ärgerliche Handbewegung und wandte sich ab. Er sah nur noch ein Stüch ihrer schmalen Wange. Er lächelte. Er wusste: Gleichgültig war er der Base nicht . . .

      Der Wagen rasselte über den Granit der schnurgeraden langen Strassenzüge und hielt in der Woronzoffgasse. Da war Gedränge und Redegewirr in allen Sprachen vor den Schaltern des Bankhauses Mahs. Margarete Förster rang in einer Ecke gegenüber einem der Direktoren die Hände.

      „Wie denn? Der Rubelkurs an der Berliner Börse . . .“

      „Seit gestern hundertsiebzig!“

      „Statt zweihundertzwanzig noch vor einem Jahr!“

      Ein Achselzucen des Bankbeamtent.

      „Warum stützen wir nicht in Berlin den Kurs?“

      Das russische


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