Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Offenheit; nichtsdestoweniger verschloß er sich gehorsam in seinen vier Wänden in der Rue Saint-Jacques. Er war mit fünfhundert Francs, welche ihm der Vater seiner Frau vorgestreckt, nach Paris gekommen. Nachdem die Uebersiedelungskosten bestritten worden, waren noch dreihundert Francs geblieben, mit denen man einen Monat auskommen konnte. Angèle war eine starke Esserin, außerdem meinte sie ihren Sonntagsstaat durch ein paar Meter malvenfarbener Bänder auffrischen zu müssen. Dieser der Erwartung gewidmete Monat däuchte Aristide endlos. Die Ungeduld verzehrte ihn. Wenn er sich an's Fenster setzte und unten die Riesenarbeit von Paris rumoren fühlte, so ward er von einem wahnsinnigen Verlangen erfaßt, mit einem Satze in diesen Schmelzofen zu springen, um daselbst mit seinen fieberhaft zuckenden Händen das Gold gleich weichem Wachs zu kneten. Er sog den noch unbestimmten Hauch ein, welchen die große Stadt zu ihm emporsandte, diesen Hauch des jungen Kaiserreichs, welcher bereits den Duft der Alkoven und Spielhäuser, den Dunst der Genüsse durch die Lüfte trieb. Die leichten Dünste, die zu ihm emporstiegen, sagten ihm, daß er sich auf der richtigen Spur befinde, daß das Wild vor ihm einher lief und daß die große kaiserliche Jagd, die Jagd nach Abenteuern, nach den Frauen und nach den Millionen endlich begonnen habe. Seine Nasenflügel zitterten, sein Instinkt der ausgehungerten Bestie fing sofort die Vorzeichen der heißen Jagd auf, deren Schauplatz die Stadt werden sollte.
Zweimal sprach er bei seinem Bruder vor, um diesen anzutreiben. Eugen empfing ihn zornig, erklärte ihm, daß er ihn nicht vergessen habe, daß aber gewartet werden müsse. Endlich erhielt er einen Brief mit der Aufforderung, sich in der Rue de Penthièvre einzufinden. Hochpochenden Herzens, als ginge es zu einem Liebesrendezvous, fand er sich daselbst ein. Er fand Eugen wieder vor seinem unvermeidlichen kleinen schwarzen Pulte sitzen, das in dem großen frostigen Zimmer stand, welches ihm als Bureau diente. Bei seinem Erscheinen hielt ihm der Advokat ein Papier mit den Worten entgegen:
»Gestern wurde Deine Sache erledigt. Du bist zum Wegeaufseher-Gehilfen im Stadthause ernannt worden und wirst ein Jahresgehalt von zweitausendvierhundert Francs beziehen.«
Aristide blieb unbeweglich stehen. Er war blaß geworden und griff nicht nach dem Papier, da er meinte, sein Bruder wolle sich über ihn lustig machen. Er hatte auf eine Anstellung mit wenigstens sechstausend Francs gerechnet. Eugen errieth, was in ihm vorging und sich ihm zuwendend, sprach er zornigen Tones, wobei er die Arme kreuzte:
»Bist Du von Sinnen? Du träumst wohl ungereimtes Zeug wie ein junges Mädchen? Du möchtest ein schönes Haus bewohnen, Dienerschaft haben, gut essen und trinken, in Sammt und Seide gekleidet gehen, in den Armen der Erstbesten schwelgen? Wenn wir Dich und Deinesgleichen gewähren ließen, so würdet Ihr die Kassen leeren, noch bevor sie voll geworden. Du, lieber Gott, habe doch ein wenig Geduld! Sieh, wie ich lebe und nimm Dir wenigstens die Mühe, Dich zu bücken, um ein Vermögen aufzulesen.«
Er sprach voll tiefer Verachtung über die schülerhafte Ungeduld seines Bruders. Seine rauhen Worte verriethen höheren Ehrgeiz, das Verlangen nach unbeschränkter Macht; dieses naive Begehren nach Geld und Reichthum mußte ihm niedrig und kindisch erscheinen. Sanfteren Tones, mit einem feinen Lächeln fuhr er fort:
»Gewiß; Deine Anlagen sind gute und ich will denselben nicht hinderlich sein. Leute wie Du sind kostbar und wir gedenken unsere guten Freunde unter den Gierigsten zu suchen. Sei nur unbesorgt; wir werden reiche Gastfreundschaft üben, damit die Hungrigsten gesättigt werden. Dies ist die einfachste Art und Weise, um zu herrschen ... Doch warte zumindest, bis der Tisch gedeckt ist und befolge meinen Rath: hole Dir Dein Essen selbst aus der Küche.«
Aristide behielt seine unzufriedene Miene bei; der liebenswürdige Vergleich seines Bruders vermochte ihn nicht versöhnlicher zu stimmen. Dies veranlaßt Jenen, zu einer neuerlichen zornigen Ermahnung anzuheben.
»Ich muß wohl bei meiner ersten Meinung bleiben,« rief er aus; »das heißt, Du bist ein Thor ... Alle Wetter! was hofftest Du denn, was dachtest Du, daß ich mit Deiner kostbaren Person anfangen würde? Du hattest ja nicht einmal den Muth, Deine Rechts-Studien zu beenden, sondern vergrubst Dich während zehn Jahre als armseliger Beamte einer Unterpräfektur und langst hier als übelberüchtigter Republikaner an, den der Staatsstreich allein zu bekehren vermochte ... Meinst Du etwa, es stecke bei einem solchen Leumunde das Zeug zu einem Minister in Dir? ... Oh! ich weiß, Du bist entschlossen, Dich mit allen Mitteln emporzuarbeiten! Dies ist allerdings ein großes Verdienst, ich gebe es ja zu und in Berücksichtigung desselben habe ich darnach getrachtet, Dich bei der Stadt unterzubringen.«
Er stand auf, drückte Aristide das Ernennungsschreiben in die Hand und fuhr fort:
»Da nimm; eines Tages wirst Du mir noch danken. Ich selbst habe die Stelle gewählt, denn ich weiß, welchen Nutzen Du aus derselben ziehen kannst... Du brauchst bloß zu sehen und zu hören. Wenn Du Verstand hast, wirst Du begreifen und danach handeln ... Und nun merke Dir, was ich Dir sage. Wir kommen in eine Zeit, in der jeder Erfolg möglich sein wird. Erwirb viel Geld, ich gestatte es Dir; doch nur keine Dummheiten, keinen Skandal gemacht, sonst lasse ich Dich verschwinden.«
Diese Drohung hatte die Wirkung, welche seine Versprechungen nicht herbeizuführen vermocht. Das ganze Fieber der Habgier Aristides entzündete sich bei dem Gedanken an die Reichtümer, von welchen sein Bruder sprach. Es war ihm, als ließe man ihn endlich sich in das Handgemenge stürzen, als hätte er die Erlaubniß erhalten, die Leute zu erwürgen, doch fein säuberlich, ohne zu viel Lärm zu erregen. Eugen gab ihm zweihundert Francs, damit er bis zum Ende des Monates sein Leben fristen könne.
Sodann blieb er eine Weile nachdenklich,
»Ich möchte meinen Namen ändern,« sagte er endlich. »Du solltest ein Gleiches thun ... Wir würden uns freier bewegen können.«
»Wie Du willst,« erwiderte Aristide ruhig.
»Du wirst Dich um nichts zu bekümmern haben, ich übernehme die Durchführung aller Formalitäten ... Willst Du den Namen Sicardot, den Deiner Frau annehmen?«
Aristide blickte zur Decke empor, während er den Namen silbenweise aussprach, wie um den Wohlklang desselben zu beurtheilen.
»Sicardot . . . Aristide Sicardot ... Meiner Treu, nein; das klingt läppisch und riecht ordentlich nach dem Bankerott.«
»So suche etwas Anderes,« sagte Eugen.
»Sicard ganz kurz wäre mir lieber,« nahm der Andere nach einer Pause von Neuem auf. »Aristide Sicard ... nicht schlecht ... wie? sogar ein wenig heiter ...«
Er dachte noch einen Augenblick nach und rief mit einem Male triumphirend aus:
»Ich hab's, ich hab's!... Saccard, Aristide Saccard! ... mit zwei c ... Hehe! der Name duftet nach Geld und man sollte meinen, man zähle lauter Hundertsousstücke.«
Eugen machte einen derben Scherz, indem er seinen Bruder verabschiedend, lächelnd zu ihm sagte:
»Ja man kann mit dem Namen ebenso leicht ins Zuchthaus wie in den Besitz von Millionen gelangen.«
Einige Tage später befand sich Aristide Saccard in den Bureaux des Stadthauses. Dort erfuhr er, daß sich sein Bruder eines bedeutenden Einflusses erfreuen müsse, um seine Ernennung mit Umgehung der gebräuchlichen Prüfungen durchzusetzen.
Für das Ehepaar begann nunmehr die gleichförmige Lebensweise der kleinen Beamten. Aristide und seine Frau nahmen ihre Gewohnheiten von Plassans wieder auf. Nur waren sie aus dem Traume plötzlicher Bereicherung gerissen worden und ihre beschränkten Mittel lasteten umso drückender auf ihnen, als sie dies für eine Probezeit ansahen, deren Dauer sie nicht abzuschätzen vermochten. In Paris arm sein, bedeutete zweifache Armuth. Angèle nahm das Elend mit ihrem bleichsüchtigen Gleichmuthe hin; sie verbrachte ihre Zeit in der Küche, oder auf der Erde liegend, um mit ihrer kleinen Tochter zu spielen und begann erst zu lamentiren, wenn sie beim letzten Zwanzigsousstück angelangt war. Aristide aber fügte sich nur mit den Zähnen knirschend diesem Elend, dieser jammervollen Existenz, in welcher er gleich einem eingeschlossenen wilden Thiere umherraste. Dies war für ihn eine Epoche unbeschreiblicher Leiden; sein Stolz blutete, seine unbefriedigten Wünsche peitschten ihn wie mit Geißelhieben. Seinem Bruder gelang es, sich als Abgeordneter des Arrondissements Plassans in die gesetzgebende Körperschaft