Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.sie nicht das Sinnen Renées zu stören, die einen noch unbekannten Genuß voll verbrecherischer Lust vor sich auftauchen sah, heißer und verzehrender, als Alles, was sie bisher verkostet; das Letzte, was ihr die Wollust noch zu bieten vermochte. Sie war nicht mehr müde, nicht mehr erschöpft.
Der Strauch, hinter welchem sie halb versteckt stand, war eine giftige Pflanze, ein Tanghin aus Madagaskar, mit breiten Blättern und weißlichen Stengeln; die zartesten Fasern dieses Gewächses sondern einen giftigen Saft aus. Und in einem Augenblick, da Luise und Maxime in dem Dämmerlichte des Salons lauter als bisher lachten, erfaßte Renée wie von Sinnen, mit den harten vertrockneten Lippen einen Zweig des giftigen Strauches, welcher ihr gerade in Mundhöhe hing und biß in eines der bitteren Blätter.
II.
Es war nach dem zweiten Dezember, als Aristide Rougon mit dem Instinkte der Raubvögel, die von Weitem das Schlachtfeld wittern, auf Paris herniederstieß. Er langte aus Plassans, einer Unterpräfektur des Südens an, wo sein Vater aus dem trüben Wasser der Ereignisse endlich eine schon seit langer Zeit angestrebte Steuereinnehmer-Stelle erreicht hatte. Nachdem er sich, noch jung an Jahren, einfältigerweise kompromittirt hatte, ohne Nutzen oder Ruhm davon zu haben, mußte er sich glücklich schätzen, daß er mit heiler Haut davongekommen. Wüthend über die erlittene Schlappe, langte er in Paris an, fluchte der Provinz, sprach von der Hauptstadt mit der Beutegier eines Wolfes und schwor, daß »er nicht mehr so dumm sein werde« und das giftige Lächeln, mit welchem er diese Worte begleitete, nahm auf seinen schmalen Lippen eine unheimliche Bedeutung an.
Er langte in den ersten Tagen des Jahres 1852 an. Er brachte seine Frau Angèle, eine blonde, langweilige Person, mit sich und setzte sie in einer kleinen, engen Wohnung der Rue Saint-Jacques ab, gleich einem lästigen Möbelstück, dessen er sich je schneller zu entledigen strebte. Die junge Frau hatte sich von ihrer Tochter, der kleinen vierjährigen Klotilde nicht trennen wollen, obgleich der Vater sie gerne bei seiner Familie zu Hause zurückgelassen hätte. Doch hatte er dem Wunsche Angèlens nur nachgegeben, als diese ihre Einwilligung ausgesprochen, ihren Sohn Maxime, einen Knaben von elf Jahren, im Colleg zu Plassans zurückzulassen, über den seine Großmutter zu wachen versprochen. Aristide wollte freie Hände haben; eine Frau und ein Kind däuchten ihm bereits eine erdrückende Last für einen Mann, der entschlossen war, über alle Gräben hinwegzusetzen, auf die Gefahr hin, sich die Rippen zu brechen oder in den Koth zu stürzen.
Noch am Abend seiner Ankunft, während Angèle mit dem Auspacken beschäftigt war, empfand er das dringende Verlangen, durch die Straßen von Paris zu stürmen, mit seinen schweren Schuhen eines Provinzbewohners auf dieses heiße Pflaster zu stampfen, aus welchem er seine Millionen hervorzuzaubern gedachte. Er nahm förmlich Besitz von der Stadt. Er schritt dahin, nur um zu gehen, längs des Fußweges einherwandernd, wie in einem eroberten Lande. Er hatte eine sehr deutliche Vorstellung der Schlacht, die er liefern wollte und es widerstrebte ihm gar nicht, sich mit einem gewandten Einbrecher zu vergleichen, der gleichviel ob durch List oder durch Gewalt sich in den Besitz seines Antheils an den gemeinsamen Reichthümern setzen will, den man ihm boshafterweise bisher vorenthalten. Hätte er das Bedürfniß einer Entschuldigung empfunden, so hätte er sein während zehn Jahren unterdrücktes brennendes Verlangen, sein jammervolles Provinzleben, vor Allem aber seine Fehler angeführt, für die er die ganze Gesellschaft verantwortlich machte. Zu dieser Stunde aber, in seiner Erregung des Spielers, der die begehrlichen Hände endlich auf das grüne Tuch legen kann, war er ganz der Freude hingegeben, einer Freude, die ebensoviel von der Befriedigung eines neidvollen Egoisten, als von den Hoffnungen des unbestraften Hallunken an sich hatte. Die pariser Luft berauschte ihn; durch das Rollen der Wagen hindurch meinte er die Stimmen aus Macbeth zu vernehmen, die ihm zuriefen: Du wirst reich sein! Zwei Stunden beinahe irrte er derart aus einer Straße in die andere, die Freuden eines Mannes genießend, der sich in seinem Laster wälzt. Seit dem glücklichen Jahr, das er als Student in Paris verbracht, war er nicht da gewesen. Die Nacht war hereingebrochen; immer höher flogen seine Träume bei dem lebhaften Lichte, welches aus den mächtigen Scheiben der Kaffeehäuser und Verkaufsläden auf die Straße fiel. Und ohne zu wissen, wohin ihn seine Schritte führten, setzte er seine Wanderung fort.
Als er den Kopf emporhob, befand er sich inmitten des Faubourg Saint-Honoré. In einer nahe gelegenen Gasse, der Rue de Penthièvre, wohnte ein Bruder von ihm: Eugen Rougon. Als Aristide nach Paris kam, hatte er hauptsächlich auf Eugen gerechnet, der als einer der thätigsten Agenten des Staatsstreiches, heute eine geheime Machtstellung innehatte. Er war ein kleiner Advokat, in dem ein großer Politiker stack. Einem Aberglauben, wie er bei Spielern nicht selten, Folge leistend, wollte er nicht an diesem Abend bei seinem Bruder vorsprechen, sondern kehrte langsam nach der Rue Saint-Jacques zurück, wobei er voll dumpfen Neides Eugens gedachte, seine noch vom Staube der Reise bedeckten armseligen Gewänder betrachtete und dann wie um sich selbst zu trösten, seine hochfliegenden Traume von Neuem aufnahm. Doch waren selbst diese Träume bittere geworden. Ein Bedürfniß nach Eroberung hatte ihn ins Freie getrieben, die Lebhaftigkeit der Straßen ihn mit Freude erfüllt und als er nun heimkehrte, befand er sich in gereizter Stimmung, hatte sein Unmuth noch zugenommen infolge des Glückes, welches er durch die Straßen rennen gewähnt, und in Gedanken machte er heiße Kämpfe mit, in welchen er diese Menschen, die ihn auf der Straße gestoßen und fast über den Haufen gerannt, voll hämischer Freude besiegte und hinterging. Niemals noch hatte er einen solchen Hunger, ein so wildes Verlangen nach Glanz und Reichthümern empfunden.
Früh am anderen Tage befand er sich bei seinem Bruder. Eugen bewohnte zwei große, kaum möblirte, unfreundliche Räume, welche Aristide erschreckten. Er hatte erwartet, seinen Bruder von Pracht und Luxus umgeben anzutreffen. Dieser arbeitete vor einem kleinen schwarzen Tische und begnügte sich bei seinem Anblicke lächelnd, mit seiner langsamen Stimme zu sagen:
»Ah! Du bist's? Ich habe Dich erwartet.«
Aristide war sehr ärgerlich. Er beschuldigte Eugen, er habe ihn vegetiren lassen und ihn nicht einmal eines guten Rathes gewürdigt, während er in der Provinz sein Leben verdämmerte. Er würde es sich niemals verzeihen, daß er bis zum zweiten Dezember Republikaner geblieben; dies sei seine offene Wunde, sein ewiger Gewissensskrupel. Eugen hatte ruhig wieder zu seiner Feder gegriffen und als Jener zu Ende gekommen, sagte er:
»Ach was, Fehler lassen sich gut machen und Du hast eine ganze Zukunft vor Dir.«
Er sprach diese Worte so entschiedenen Tones, begleitete dieselben mit einem so durchdringenden Blicke, daß Aristide den Kopf hängen ließ, deutlich fühlend, daß sein Bruder in der Tiefe seiner Seele lese. Dann fuhr dieser mit freundschaftlicher Offenheit fort:
»Du bist gekommen, damit ich Dich irgendwo unterbringe, nicht wahr? Ich habe bereits an Dich gedacht, doch noch nichts gefunden. Du wirst begreifen, daß ich Dich nicht an welchem Platze immer unterbringen kann. Du mußt eine Stelle erhalten, wo Du Deine Rechnung findest, ohne Gefahr für Dich oder mich ... Bitte, nicht aufbrausen, wir sind allein und können uns gewisse Dinge sagen ...«
Aristide entschloß sich zu lachen.
»Oh, ich weiß, daß Du intelligent bist,« fuhr Eugen fort; »und eine zweite zwecklose Dummheit nicht begehen wirst ... Sobald sich eine günstige Gelegenheit darbietet, werde ich Deiner bedacht sein. Solltest Du inzwischen etwas Geld benöthigen, so stehe ich Dir zu Diensten.«
Sie plauderten noch eine Weile über den Aufstand im Süden, welcher ihrem Vater das ersehnte Amt gebracht. Während ihres Plauderns kleidete sich Eugen an. Als er sich auf der Straße von seinem Bruder trennen wollte, hielt er ihn noch einen Augenblick zurück und sagte gedämpften Tones:
»Du würdest mir einen Dienst erweisen, wenn Du nicht in den Straßen herumstreichen, sondern daheim abwarten wolltest, bis ich die versprochene Stelle gefunden ... Es wäre mir unangenehm, wenn ich meinen Bruder in irgend einem Vorzimmer anträfe.«
Aristide hatte einen