Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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ihn, er habe für ihn nicht Alles gethan, was er zu thun im Stande gewesen wäre. Wiederholt zwang ihn die Noth, an Eugens Thür zu pochen, um eine kleine Geldanleihe zu machen. Eugen bewilligte dieselbe, warf ihm aber in herben Worten seinen Mangel an Willen und Ausdauer vor. Fortab wurde Aristide noch düsterer und verschlossener. Er gelobte sich, von Niemandem auch nur einen Sou mehr zu entlehnen und hielt getreulich Wort. In den letzten acht Tagen des Monats aß Angèle trockenes Brod unter Seufzern und Klagen. Diese Epoche vollendete die furchtbare Erziehung Saccard's. Seine Lippen wurden noch dünner als bisher; er war nicht mehr so dumm, wachend von seinen Millionen zu träumen; seine hagere Gestalt verhielt sich schweigend und drückte nur mehr einen Willen, eine fixe Idee aus, der er unablässig nachhing. Wenn er aus der Rue Saint-Jacques nach dem Stadthause eilte, so schlugen seine abgetretenen Stiefelabsätze klappernd auf das Pflaster und er hüllte sich in seinen abgeschabten Überrock wie in ein Gewand des Hasses, während seine Marderschnauze die Luft der Straßen witterte. Es war das eckige Antlitz des eifersüchtigen, neidischen Elends, welches man durch die Straßen von Paris streichen sieht, seinen Träumen von Glanz und Reichtümern nachhängend.

      Zu Beginn des Jahres 1855 ward Aristide zum wirklichen Wegeaufseher ernannt. Als solcher bezog er ein Gehalt von viertausendfünfhundert Francs, Die Aufbesserung trat zu sehr gelegener Zeit ein, denn Angèle fiel täglich mehr ab und die kleine Klotilde war ganz bleich. Er behielt seine kleine, aus zwei Zimmern – dem mit Nußholzmöbeln eingerichteten Speisezimmer und dem in Mahagoni gehaltenen Schlafzimmer – bestehende Wohnung bei, blieb bei seiner streng sparsamen Lebensweise und vermied es, Schulden zu machen; das Geld Anderer wollte er nur haben, wenn er tief in demselben wühlen konnte. So belog er selbst seine Instinkte, indem er die wenigen Sous verachtete, die er jetzt mehr bezog, und blieb weiter auf dem Anstande. Angèle fühlte sich vollkommen glücklich. Sie konnte sich einigen Putz anschaffen und ihre Brosche täglich vorstecken. Der dumpfe Zorn ihres Gatten, seine düstere Miene, die Miene eines Mannes, der über die Lösung eines furchtbaren Problems nachdenkt, däuchte ihr nunmehr unerklärlich,

      Aristide befolgte die Nachschläge Eugens: er hörte und sah. Als er sich bei seinem Bruder einfand, um ihm für seine Beförderung zu danken, erkannte jener den Umschwung, der sich in ihm vollzogen und er unterließ es nicht, ihn darob zu beglückwünschen. Der Beamte, den innerlich der Neid verzehrte, war schmiegsam und schmeichlerisch geworden. Binnen weniger Monate wurde er ein vollendeter Komödiant. Seine ganze südliche Schlauheit gelangte zur Geltung und er trieb die Kunst so weit, daß ihn seine Kollegen vom Stadthause für einen guten Jungen ansahen, dem die nahe Verwandtschaft mit einem Deputirten im vorhinein eine bedeutende Stellung sicherte. Diese Verwandtschaft zog ihm auch das Wohlwollen seiner Vorgesetzten zu. So genoß er denn eine Autorität, welche die Bedeutung seines Amtes überragte und ihm gestattete, gewisse Thüren zu öffnen und die Nase in gewisse Schriftstücke zu stecken, ohne daß diese Zudringlichkeit eine üble Auslegung erfahren hätte. Während zweier Jahre sah man ihn durch alle Korridore streichen, sich in allen Sälen aufhalten, tagsüber zwanzigmal aufstehen, um mit einem Kollegen zu plaudern, eine Meldung zu erstatten oder einen Gang durch die Bureaux zu machen, – Spaziergänge, die seine Arbeitsgenossen zu der Bemerkung veranlaßten: »Dieser verteufelte Provençale! Er kann nicht ruhig auf seinem Platze bleiben; der hat Quecksilber in den Beinen!« – In den Augen seiner Vertrauten galt er für einen Faullenzer und der würdige Mann lachte, wenn sie ihm den Vorwurf machten, sein Lebenszweck bestehe darin, der Verwaltung einige Minuten zu stehlen. Niemals beging er den Mißgriff, an den Thüren zu horchen; dagegen verstand er es so trefflich, unversehens die Thüren zu öffnen, mit einem Papier in der Hand, mit nachdenklicher Miene und so leisen, regelmäßigen Schrittes durch die Säle zu schreiten, daß ihm kein Wort der Unterhaltung entging. Dies war eine geniale Taktik und er brachte es so weit, daß man die Unterhaltung gar nicht mehr abbrach, wenn dieser pflichteifrige Beamte vorüberging, der sich stets im Schatten der Bureaux hielt und vollständig seiner Beschäftigung hingegeben schien. Ferner beobachtete er noch eine andere Methode; er war von der verbindlichsten Zuvorkommenheit, machte sich erbötig, seinen Kollegen zu helfen, wenn sie mit ihren Arbeiten im Rückstande waren und stets studierte er mit der größten Aufmerksamkeit die Register und sonstigen Schriftstücke, die sie ihm übergaben. Eine seiner kleinen Sünden war, mit den Bureaudienern Freundschaft zu schließen; ja, er ging so weit, ihnen die Hand zu reichen. Zwischen Thür und Angel stehend, ließ er sich mit ihnen in Gespräche ein, lachte mit ihnen, erzählte ihnen Geschichten und forderte derart ihre vertraulichen Mittheilungen heraus. Die wackeren Leute beteten ihn an, indem sie sagten: »Das ist Einer, der keinen Stolz kennt!« Gab es irgend einen Skandal, so war er der Erste, der davon Kenntniß erhielt. Und so kam es, daß das ganze Stadthaus nach kaum zwei Jahren keinerlei Geheimnisse mehr für ihn hatte. Das Personal desselben kannte er bis zum letzten Lampenanzünder und die Schriftstücke bis zu den Rechnungen der Wäscherinen.

      Für einen Mann wie Aristide Saccard bot Paris zu dieser Zeit ein überaus interessantes Schauspiel. Das Kaiserreich war eben erst proklamirt worden, nach jener famosen Reise, während welcher der Prinz-Präsident den von Erfolg begleiteten Versuch gemacht hatte, den Enthusiasmus einiger bonapartistischer Departements anzufachen. In der Kammer und in den Zeitungen herrschte Ruhe. Die wieder einmal gerettete Gesellschaft beglückwünschte sich, ruhete aus, überließ sich einem Freudentaumel, denn eine kräftige Regierung beschützte sie und enthob sie der Nothwendigkeit, selbst zu denken und ihre Angelegenheiten zu ordnen. Die einzige große Sorge der Gesellschaft bestand darin, auf welche Weise man die Zeit ergötzlich todtschlagen solle. Wie sich Eugen Rougon so treffend ausgedrückt hatte, setzte sich Paris zu Tische und trieb beim Nachtisch flotte Späße. Die Politik verbreitete Schrecken, gleich einer gefährlichen Arznei. Die erschöpften Geister wendeten sich den Geschäften und den Vergnügungen zu. Wer etwas besaß, holte sein Geld hervor und wer nichts besaß, suchte in den Ecken nach vergessenen Schätzen. Es gab in der großen Menge ein dumpfes Beben, ein zunehmendes Klingen der Hundertsousstücke, das silberne Lachen der Frauen, das noch undeutliche Geräusch von Küssen und Tafelgeschirr. In der tiefen Stille der Ordnung, in dem Frieden der neuen Regierung machten sich gar liebliche Töne vernehmbar, goldene und wollüstige Verheißungen. Es schien, als ginge man vor einem jener kleinen Häuser vorüber, deren sorgfältig herabgelassene Vorhänge blos weibliche Schatten sehen und das Klingen der Goldstücke auf der Kaminplatte vernehmen lassen. Das Kaiserreich war im Begriffe, Paris zu dem Freudenhause Europa's zu stempeln. Diese Handvoll Abenteurer, die soeben einen Thron gestohlen, bedurfte einer abenteuerlichen Regierung, anrüchiger Geschäfte, verkaufter Gewissen, feiler Frauen und einer allgemeinen Versumpftheit. Und in der Stadt, in welcher das Blut des Dezember noch kaum getrocknet war, gedieh, anfänglich noch schüchtern, jener Freudenrausch, welcher das Vaterland in die Reihe der entehrten und verlotterten Nationen schleudern sollte.

      Schon seit den ersten Tagen fühlte Aristide Saccard diese Fluth der Spekulation herannahen, deren Schauer alsbald ganz Paris überschwemmen sollte. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte er die Fortschritte, die dieselbe machte. Er befand sich in der Mitte des warmen Goldregens, welcher auf die Dächer der Stadt niederfiel. Auf seinen unablässigen Streifzügen durch das Stadthaus hatte er den umfassenden Plan zur Erweiterung und Verschönerung von Paris aufgegriffen, den Plan der Demolirungen, neuen Straßenzüge und der improvisirten Stadtviertel, des ungeheuren Aufgeldes bei Häuser- und Baugründeverkäufen, jenes Planes, welcher an allen Enden und Ecken der Stadt die Kämpfe der Interessen und den übertriebensten Luxus entfesselte. Von da an war seiner Thätigkeit ein Ziel vorgesteckt; zu dieser Epoche kehrte er den guten Jungen hervor. Er setzte sogar etwas Wohlbeleibtheit an und rannte nicht mehr gleich einer mageren Katze, die einer Beute nachstellt, durch die Straßen. In seinem Bureau wurde er gesprächiger und zuvorkommender denn je. Sein Bruder, den er von Zeit zu Zeit besuchte, beglückwünschte ihn ob der Geschicklichkeit, mit welcher er seine Rathschläge ins Praktische übertrug. Als das Jahr 1854 zu Ende ging, vertraute ihm Saccard an, daß er mehrere Angelegenheiten in Aussicht habe, zur Ausführung derselben aber ziemlich bedeutende Vorschüsse benöthige.

      »Man sucht sich dieselben zu verschaffen,« sagte Eugen.

      »Du hast Recht, ich werde suchen,« erwiderte er ohne jeden Aerger, dem Anscheine nach sogar ohne zu bemerken, daß sich sein Bruder weigerte, ihm diese ersten Vorschüsse zu bewilligen.

      Diese ersten Mittel waren es indessen, die ihm jetzt keine Ruhe ließen. Sein Plan war entworfen


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