Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Euphorbus, der wie stacheliges Wachs aussehend, mißgestaltet, voll Höcker und Beulen ist und einen giftigen Saft absondert. Und unter den Bäumen bedecken die niedrigen Farrenkräuter den Boden; das Adiantum, die Ptériden breiten ihre zarten Spitzen, ihre feinen Blätterfranzen aus. Die etwas höhere Art der Alsophila hatte ihre kleinen sechswinkeligen Zweige mit solcher Regelmäßigkeit übereinander emporgeschichtet, daß sie großen Fayencegefäßen glichen, die bestimmt waren, die Bestandtheile eines Riesendesserts in sich aufzunehmen. Ferner umgab ein Saum von Begonien und Caladien die Baumgruppen : die zerzausten Blätter der ersteren reizend in Grün und Roth gefärbt, während die der Caladien breiten Schmetterlingsflügeln glichen, die mit allerlei Streifen und Schnörkeln bedeckt waren; bizarr geformte Pflanzen, deren Blätterwerk ein absonderliches Leben führt und blasse, kränkelnde Blüthen zeitigt.
Hinter den Bäumen zog sich eine etwas engere zweite Allee rings um das Treibhaus. Hier blühten auf stufenweise geordneten Ständern, welche zugleich die Verkleidung der Heizröhren bilden, die Maranta mit ihren sich wie Sammt anfühlenden Blättern; die Gloxinia mit violetten, glockenförmigen Blüthendolden; die Dracoena, deren Blätter lackirten Säbelklingen glichen.
Einen der größten Reize dieses Wintergartens bildeten die sich in den Winkeln vorfindenden, aus grünem Laub gebildeten Schlupfwinkel, die verborgenen Nestern vergleichbar, von einem dichten Vorhang von Lianen und anderen Ranken verdeckt wurden. Kleine dichte Wälder waren hieher versetzt worden; sie bauten hier ihre Mauern von Laubwerk auf, ihr Dickicht von Stengeln und Fäden, die sich an das Gezweige hängen, dann in kühnem Flug in die Höhe emporsteigen, um von der Decke niederzuhangen gleich den Franzen eines reichen Gezeltes. Ein Vanillenstrauch, dessen reife Blüthen einen durchdringenden Duft entsandten, rankte sich an einem moosumgebenen Portikus empor; Kockelskörner bedeckten die kleinen Säulchen mit ihren runden Blättern; die Bauhinia mit ihren rothen Blüthenkelchen, der Quisqualus, dessen Blätter gleich Schnüren aus Glasperlen herniederhingen, reckten, dehnten, schlangen und verknüpften sich gleich Nattern endlos und verwirrend unter dem dunkeln Schatten der Laubdächer.
Und unter diesen natürlichen Bögen, zwischen den Baumstämmen, hingen an dünnen, eisernen Ketten kleinere und größere Körbe, in welchen Orchideen gezüchtet wurden, jene bizarren Gewächse, die nach allen Seiten hin ihre knotigen, höckerigen, verstümmelten Gliedmaßen gleichenden Zweige ansetzen. Da gab es Venusstiefel, deren Blüthe genau die Form eines an den Fersen mit Libellenflügeln besetzten Pantoffels hat; zart duftende Aëriden und die Stanhopea mit ihren blassen, getigerten Dolden, die schon von Weitem gleich der bitteren Kehle eines Genesenden, einen starken, herben Geruch aushauchen.
Was aber die Aufmerksamkeit am meisten auf sich zog, war ein großer chinesischer Hibiscus, dessen ungeheure Blätter und Blüthen die ganze Mauer bedeckten, welche das Treibhaus mit dem Hotel verband. Die großen purpurnen Blüthen dieser gigantischen Pflanze leben blos einige Stunden und erneuern sich ohne Unterlaß. Man könnte dieselben mit den sinnlichen Lippen einer Frau vergleichen, die sich roth, feucht und weich öffnen und wieder schließen, mit den Lippen einer Riesen-Messalina, die von Küssen zermartert werden und mit ihrem lüsternen, blutigen Lächeln immer wieder zu neuem Leben erwachten.
In der Nähe des Bassins stehend, erschauerte Renée inmitten dieser herrlichen Vegetation. Hinter ihr starrte eine große Sphinx aus schwarzem Marmor, die auf einem Granitblock ruhte und den Kopf nach dem Aquarium gewendet hielt, mit einem verstohlenen, grausamen Katzenlächeln sie an; sie erschien hier mit ihren schimmernden Schenkeln gleich der dunkeln Gottheit dieses heißen Bodens. Aus matten Glaskugeln strömte zu dieser Stunde das Licht durch das Blätterwerk. Statuen, Frauenköpfe, deren Nacken sich im Lachen nach rückwärts neigten, schimmerten durch die Baumstämme, hier und dort von dunklen Schatten bedeckt, die das Lachen verzerrt erscheinen ließen. In dem dicken, schlummernden Wasser des Bassins spielten sonderbare Strahlen, die die meergrünen Wesen, die daselbst ihr Dasein fristeten und die ungeheuerlichsten Formen zeigten, in unbestimmte Schatten hüllten. Auf den glatten Blättern der Ravenaca, auf den lackglänzenden Fächern der Latanen lag eine Fluth weißen Lichtes, während von den Spitzen der Farrenkräuter seine Lichtstrahlen aufzugehen schienen. Hoch oben zwischen den dunklen Wipfeln der schlanken Palmen glitzerte der Widerschein des Glasfenster. Alles Andere ringsum war in Dunkel gehüllt und die grünen Schlupfwinkel mit ihren Vorhängen aus Schlinggewächsen und Lianen versanken in den tiefen Schatten gleich den Nestern schlummernder Reptilien.
Sinnend stand Renée da, von weißem Licht übergossen und betrachtete von Weitem Maxime und Luise. Dies war hier nicht mehr das schwankende Träumen, die unbestimmte Versuchung der anbrechenden Dämmerung, wie in den kühlen Baumgängen des Bois; ihre Gedanken wurden nicht mehr gewiegt und eingeschläfert durch den sanften Trab der Pferde, durch das angenehme Schaukeln der Wagenfedern, an den sorglich gepflegten Rasenplätzen und Gebüschen vorbei, wo am Sonntag Bürgerfamilien ihr Diner einnehmen. Ein klares brennendes Verlangen erfüllte sie nunmehr.
Ein unendliches Liebesbedürfniß, ein Durst nach Wollust wogte durch diesen weiten Raum, in welchem der heiße Lebenssaft der tropischen Pflanzen brodelte. Die junge Frau wurde eine Beute jener mächtigen Paarungen im Erdreiche, die dieses üppige Grün, diese ungeheure Vegetation rings um sie her zeugen und die heiße Umarmung dieses Feuermeeres, diese großartige Entfaltung der Natur, diese gewaltige Pflanzenwelt, völlig durchglüht von den Eingeweiden, die sie nährten, erfüllten sie mit einer Verwirrung, die an Trunkenheit grenzte. Zu ihren Füßen dampfte das Bassin, das von dem Safte der schwimmenden Wurzeln gesättigte heiße Wasser, welches schwere Dünste auf ihre Schultern niederschlagen machte, ihre Haut erwärmte, gleich der Berührung einer von Wollust geleiteten Hand. Ober ihrem Kopfe empfand sie das Spiel der Palmen, den Duft der dunkeln Blätter. Und mehr noch als der warme Hauch der Luft, mehr als das blendende Licht, als die großen, farbensatten Blumen, die lachenden oder grinsenden Gesichtern glichen, die zwischen den Blättern hervorleuchteten, überwältigten sie die von allen Seiten auf sie eindringenden Gerüche. Ein unerklärlicher, schwerer, aufregender Geruch schien aus tausend Düften zusammengesetzt: aus dem des Schweißes, des Frauenathems und der Haare; ein süßlicher und dennoch widerlicher Hauch, daß man von einer Ohnmacht angewandelt ward, wurde durch einen anderen verdrängt, der unerträglich, wie mit Gift geschwängert auf die Nerven wirkte. Doch das Leitmotiv, der einzigen Melodie vergleichbar, die in dieser absonderlichen Symphonie von Gerüchen immer wiederkehrte, die Süße der Vanille und die Schärfe der Orchideen besiegend und erstickend, war dieser menschliche Duft, dieser durchdringende, sinnliche Liebesodem, der des Morgens dem geschlossenen Zimmer zweier junger Ehegatten entströmt.
Langsam hatte sich Renée an den Granitsockel gelehnt. In ihrem grünen Seidenkleide, mit dem von den klaren Tropfen ihrer Diamanten bethauten, gerötheten Hals und Kopf glich sie einer großen rothen und grünen Blume, einer der durch die Hitze ohnmächtig gewordenen Nymphäen des Bassins. In diesen Augenblicken vollkommener Entnervung zerflatterten ihre guten Vorsätze für alle Zeit; die Trunkenheit des Diners drang ihr überwältigend, vermehrt noch durch die sinnberückenden Einflüsse des Treibhauses zu Kopfe. Sie dachte nicht mehr an die kühle Nacht, die sie beruhigt hatte, nicht mehr an die murmelnden Schatten des Parkes, deren Stimmen ihr den glücklichen Frieden angerathen. Die Sinne der begehrenden Frau, die Launen der übersättigten Frau erwachten in ihr. Und über ihrem Kopfe lachte die Sphinx grinsend, als hätte sie ihn errathen, diesen endlich erkannten Wunsch, welcher dieses todte Herz galvanisirte, das lange verkannte Begehren, dieses »Andere«, wonach Renée, von ihrem Wagen gewiegt, in der sinkenden Nacht vergebens gesucht hatte und das nun mit einem Male, im grellen Lichte dieses Feuergartens vor ihr stand, hervorgerufen durch den Anblick dieser beiden jungen Leute, – Luisens und Maximes – die Hand in Hand mit einander scherzten und plauderten.
In diesem Augenblick ertönten Stimmen aus einer nahen Laube, in welche Aristide Saccard die Herren Mignon und Charrier geführt hatte.
»Nein, nein, Herr Saccard«, sprach die tiefe Stimme des Letzteren; »wir können Ihnen nicht mehr als zweihundert Francs für den Meter geben.«
Dagegen protestirte aber die kreischende Stimme Saccards:
»Sie haben mir aber beim Verkaufe den Meter mit zweihundertfünfzig Francs berechnet!«
»Nun denn, hören Sie; wir wollen zweihundertfünfundzwanzig Francs sagen.«