Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.dieser Zeit fuhr Herr Toutin-Laroche, der unterbrochen worden, mit größtem Ernst zu sprechen fort, als hätte er bei gespanntester Aufmerksamkeit im Munizipalrath eine Rede gehalten:
»Die Ergebnisse sind vorzügliche. Diese Anleihe der Stadt wird stets eine der schönsten finanziellen Operationen unserer Zeit genannt werden. Ah! meine Herren ...«
Hier wurde seine Stimme abermals durch lautes Gelächter übertönt, welches mit einem Male an einem Ende der Tafel erscholl. Inmitten dieses Heiterkeitsausbruches konnte man die Stimme Maxime's vernehmen, der eine begonnene Anekdote vollendete: »Warten Sie doch, ich bin noch nicht fertig. Ein armer Wegarbeiter hob die kühne Amazone auf. Man behauptet, sie habe ihn einer vortrefflichen Erziehung theilhaftig werden lassen, um ihn später zu heirathen. Sie will nicht, daß sich außer ihrem Gatten noch Jemand rühmen könne, ein gewisses schwarzes Mal oberhalb ihres Kniees gesehen zu haben.« – Von Neuem erscholl lautes Lachen; auch Luise lachte unbefangen, lauter noch als die Herren. Und inmitten dieser Heiterkeit schob sich wie taub der ernste Kopf eines Bedienten neben jedem Gaste hin, um ihm leisen Tones getrüffeltes Huhn anzubieten.
Aristide Saccard war ungehalten über die geringe Aufmerksamkeit, welche man Herrn Toutin-Laroche zutheil werden ließ. Und um ihm zu beweisen, daß er ihm Gehör geschenkt, wiederholte er:
»Die städtische Anleihe ...«
Herr Toutin-Laroche aber war nicht der Mann, der sich aus dem Konzepte bringen läßt und als sich das allgemeine Gelächter ein wenig gelegt hatte, nahm er von Neuem auf:
»Oh! meine Herren, der gestrige Tag brachte uns einen großen Trost, da ja unsere Verwaltung so vielen unlauteren Angriffen ausgesetzt ist. Man beschuldigt den Magistrat, die Stadt zu Grunde zu richten und nun sehen Sie, daß sobald die Stadt ein Anlehen aufnehmen will, uns von allen Seiten, selbst von den ärgsten Schreiern, Geld in Hülle und Fülle angeboten wird«
»Sie haben ein Wunder vollbracht,« sagte Saccard. »Paris ist die Hauptstadt der Welt geworden.«
»Ja, das ist wirklich wunderbar,« unterbrach ihn Herr Hupel de la Noue. »Denken Sie doch, ich, der ich ein alter Pariser bin, erkenne mein Paris nicht mehr! Als ich gestern vom Stadthause nach dem Luxembourg-Garten gehen wollte, verirrte ich mich. Erstaunlich, in der That!«
Eine Pause trat ein. Alle ernsten Herren hörten jetzt aufmerksam zu.
»Die gänzliche Umänderung der Stadt,« fuhr Herr Toutin-Laroche fort, »wird der Regierung zum Ruhme gereichen. Das Volk ist undankbar; es sollte die Füße des Kaisers küssen. Ich äußerte mich heute Morgens in diesem Sinne auch in der Magistratssitzung, wo man von dem großen Erfolge des Anlehens sprach. »Meine Herren, sagte ich, lassen Sie diese oppositionellen Krakehler schreien; Paris umstürzen heißt dasselbe fruchtbar machen.«
Lächelnd schloß Saccard die Augen, wie um den geistreichen Sinn dieser Worte besser zu genießen. Er neigte sich hinter dem Rücken der Frau von Espanet zu Herrn Hupel de la Noue und bemerkte laut genug, daß es Jedermann vernehmen konnte:
»Er hat einen bewunderungswürdigen Geist.«
Seitdem von den öffentlichen Arbeiten der Stadt die Rede war, hielt Herr Charrier den Hals vorgestreckt, als wollte er an der Unterhaltung theilnehmen. Sein Verbündeter, Herr Mignon, der mit Frau Sidonie beschäftigt war, wurde von dieser entsprechend bearbeitet. Seit dem Beginn des Diners überwachte Saccard die beiden Unternehmer verstohlen.
»Die Stadtverwaltung hat viel guten Willen angetroffen,« sagte er jetzt, »Jedermann wollte das Seinige zu dem großen Werke beitragen. Ohne den ausgiebigen materiellen Beistand, welcher der Stadt von allen Seiten entgegengebracht wurde, waren diese Erfolge schwerlich erzielt worden.«
Er wandte sich zu den beiden Maurermeistern und fügte mit einer Art brutaler Schmeichelei hinzu:
»Die Herren Mignon und Charrier wüßten Einiges davon zu erzählen; sie, die ihren Antheil an der Mühe hatten, aber auch den Ruhm mitgenießen werden.«
Die reich gewordenen Maurer nahmen die Worte mit behaglichem Schmunzeln hin. Mignon, zu dem Frau Sidonie gerade gezierten Tones sagte: »Ach, mein Herr, Sie schmeicheln nur; die rosa Farbe wäre zu jugendlich für mich ...« wandte sich inmitten des Satzes weg von ihr, um Saccard zur Antwort zu geben:
»Sie sind sehr gütig; wir haben unser Geschäft dabei gemacht.«
Charrier aber ging schlauer ins Zeug. Er leerte sein Glas Pomard und brachte die Phrase zu Stande:
»Die öffentlichen Arbeiten haben dem Arbeiter Brod gegeben.«
»Aber auch den finanziellen und gewerblichen Angelegenheiten einen herrlichen Aufschwung,« fügte Herr Toutin-Laroche hinzu.
»Die künstlerische Seite nicht zu vergessen! Die neuen Straßenanlagen sind majestätisch!« bemerkte Herr Hupel de la Noue, der sich etwas darauf zu Gute that, daß er Geschmack hatte.
»Ja, ja, es ist ein schönes Stück Arbeit,« murmelte Herr von Mareuil, nur um auch etwas zu sagen.
»Und was die Ausgaben betrifft,« erklärte der Abgeordnete Haffner, der den Mund nur bei großen Anlässen öffnete; »so werden unsere Kinder für dieselben aufkommen und das wird nur recht und billig sein.«
Und da er bei diesen Worten Herrn von Saffré anblickte, mit dem die niedliche Frau Michelin seit einigen Minuten zu schmollen schien, so wiederholte der junge Sekretär, um zu beweisen, daß er dem Gespräche gefolgt war:
»In der That, das wird nur recht und billig sein.«
Unter der Gruppe, welche die ernsten Männer in der Mittelpartie des Tisches bildeten, hatte Jedermann seine Bemerkung gemacht. Herr Michelin, der Bureau-Chef, lächelte und wiegte den Kopf; dies war für gewöhnlich seine Art und Weise, an einer Unterhaltung theilzunehmen. Er lächelte um zu grüßen, zu antworten, um beizustimmen, zu danken, um Abschied zu nehmen; er hatte eine ganze Sammlung solcher Lächeln und diese enthoben ihn fast immer der Nothwendigkeit des Sprechens, was seiner Ansicht nach offenbar höflicher und für seine Beförderung vortheilhafter war.
Eine zweite Person verhielt sich gleichfalls schweigend: der Baron Gouraud, der langsam, mit halb geschlossenen Augen kaute, wie ein Ochs. Bislang war er von dem Inhalte seines Tellers vollkommen in Anspruch genommen worden und Renée, die ihm besondere Fürsorge zutheil werden ließ, hatte nichts als von Zeit zu Zeit ein Knurren der Zufriedenheit von ihm herauszubringen vermocht. Man war daher nicht wenig überrascht, als man ihn den Kopf erheben sah und – während er sich die Lippen vom Fett trocknete – sagen hörte:
»Ich bin Hauseigenthümer und wenn ich eine Wohnung renoviren und neu malen lasse, so erhöhe ich den Miethzins.«
Die Worte des Herrn Haffner: »Unsere Kinder werden zahlen,« hatten die Aufmerksamkeit des Senators erweckt. Jedermann gab seinen Beifall zu erkennen und Herr von Saffré rief aus:
»Ausgezeichnet! Dieser Einfall verdient, in den Zeitungen gedruckt zu werden.«
»Sie haben Recht, meine Herren, die Zeiten sind günstig,« sagte Herr Mignon inmitten der Lächeln und zustimmenden Bemerkungen, zu welchen die Worte des Barons Anlaß geboten. »Ich kenne so Manchen, der sich dank derselben ein nettes Vermögen erwarb. Ja, wenn sich Geld verdienen läßt, ist Alles schön und gut.«
Die letzten Worte wirkten peinlich auf die ernsten Herren. Die Unterhaltung brach jählings ab und Jedermann vermied es, seinen Nachbar anzublicken. Die Bemerkung des Maurers hatte die Herren erschreckt. Michelin, der Saccard gerade mit freundlicher Miene betrachtete, hörte auf zu lächeln, da er fürchtete, einen Augenblick den Anschein gehabt zu haben, als wollte er die Worte des Unternehmers auf den Hausherrn anwenden. Dieser warf einen Blick auf Frau Sidonie, die sofort wieder über Herrn Mignon herfiel, indem sie sagte: »Sie sind also ein Freund der rosa Farbe ...« Darauf richtete Saccard eine letzt« Schmeichelei an Frau von Espanet; dabei berührte sein schwärzliches, unansehnliches Gesicht beinahe die milchweißen Schultern der jungen Frau, die sich leise kichernd in ihren Stuhl zurücklehnte.
Man war