Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.giebt. Oh! jetzt wird Alles in Flammen gehüllt sein! Siehst Du? Man sollte meinen, das ganze Viertel siede in der Retorte eines Alchimisten.«
Seine Stimme klang ernst und bewegt. Der Vergleich den er gefunden, schien ihn selbst zu überraschen. Er hatte Wein getrunken, seine gewöhnliche Schweigsamkeit war gewichen und den Arm ausstreckend, um seiner Frau, die neben ihm im Fenster lehnte, Paris zu zeigen, fuhr er zu sprechen fort:
»Ja, ja, ich sagte ganz richtig, mehr als ein Viertel wird zerfließen und Gold an den Fingern der Leute haften bleiben, die unter dem Kessel das Feuer nähren werden! Dieses große, einfältige Paris! sieh doch, wie riesengroß es ist, und wie sanft es einschlummert! Wie dumm sind doch diese großen Städte! Paris hat keine Ahnung von den zahllosen Spitzhauen, die es eines schönen Morgens angreifen werden und gar viele Hôtels der Rue d'Anjou würden bei den Strahlen der untergehenden Sonne nicht so prahlerisch leuchten und funkeln, wenn sie wüßten, daß sie blos drei oder vier Jahre noch zu leben haben!«
Angèle dachte, ihr Gatte scherze blos. Er hatte die Gewohnheit, mitunter auf solch übertriebene und beunruhigende Art zu scherzen. Sie lachte, doch ein wenig erschrocken, als sie sah, daß dieser kleine Mann sich oberhalb des zu seinen Füßen schlummernden Riesen emporreckte und die geballte Faust schüttelte, wobei er die Lippen ironisch zusammenkniff. »Der Anfang ist schon gemacht,« fuhr er fort. »Das ist aber noch nichts. Sieh, dort unten, wo sich die Hallen erheben, hat man Paris in vier Theile geschnitten ...«
Und mit der ausgestreckten geöffneten Hand, die fast einem großen Messer glich, machte er eine Bewegung, als trennte er die Stadt in vier Theile.
»Du meinst offenbar die Rue de Rivoli und den neu angelegten Boulevard?« fragte seine Frau.
»Ja, das große Fensterkreuz von Paris, wie sie es nennen. Der Louvre und das Stadthaus werden blosgelegt. Ein reines Kinderspiel das! Geeignet, um den Leuten Appetit zu machen. Sobald das erste Netz beendet worden, wird der große Tanz beginnen. Das zweite Netz wird die Stadt nach allen Richtungen durchbrechen, um die einzelnen Viertel mit dem ersten Netz zu verbinden. Die Trümmer werden in einem Meer von Kalk und Gips ersticken. Folge ein wenig den Bewegungen meiner Hand. Vom Boulevard du Temple bis Zur Barrière du Trône wird sich der erste Einschnitt hinziehen; nach dieser Seite hin, von der Madeleine bis zum Monceaux-Park ein zweiter; ein dritter nach dieser, ein vierter nach jener Richtung hin; ein Einschnitt hier, ein anderer dort, überall lauter Einschnitte, Paris förmlich von Schwerthieben zerhackt, mit offenen Pulsadern daliegend und hunderttausend Maurern und Erdarbeitern Brod und Arbeit gebend! Paris von herrlichen strategischen Wegen durchzogen, welche die Befestigungen gleichsam mitten in die alten Stadtviertel rücken.«
Die Nacht war gekommen; seine trockene, nervöse Hand aber durchschnitt noch immer die Leere. Angèlen erfaßte ein leichter Schauder angesichts dieses lebenden Messers, dieser eisernen Finger, die ohne Erbarmen die dunkeln Dächer zerstückten. Seit einigen Minuten begannen leise Nebel auch die erhöhten Punkte zu umkreisen und in den zunehmenden Schatten meinte sie entferntes Krachen zu vernehmen, als hätte die Hand ihres Gatten thatsächlich die Einschnitte gezogen, von welchen er sprach, und die Paris von einem Ende zum anderen aufrissen, die Mauern bersten machten, Häuser hinwegfegten und tiefe, offene Wunden und Breschen zurückließen. Diese kleine Hand, die sich einer riesenhaften Beute bemächtigen zu wollen schien, begann sie schließlich zu beunruhigen und während dieselbe ohne jede Anstrengung die ungeheure Stadt in Stücke zerlegte, nahm sie in dem bläulichen Dämmerlichte einen seltsamen Stahlschimmer an.
»Auch ein drittes Netz wird entstehen,« fuhr Saccard nach einer Weile gleichsam zu sich selbst sprechend fort; »doch ist dasselbe etwas entfernter, so daß ich es weniger deutlich sehe. Ich habe nur geringe Anzeichen gefunden – dies aber wird der helle Wahnsinn, ein infernalischer Galop der Millionen werden; Paris wird berauscht und zu Boden geschmettert daliegen.«
Abermals verstummte er, wobei er die Augen fest auf die Stadt gerichtet hielt, in welcher die Nebelmassen immer dichter rollten. Er mochte wohl diese ferne Zukunft zu erforschen suchen, die er noch nicht erfassen konnte. Dazwischen wurde es immer finsterer, die Stadt bot ein immer mehr verschwommenes Bild; man hörte, wie sie tief Athem holte, gleich einem Meere, von welchem nur mehr die blassen Schaumkämme zu sehen waren. Hier und dort konnte man noch eine weißlich schimmernde Mauer unterscheiden und allmälig begannen die gelben Gasflammen die Dunkelheit zu durchbrechen, Sternen vergleichbar, die an dem mit sturmschwangeren Wolken bedeckten Himmel zum Vorschein kommen.
Angèle schüttelte ihr Unbehagen gewaltsam ab und griff den Scherz auf, welchen ihr Gatte beim Dessert gemacht.
»Ja,« sagte sie lächelnd; »es hat Zwanzigfrancsstücke geregnet und nun zählen die Pariser dieselben. Sieh doch die schönen Stöße, die man zu unseren Füßen aufschichtet.« Dabei deutete sie auf die Straßen, die dem Montmartre gegenüber sich hinabsenken und deren Gasflammen ihre goldgelben Flammen gleich aufgeschichteten Metallbarren erscheinen ließen.
»Und dort unten,« rief sie aus, auf ein Geflimmer zahlloser Flammen deutend; »das ist sicherlich die Hauptkassa.«
Saccard lachte über diese Worte. Sie blieben noch eine Weile am Fenster, ganz entzückt über dieses Niederrieseln der »Zwanzigfrancsstücke«, welches ganz Paris in Feuer zu hüllen schien. Als man sich auf den Heimweg begab, bereute Aristide, daß er so viel gesprochen. Er schrieb die Schuld dem Weine zu und bat seine Frau, über die »Dummheiten«, die er gesprochen, Schweigen zu beobachten; er wolle, sagte er, für einen ernsten Mann gehalten werden.
Während sehr langer Zeit hatte Saccard diese drei Netze studiert, welche Straßen und Boulevards bilden sollten und deren Plan er Angèlen in einem Augenblick des Vergessens verrathen hatte. Als diese starb, war es ihm ganz recht, daß sie sein Geschwätz vom Montmartre mit ins Grab genommen. Da, in diesen famosen Furchen, die seine Hand durch den Mittelpunkt von Paris gezogen, ruhten seine Reichthümer und es lag ihm viel daran, seine Gedanken vor Niemandem zu enthüllen, da er sehr wohl wußte, daß es am Tage der Beutetheilung gar viele Raben geben werde, die über die wehrlos daliegende Stadt würden herfallen wollen. Sein erster Plan bestand darin, zu möglichst niedrigem Preise irgend eine Liegenschaft, ein Haus oder ein Grundstück anzukaufen, welches in nicht ferner Zeit der Expropriation anheimfallen würde und durch eine bedeutende Entschädigung einen beträchtlichen Nutzen zu erzielen. Er hätte vielleicht den Versuch gemacht, die Sache ohne Geld durchzuführen, das heißt die Liegenschaft auf Credit zu kaufen, um hernach blos die Differenz einzustreichen, wie man es an der Börse macht. als seine Wiedervermählung erfolgte, die ihm zweihunderttausend Francs eintrug und seine Pläne zur Reife brachte. Nun standen seine Berechnungen fest: ohne selbst zum Vorschein zu kommen, kaufte er unter dem Namen eines Vermittlers seiner Frau das Haus in der Rue de la Pepinière ab und verdreifachte seinen Einsatz dank seiner im Stadthause erworbenen Sachkenntniß und seinen guten Beziehungen zu gewissen einflußreichen Personen. Als ihm Tante Elisabeth die Straße genannt, in welcher sich das Haus befand, war er freudig erregt zusammengezuckt, weil dasselbe gerade inmitten des projektirten Straßenzuges lag, von welchem man einstweilen nur ganz insgeheim in dem Kabinet des Seinepräfekten sprach. Dieser Straßenzug, der Boulevard Malesherbes, nahm seinen Spekulationsgeist völlig gefangen. Man gedachte damit einen alten Plan Napoleons des Ersten zur Ausführung zu bringen, »um, wie die ernsten Leute sagten, den hinter einem Labyrinth enger Straßen, auf den steilen Abhängen der Paris umschließenden Hügel gelegenen und dadurch gänzlich lahmgelegten Vierteln einen natürlichen Ausweg zu bahnen.« Diese offizielle Phrase verrieth selbstverständlich nichts von dem Interesse, welches das Kaiserreich an dem Wirbeltanze der Goldstücke, an diesem Wegschaffen und Zuführen von Erde, Ziegeln und Mörtelwerk hatte, welche das Arbeitervolk unablässig beschäftigen sollten. Eines Tages hatte sich Saccard die Freiheit genommen, bei dem Präfekten jenen famosen Plan von Paris zu besichtigen, auf welchem »die Hand einer hochgestellten Persönlichkeit« mit rother Tinte die Hauptzüge des zweiten Netzes bezeichnet hatte. Diese blutigen Federstriche durchschnitten Paris noch tiefer, als die Hand des Wegekommissärs. Der Boulevard Malesherbes, der prächtige Hôtels in der Rue d'Anjou und Rue de la Ville-d'Évêque niederwerfen und bedeutende Erdarbeiten nöthig machen würde, sollte in erster Reihe in Angriff genommen werden. Als Saccard das Haus in der Rue de la Pepinière besichtigte, gedachte er jenes Herbstabends, jenes Diners, welches er mit Angèle am