Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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auf's Land abreisen muß. Sie werden wohl die Güte haben, diese kleine Untersuchung ohne mich vorzunehmen... Und vor Allem: verrathen Sie mich nicht; die Herren beklagen sich ohnehin, daß ich mir zu oft Urlaub nehme.«

      »Seien Sie ganz unbesorgt,« erwiderte Toutin-Laroche; »ich begebe mich unverzüglich in die Rue de la Pepinière.«

      Damit begab er sich ruhig nach Hause, von einer gewissen Bewunderung für den Baron erfaßt, der die schwierigen Situationen so gewandt zu lösen verstand. Er behielt die Papiere bei sich und erklärte in der nächsten Sitzung gebieterischen Tones in seinem, so wie im Namen des Barons, daß man zwischen dem Gebot von 500 000 Francs und der Forderung von 700 000 Francs den Mittelweg einschlagen und 600 000 Francs bewilligen müsse. Keine Stimme des Widerspruches wurde laut. Das Kommissionsmitglied aus der Rue d'Astorg, das offenbar über die Sache nachgedacht hatte, erklärte mit liebenswürdiger Miene, daß es sich getäuscht und geglaubt habe, es handle sich um das angrenzende Haus.

      So errang Aristide seinen ersten Sieg. Er vervierfachte sein Betriebskapital und sicherte sich zwei Helfershelfer. Eine Sache blos beunruhigte ihn: als er die famosen Bücher der Frau Sidonie vernichten wollte, fand er sie nicht mehr. Er eilte zu Larsonneau, der ihm rundheraus erklärte, daß er dieselben bei sich habe und auch zu behalten gedenke. Der Andere schien darob gar nicht aufgebracht, sondern sagte blos, er habe sich nur um seines theuren Freundes willen beunruhigt, der viel mehr gefährdet sei als er, da jene Skripturen fast ganz von seiner Hand herrührten; doch sei er vollkommen beruhigt, sobald er dieselben in seinem Besitze wisse. In Wahrheit aber hätte er den »theuren Freund« gerne erdrosselt; er erinnerte sich, daß ein sehr kompromittirendes Schriftstück, ein falsches Inventar vorhanden sei, welches er verfaßt und unbedachterweise in einem der Bücher vergessen hatte. Larsoneau errichtete, nachdem er reich belohnt worden, in der Rue de Rivoli eine Agentur, deren Räumlichkeiten mit dem größten Luxus eingerichtet waren. Saccard gab sein Amt im Stadthause auf und da ihm nunmehr bedeutende Mittel zu Gebote standen, so stürzte er sich kopfüber in die hohe Spekulation, während Renée, von einem Vergnügungstaumel erfaßt, mit ihren Equipagen, Diamanten und Toiletten Paris blendete.

      Zuweilen begaben sich Mann und Frau, diese zwei von der brennenden Sucht nach Geld und Zerstreuungen erfüllten Naturen, nach der in eisige Nebel getauchten Insel Saint-Louis und da schien es ihnen immer, als beträten sie eine todte Stadt.

      Das zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts erbaute Hôtel Béraud war ein massives, düsteres Gebäude mit schmalen hohen Fenstern, wie sie im Marais-Stadtviertel sehr zahlreich sind und wie man solche an Pensionate, Selterwasser-Fabrikanten und Wein- und Alkoholhändler vermiethet. Es war aber ausgezeichnet erhalten. Auf der an der Rue Saint-Louis-en-l'Ile gelegenen Seite hatte es blos drei Stockwerke, deren jedes fünfzehn bis zwanzig Fuß hoch war. Das etwas niedrigere Erdgeschoß hatte mit mächtigen Eisengittern versehene Fenster, die traurig in die dicken Mauern versenkt waren, und ein abgerundetes Thor, welches fast ebenso breit als hoch, mit einem gußeisernen Hammer versehen, dunkelgrün gestrichen und mit mächtigen Nägeln beschlagen war, die auf den beiden Flügeln Sterne und Rauten bildeten. Dieses Thor war typisch mit seinen Prellsteinen auf beiden Seiten, die halb zurückgelehnt reichlich mit eisernen Schutzreifen versehen waren. Deutlich war zu sehen, daß man ehemals in der Mitte des leicht abschüssigen, mit Kies bestreuten Torweges eine Rinne zur Ableitung des Schmutzwassers angelegt hatte. Doch hatte sich Herr Béraud entschlossen, diese Rinne zuschütten zu lassen, was übrigens das einzige Opfer war, welches er der modernen Architektur brachte. Die Fenster der Stockwerke waren mit kleinen eisernen Ausladungen versehen, die die aus starkem braungebeiztem Holz gearbeiteten Fensterkreuze mit den kleinen grünlichen Scheiben sehen ließen. Bei den Mansarden oben brach das Dach mit einem Male ab und die Dachtraufe setzte ihren Weg allein fort, um das Regenwasser zu den Abflußröhren zu leiten. Und was die strenge Kahlheit der Fassade noch vermehrte, war der gänzliche Mangel an Vorhängen und Fensterläden, den der Umstand, daß die Sonne dieses farblose, melancholische Mauerwerk niemals, zu gar keiner Jahreszeit beschien, erklärlich machte. Diese Fassade lag mit ihrem ehrwürdigen Anstrich, ihrer bürgerlichen Strenge in ewigem Schlummer da, welchen kein Wagengerassel, keinerlei Unruhe des Viertels störte.

      Im Innern des Hotels lag ein von Arkaden umgebener viereckiger Hof, der die Place Royale in verkleinertem Maßstäbe darstellend, mit mächtigen Quadern gepflastert war, was die Ähnlichkeit dieses toten Hauses mit einem Kloster noch erhöhte. Dem Vorhofe gegenüber sandte ein Brunnen, ein halb zerstörter Löwenkopf, von dem man nur mehr den halb offen stehenden Rachen sah, durch eine eiserne Röhre einen monotonen, schwerfälligen Wasserstrahl in ein moosüberwuchertes und an den Rändern durch den Gebrauch abgenütztes Becken. Dieses Wasser war kalt wie Eis. Zwischen den Quadern sprießte das Gras. Im Sommer vermochte ein dünner Sonnenstrahl in den Hof zu dringen und dieser seltene Besuch hatte eine Ecke der Fassade gebleicht, während die drei anderen Seiten düster und schwärzlich, von feuchten Flecken überzogen herniederblickten. In diesem Hofe, wo es kühl und still war, wie in einem Brunnenschachte und den nur ein blasses, winterliches Licht erhellte, hätte man sich tausend Meilen von diesem neuen Paris entfernt geglaubt, wo in dem Getümmel der Millionen alle Genüsse winkten.

      Ruhig und traurig, kalt und feierlich wie der Hof, waren auch die inneren Räumlichkeiten. Von einer breiten, mit einem eisernen Geländer versehenen Treppe durchschnitten, auf welcher die Schritte und das Räuspern der Besucher wie in einem Kirchenschiffe widerhallten, zogen sich in langen Reihen weite und hohe Räume hin, in welchen die alten Möbel aus dunklem, starkem Holz ganz verloren gingen; das in denselben herrschende Halbdunkel belebten bloß die Tapetenfiguren, deren Umrisse undeutlich wahrzunehmen waren. Hier war der ganze Luxus der alten Pariser Bourgeoisie anzutreffen, ein unbequemer und unverwüstlicher Luxus; Sitze, deren Holz kaum mit etwas Stoff überzogen waren, Betten mit starren, steifen Falten, Kleidertruhen, deren schwerfällige, rauhe Bauart bewies, daß sie nicht zur Aufnahme der zarten, modernen Gewänder bestimmt seien. Für seinen eigenen Gebrauch hatte Herr Béraud Du Châtel einige Räume gewählt, die im düstersten Teile des Hôtels, zwischen dem Hofe und der Straße im ersten Stock lagen. Hier befand er sich in einer Umgebung, deren Ruhe und Halbdunkel trefflich geeignet waren, das Sinnen und Nachdenken zu fördern. Wenn er die Türen öffnete und langsam und ernst durch die feierlichen Räume schritt, so hätte man ihn für eines jener alten Parlamentsmitglieder ansehen können, deren Bildnisse man an den Wänden hängen sah und das gedankenvoll nach Hause kam, nachdem es ein königliches Edikt verhandelt und abgelehnt hatte.

      In diesem toten Hause, in diesem Kloster gab es aber ein warmes, lebendurchfluthetes Nest, ein Plätzchen, wohin Sonne und Frohsinn Zutritt hatten, einen Winkel, wo helle Kinderstimmen, Licht und Luft ungehindert anzutreffen waren. Nachdem man eine Menge kleiner Treppen emporgestiegen, zehn oder zwölf Korridore entlang geschritten, hinabgestiegen und wieder hinaufgeklettert war, eine förmliche Reise gemacht hatte, langte man endlich in einem geräumigen Zimmer, in einer Art Belvedere an, welches auf dem Dache, hinter dem Hotel, oberhalb des Quai de Bethune erbaut war. Dasselbe hatte eine vollkommen südliche Lage. Das Fenster war so groß, daß der Himmel mit all' seinen Strahlen, seiner ganzen Luft, seinem gesammten Blau durch dasselbe einzudringen schien. Gleich einem Taubenschlag in die Luft hinausragend, war dieser Raum verschwenderisch mit Blumen ausgestattet; auch enthielt derselbe zahllose Vogelkäfige, aber keinerlei Möbelstück. Bloß auf dem Boden war eine Matte ausgebreitet. Dies war das »Kinderzimmer« und unter dieser Bezeichnung war es im ganzen Hotel bekannt. Das Haus war so kalt, der Hof so feucht, daß Tante Elisabeth befürchtet hatte, der von den düsteren Mauern ausgehende kühle Hauch könnte Christinen und Renée schädlich werden. Gar oft hatte sie die übermütigen Kinder ausgescholten, die unter den Arkaden herumtollten und ein besonderes Vergnügen daran fanden, ihre kleinen Arme in das eisige Wasser der Fontäne zu tauchen. Da war ihr nun der Gedanke gekommen, für die beiden Mädchen diesen speicherartigen Raum einrichten zu lassen, den einzigen Ort, wo die Sonne Zutritt hatte und wo ihre Strahlen seit zwei Jahrhunderten fruchtlos die massenhaften Spinnengewebe erwärmten. Dort brachte sie nun die Kinder unter, gab ihnen eine Matte, Blumen und Vögel. Die Schwestern waren entzückt. Während der Ferien lebte Renée hier, in dem hellen Bade dieser wohltuenden Sonne, die ganz erfreut über die ihr gebotene Zufluchtstätte und über die beiden Blondköpfe zu sein schien, die man ihr geschickt. Das Zimmer wurde ein Paradies, in welchem man blos Vogelgezwitscher und das Plaudern heller fröhlicher Kinderstimmen vernahm.


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