Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.machte. Häufig mußten Renée und Maxime Stunden lang warten; stets waren etwa zwei Dutzend Damen noch zugegen, die darauf warteten, daß die Reihe an sie komme und inzwischen Biscuits in kleine Gläschen Madeira tauchten, die nebst anderen kleineren Delikatessen auf dem großen Tische in der Mitte bereitstanden. Die Damen fühlten sich hier ganz zu Hause, plauderten unbefangen mit einander und wenn sie sich in dem weiten Gemach niederließen, hätte man sie für eine Schaar Lesbierinen halten können, die sich in einem Pariser Salon versammelten. Maxime, den sie um seines mädchenhaften Aussehens willen liebten und in ihrer Nähe duldeten, war das einzige männliche Wesen, welches Zutritt in das Heiligthum hatte. Er schwelgte daselbst in göttlichen Genüssen; er glitt schlangengleich über die Divans hin und stets konnte man ihn unter einem Rock, hinter einem Mieder, zwischen zwei Kleidern antreffen, wo er sich ganz klein zusammenkauerte, vollkommen ruhig verhielt und mit der Miene eines Chorknaben, der den Leib des Herrn empfängt, die duftende Wärme seiner Nachbarinen einathmete.
»Er schmuggelt sich überall ein, der Kleine da,« sagte die Baronin von Meinhold und streichelte ihm die Wangen.
Er war so zart, daß ihn die Damen kaum für vierzehnjährig hielten; sie fanden ein Vergnügen daran, ihn mit dem Madeira des berühmten Worms zu berauschen. Er sprach die überraschendesten Dinge zu ihnen und sie lachten darüber, daß ihnen die Thränen über die Wangen flossen. Indessen war es die Marquise d'Espanet, die das charakteristische Wort der Situation fand; denn als man Maxime eines Tages in einer Divanecke zusammengekauert hinter ihrem Rücken entdeckte, wo er so rosig und erröthend, so ganz durchdrungen von dem Wohlbehagen, welches er in ihrer unmittelbaren Nähe empfand, dreinblickte, murmelte sie:
»Dieser Knabe hätte als Mädchen geboren werden sollen.«
Wenn dann der große Worms Renée endlich vorließ, trat Maxime mit ihr zugleich in das Kabinet. Er hatte sich erlaubt, zwei oder drei Mal einige Worte zu sprechen, während sich der Meister in den Anblick seiner Klienten vertiefte, gleichwie ein Künstler sein Modell betrachtet und der Meister hatte über die Triftigkeit seiner Bemerkungen zu lächeln geruht. Er ließ Renée sich vor einen vom Fußboden bis zur Decke reichenden Spiegel stellen und schien, indem er die Brauen runzelte, innerlich mit sich zu Rathe zu gehen, während die aufgeregte junge Frau den Athem anhielt, um gewiß keine störende Bewegung zu machen. Und wie von Begeisterung ergriffen, begann der Künstler nach wenigen Minuten in großen Zügen das Meisterwerk zu skizziren, welches er vor seinem geistigen Auge entstehen sah, indem er in kurzen Sätzen hervorstieß:
»Robe Montespan aus aschfarbener Fayeseide ... Schleppe halbkurz, vorne runder Ausschnitt ... große Schleifen aus grauem Satin zum Festhalten an den Hüften ... Vordertheil aus gefütterter perlgrauer Seide ...«
Er dachte von Neuem nach, wobei er bis in die tiefste Tiefe seines Genies hinabzutauchen schien und mit der triumphirenden Grimasse einer auf ihrem Dreifuße sitzenden Wahrsagerin fuhr er fort:
»In den Haaren, auf diesem leuchtenden Haupte werden wir den träumerischen Schmetterling der Psyche mit den azurblauen Flügeln anbringen.«
Bei einer anderen Gelegenheit aber wollte die Eingebung nicht kommen. Vergebens rief der berühmte Worms sie herbei; er strengte sich ganz nutzlos an. Dann runzelte er die Brauen, wurde bleich, nahm seinen armen Kopf zwischen beide Hände, drückte ihn verzweiflungsvoll und warf sich schließlich entmuthigt in einen Fauteuil.
»Nein,« murmelte er dabei schmerzlichen Tones; »nein, heute nicht ... heute ist es nicht möglich ... Die Damen sind so erbarmungslos ... Die Quelle ist versiegt.«
Damit setzte er Renée vor die Thür und fügte gleichsam begütigend hinzu:
»Nicht möglich, nicht möglich, verehrte Frau; bitte, sprechen Sie nächster Tage wieder vor ... Heute bin ich nicht in der richtigen Stimmung.«
Nicht lange währte es, so hatte die schöne Erziehung, welche Maxime zutheil wurde, ihre ersten Früchte getragen. Mit siebzehn Jahren verführte der Schlingel das Kammermädchen seiner Stiefmutter. Das Aergste an der Sache war, daß die Person schwanger wurde. Man mußte sie sammt ihrem Balg auf's Land schicken und ihr eine kleine Rente aussetzen. Renée war im höchsten Grade aufgebracht über das Abenteuer, während sich Saccard nur soweit darum kümmerte, als es die materielle Seite der Frage erforderte. Die junge Frau zürnte ihrem Zögling ernstlich. Er, aus dem sie einen vornehmen Mann machen wollte, kompromittirte sich mit einer solchen Person! Welch' lächerlicher, schmählicher Anfang, welch' unbesonnener Streich! Wenn er sich noch mit einer der Damen eingelassen hätte!
»Meiner Treu!« erwiderte er ruhig; »wenn Deine gute Freundin Susanne gewollt hätte, so wäre sie auf's Land geschickt worden.«
»Oh, über den Schlingel!« murmelte sie wehrlos gemacht. Die Vorstellung, Susanne mit einer Rente von zwölfhundert Francs auf dem Lande zurückgezogen zu sehen, stimmte sie heiter.
Dann aber kam ihr ein kurzweiliger Gedanke und ganz vergessend, daß sie die zürnende Mutter darzustellen habe, begann sie zu lachen und ihn aus den Augenwinkeln ansehend, murmelte sie, während sie ihr Lachen hinter der vorgehaltenen Hand zu ersticken suchte:
»Höre 'mal, Adeline wäre in diesem Falle sehr ungehalten über Dich gewesen und sie hätte Susannen heftige Vorwürfe gemacht...«
Weiter sprach sie nicht, denn Maxime begann ebenfalls zu lachen. Derart kam Renée's Sittenstrenge in diesem. Abenteuer zu Falle.
Aristide Saccard kümmerte sich nicht im Geringsten um die beiden Kinder, wie er seinen Sohn und seine zweite Frau nannte. Er lies ihnen eine unbeschränkte Freiheit, froh darüber, daß sie so gute Freunde waren, wodurch sich sein Haus mit geräuschvoller Heiterkeit füllte. Es war das übrigens ein gar merkwürdiges Haus. Die Thüren desselben gingen während des ganzen Tages auf und zu; die Dienerschaft unterhielt sich mit lauter Stimme; inmitten der funkelnagelneuen Pracht erschienen fortwährend ungeheure flatternde Damenröcke, ganze Züge von Lieferanten, die lärmende Schaar von Renée's Freundinen, die Kameraden Maxime's und die Besucher Saccard's. Letzterer empfing von neun bis elf Uhr die merkwürdigsten und verschiedensten Personen der Welt: Senatoren und Gerichtsvollzieher, Herzoginen und Modewaarenhändler, den ganzen Gischt, welchen die Pariser Stürme vor seine Thüre fegten; Seidenkleider, schmutzige Röcke, Blousen und schwarze Fräcke, die er mit dem stets gleichen geschäftigen Ton, denselben ungeduldigen und nervösen Bewegungen empfing. Er erledigte wichtige Geschäfte in zwei Worten, löste zwanzig Schwierigkeiten auf einen Hieb und fand Lösungen im Handumdrehen. Man hätte meinen sollen, daß dieser bewegliche kleine Mann, der eine sehr starke Stimme hatte, in seinem Kabinet mit den Leuten und Möbeln stritt und zankte, mit dem Kopfe gegen die Decke stieß, um demselben Gedanken zu erpressen und immer wieder siegreich auf seine Füße zurückfiel. Um eilf Uhr verließ er das Haus, wo man ihn während des ganzen Tages nicht wiedersah; er dejeunirte außerhalb des Hauses und oft nahm er auch das Diner auswärts ein. Dann gehörte das Haus Renée und Maxime. Sie nahmen das Arbeitszimmer des Vaters ein, öffneten dort die Sendungen der Lieferanten und allerlei Tand und werthloses Zeug breitete sich auf den wichtigsten Geschäftspapieren aus. Mitunter mußten ernste Persönlichkeiten Stunden lang vor der Thür des Arbeitszimmers warten, während der Schuljunge und die junge Frau auf dem Arbeitstische Saccard's sitzend, über ein neues Band beratschlagten. Renée ließ zehnmal während eines Tages anspannen. Nur selten speiste man zusammen; von den drei Personen der Familie streiften sicherlich immer zwei außerhalb des Hauses umher und kehrten gewöhnlich erst um Mitternacht heim. Es war das ein geräuschvolles Haus, den Geschäften und Zerstreuungen gewidmet, in welches das moderne Leben mit seinem Goldklange und seidenen Gewändern seinen rauschenden Einzug gehalten.
Endlich befand sich Aristide Saccard in seinem Element. Er hatte gefunden, daß er zum großen Spekulanten geboren worden, der Millionen aus der Erde hervorstampfen müsse. Nach dem Meisterstreich in der Rue de la Pepinère stürzte er sich kühn in den Kampf, welcher Paris mit schmählichen Trümmern und glänzenden Triumphen zu füllen begann. Er wiederholte das alte Spiel, nunmehr mit aller Sicherheit, kaufte die Häuser an, die er der Spitzhaue verfallen wußte und benützte seine Freunde dazu, bedeutende Entschädigungssummen zu erwirken. Es traten Epochen ein, da er fünf oder sechs Häuser sein eigen nannte, – all' jene Häuser, die er ehedem auf so eigenthümliche