Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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und schließlich gelang es ihr, ihre verstummende Ehrbarkeit gänzlich zu unterdrücken, zumal sie durch ihr unersättliches Verlangen, zu wissen und zu fühlen, unaufhaltsam vorwärts getrieben wurde.

      Im Uebrigen segelte sie im gewöhnlichen Fahrwasser. Sie plauderte gerne halblaut und mit vielsagendem Lachen über das seltene Vorkommniß einer zärtlichen Freundschaft, wie sie zwischen Susanne Haffner und Adeline d'Espanet bestand; über das heikle Gewerbe der Frau von Lauwerens und die zu festgesetzten Preisen erhältlichen Küsse der Gräfin Vanska; doch betrachtete sie all' diese Dinge nur von Weitem, mit der unbestimmten Idee, dieselben selbst einmal zu verkosten und dieses unentschiedene Verlangen, welches sie in ihren bösen Stunden heimsuchte, vermehrte noch die sinnverwirrende Angst, dieses erschrockene Suchen nach einem einzigen, köstlichen Genuß, welcher nur ihr zu eigen bliebe. Ihre ersten Liebhaber hatten sie nicht verwöhnt; diesmal hatte sie gemeint, von einer großen Leidenschaft erfaßt worden zu sein, – die Liebe platzte in ihrem Kopfe gleich einer Petarde, deren Funken aber in ihrem Herzen nicht zündeten. Während eines Monats war sie wie toll, ließ sie sich überall mit ihrem Angebeteten sehen und eines schönen Morgens empfand sie an Stelle der gestrigen Zärtlichkeit eine niederschmetternde Gleichgiltigkeit, eine unendliche Leere, Der Erste, der junge Herzog von Rozan erfreute sich seiner Eroberung am wenigsten lange; Renée, der seine Ruhe und vortreffliche Haltung gefallen, fand, daß er im Tête-à-tête eine Null und im höchsten Grade langweilig sei. Herr Simpson, Attaché der amerikanischen Gesandtschaft, der nach ihm kam, behandelte sie fast roh und kam daher länger als ein Jahr aus mit ihr. Nach dieser Zeit wendete sie ihre Gunst dem Grafen von Chibray, Flügeladjutanten des Kaisers zu, ein schöner, eingebildeter Mann, der ihr merkwürdig lästig zu werden begann, als es der Herzogin von Sternich einfiel, sich in ihn zu verlieben und ihn an sich zu reißen. Nun beweinte sie ihn mit heißen Thränen und ihren Freundinen gegenüber äußerte sie sich, daß ihr Herz gebrochen sei und sie nicht mehr lieben werde. So kam endlich Herr von Mussy an die Reihe, der unbedeutendste Mensch von der Welt, der es nur seiner Gewandtheit beim Arrangiren von Rundtänzen zu danken hatte, daß er im diplomatischen Dienste vorwärts kam. Sie hätte niemals zu sagen vermocht, wie es eigentlich gekommen, daß sie sich ihm hingegeben und dennoch hielt sie es lange mit ihm, denn sie war bereits müde geworden und wollte sich nicht die Mühe geben, mit neuen Gestalten anzuknüpfen, bis sich ihr das Außerordentliche, Ungewöhnliche geboten, worauf sie wartete. Mit achtundzwanzig Jahren war sie bereits übersättigt. Die Langeweile aber däuchte ihr umso unerträglicher, da ihre spießbürgerlichen Tugenden die Stunden, in welchen sie sich langweilte, benützten, um sich zu beklagen und sie zu beunruhigen. Sie verschloß die Thür und hatte fürchterliche Migraine. Oeffnete sich ihre Thüre wieder, so kam zu derselben ein in Seide und Spitzen gehülltes Geschöpf herausgerauscht, welches keine Sorge und kein Erröthen kannte.

      Inmitten ihres alltäglichen, vergnügungssüchtigen Lebens durchkostete sie aber einen Roman. Eines Tages war sie zu Fuße ausgegangen, um ihren Vater zu besuchen, der das Stampfen der Pferde vor seinem Hause nicht leiden mochte, als sie bei hereinbrechender Abenddämmerung heimkehrend, auf dem Quai Saint-Paul die Entdeckung machte, daß ihr ein junger Mann folge. Es war warm gewesen und der Tag neigte sich seinem Ende zu, eine gewisse liebesdurstige Atmosphäre zurücklassend. Bisher war man ihr immer nur zu Pferde durch die Alleen des Bois gefolgt und sie fand, daß dieses Abenteuer pikant sei; dasselbe schmeichelte ihr als eine Art neuer Huldigung und gerade die Brutalität, die Derbheit derselben übte einen prickelnden Reiz auf sie. Anstatt nach Hause zu gehen, schlug sie die Rue du Temple ein, wodurch sie ihren Galan über die Boulevards entlang führte. Der Mann aber wurde kühner und allmälig so zudringlich, daß Renée ein wenig erschrack, den Kopf verlor und durch die Rue de Faubourg-Poissonniere eilend, sich in den Laden der Schwester ihres Gatten flüchtete. Der junge Mann trat hinter ihr ein. Frau Sidonie lächelte, schien zu verstehen und ließ sie allein. Doch als ihr Renée folgen wollte, hielt der Unbekannte sie zurück, begann höflich, doch erregt zu sprechen und erlangte ihre Verzeihung. Der Mann war in irgend einem Amte angestellt, nannte sich Georg und sie fragte ihn niemals nach seinem Familiennamen. Zweimal fand sie sich ein, um mit ihm zusammenzukommen, wobei sie durch den Laden, er durch die Rue Papillon eintrat. Diese zufällige Liebe, die sich auf der Straße angeboten und ebendort angenommen worden, bereitete ihr ein lebhaftes Vergnügen. Sie erinnerte sich stets mit einiger Scham, aber auch mit einem Lächeln des Bedauerns an dasselbe. Frau Sidonie aber zog den Nutzen aus dem Abenteuer, daß sie endlich die Mitschuldige der Frau ihres Bruders wurde, eine Rolle, nach der sie sich seit dem Tage der Vermählung gesehnt.

      Die arme Frau Sidonie hatte sich gewissermaßen verrechnet. Indem sie an dem Zustandekommen dieser Verbindung arbeitete, hatte sie gehofft, sozusagen auch für ihre Person Renée zu heirathen, an dieser eine Klientin zu bekommen und eine Menge kleiner Vortheile aus ihr zu ziehen. Sie beurtheilte die Frau auf den ersten Blick, gleichwie ein Kenner ein Pferd beurtheilt. Ihre Bestürzung war daher keine geringe, als sie, nachdem sie den jungen Eheleuten einen Monat gegönnt, um sich ein wenig einzurichten, sich sagen mußte, daß sie zu spät gekommen, denn als sie wieder vorsprach, sah sie im Salon Frau von Lauwerens thronen. Diese, eine schöne Frau von sechsundzwanzig Jahren, hatte den Beruf, Neulinge in die Geheimnisse des gesellschaftlichen Lebens einzuführen. Sie gehörte einer sehr alten Familie an und war mit einem hochgestellten Finanzmanne verheirathet, der die Thorheit beging, die Bezahlung der Schneider- und Putzmacherrechnungen zu verweigern. Die Dame, die ebenso intelligent wie liebenswürdig war, sorgte nun selbst für sich. Sie verabscheute die Männer, wie sie Jedem versicherte, der es hören wollte; dagegen verschaffte sie all' ihren Freundinen welche, und stets fand sich eine vollständige Auswahl in den Gemächern, welche sie in der Rue de Provence, oberhalb der Bureaux ihres Gatten innehatte. Man nahm daselbst kleine schmackhafte Imbiße ein und kam auf ebenso unerwartete als reizende Weise zusammen. Es hatte gar nichts Anstößiges an sich, wenn ein junges Mädchen ihre liebe Frau von Lauwerens besuchte und es war sicherlich nur der reine Zufall, wenn auch Herren zugegen waren, die sich im Uebrigen eines tadellosen Benehmens befleißigten und den besten Kreisen angehörten. Die Hausfrau selbst nahm sich reizend aus in ihren großen weißen Spitzenkleidern, so daß ihr so mancher Besucher den Vorzug vor ihrer Sammlung blonder und brünetter Schönheiten gegeben hätte. Doch die Chronik versichert, daß sie von absoluter Enthaltsamkeit war. Hierin lag das ganze Geheimniß des Geschäftes. Sie behauptete ihre hohe Stellung in der Gesellschaft, hatte alle Männer zu ihren Freunden, bewahrte ihren Stolz als ehrbare Frau und erfreute sich insgeheim daran, die anderen Frauen zu Falle zu bringen und hieraus sogar Nutzen zu ziehen. Als sich Frau Sidonie über den Mechanismus der neuen Erfindung klar geworden, war sie niedergeschmettert. Die Frau in dem alten schwarzen Kleide, die die Liebesbriefe in ihrem Körbchen beförderte, vertrat die alte, die klassische Schule, die sich jetzt der modernen Schule gegenübergestellt sah, dieser großen Dame, die ihre Freundinen in ihrem Boudoir bei einer Tasse Thee verkauft. Und die moderne Schule triumphirte. Frau von Lauwerens hatte nur einen kalten Blick für die zerknitterte Toilette der Frau Sidonie, in der sie eine Rivalin witterte. Thatsächlich war es ihre Hand, aus welcher Renée ihren ersten Liebhaber, den jungen Herzog von Rozan empfing, welchen die schöne Vermittlerin nur sehr schwer unterzubringen vermochte. Erst später gewann die klassische Schule wieder die Oberhand, als Frau Sidonie ihr Halbgeschoß der flüchtigen Neigung ihrer Schwägerin für den Unbekannten vom Quai Saint-Paul zur Verfügung stellte. Und von da an blieb sie auch ihre Vertraute.

      Einer der Getreuen der Frau Sidonie war Maxime. Noch nicht fünfzehn Jahre alt trieb er sich bereits bei seiner Tante umher, um an den Handschuhen zu riechen, die er in den Fauteuils, auf den Möbeln fand. Sidonie, die jeder klaren Situation mit Abscheu aus dem Wege ging und ihre Gefälligkeiten niemals eingestand, überließ ihm schließlich die Schlüssel zu ihrer Wohnung, indem sie ihm sagte, sie müsse auf's Land gehen, wo sie bis zum nächsten Tage zu bleiben gedenke. Maxime sprach von Freunden, die er nicht im Hause seines Vaters empfangen dürfe und die er gerne hierher führen möchte. Und so verbrachte er denn in dem Halbgeschoß der Rue du Faubourg-Poissonnière mehrere Nächte mit dem armen Mädchen, welches man nachher auf's Land schicken mußte. Frau Sidonie streckte ihrem Neffen Geld vor und verhätschelte den »lieben Kleinen, der noch ganz bartlos war und rosig wie ein Amor«.

      Maxime war aber herangewachsen und nunmehr ein schlanker, hübscher, junger Mann, der die rosigen Wangen und blauen Augen des Kindes sich bewahrt hatte. Sein lockiges Haar trug noch dazu bei, ihm das »mädchenhafte


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