Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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taugte nicht einmal so viel, als diese gleichmüthige, unbedeutende Frau. In ihm verfeinerte sich die Race der Rougons, wurde zarter und lasterhafter. Von einer Mutter stammend, die zu jung gewesen, als sie ihn geboren, brachte er ein merkwürdiges Gemisch des Heißhungers seines Vaters, der Hingebung und Weichheit seiner Mutter mit sich; er war ein mangelhaftes Produkt, in welchem die Fehler der Eltern sich ergänzten und noch verschlimmert erschienen. Diese Familie lebte zu rasch und erstarb bereits in diesem gebrechlichen Körper, bei welchem selbst das Geschlecht gezögert haben mußte und welcher nicht mehr den eisernen Willen, Reichthum und Genüsse anzusammeln gleich Saccard, sondern eine weichliche, kraftlose Natur darstellte, welche die angesammelten Reichthümer verzehrte; ein absonderlicher Hermaphrodit, rechtzeitig erschienen inmitten einer Gesellschaft, die in Fäulniß überzugehen begann. Wenn sich Maxime mit seinen Hüften, um die ihn eine Frau hätte beneiden können, auf seinem hübschen Pferde, in dessen Sattel er sich leicht wiegte, im Bois einfand, so repräsentirte er mit seinem frauenhaften Wuchse, seinen schlanken, weißen Händen, seiner kränklichen, verschmitzten Miene, seiner korrekten Eleganz und seinem Theater-Kauderwälsch die Gottheit dieser Epoche. Mit zwanzig Jahren war er über alle Ueberraschungen und jeden Ekel erhaben. Sicherlich hatte er von den ungewöhnlichsten Ausschweifungen geträumt. Das Laster war bei ihm kein Abgrund, wie bei gewissen Greisen, sondern eine natürliche und rein äußerliche Blüthe und saß in seinen blonden Haaren, lächelte mit seinen Lippen und stack in seinen Kleidern. Am meisten charakterisirten ihn aber seine Augen, diese zwei blauen Löcher, die hell und lächelnd an den Spiegel einer Kokette erinnerten und hinter welchen man die ganze Leere des Gehirns gewahrte. Diese Augen einer feilen Dirne senkten sich niemals zu Boden; sie suchten stets nach neuen Vergnügungen.

      Der ewige Luftzug, welcher in dem Hause der Rue de Rivoli herschte und die Thüren desselben in fortwährender Bewegung erhielt, wurde immer stärker, je mehr Maxime heranwuchs, je weiter Saccard seine Operationen ausdehnte und je fieberhafter Renée nach einem unbekannten Genusse suchte. Diese drei Menschen führten in dem geräumigen Hause schließlich ein Leben, welches ebensosehr durch seine Freiheit, wie durch seine Thorheit in Erstaunen setzte. Es war die reife und merkwürdige Frucht einer ganzen Epoche. Die Straße schien in die Wohnung hinaufzusteigen, mit ihrem Wagengerassel, ihrem Getümmel von Unbekannten, ihrer Ungebundenheit der Rede. Vater, Stiefmutter und Stiefsohn thaten, sprachen und benahmen sich, als hätte sich Jeder allein befunden und ein Junggesellenleben geführt. Drei Kameraden, drei Studenten, die ein möblirtes Zimmer gemeinschaftlich bewohnen, hätten über dieses Zimmer nicht mit mehr Unbefangenheit verfügen können, um daselbst ihren Lastern, ihren geräuschvollen Vergnügungen zu fröhnen. Sie reichten sich zum Empfang die Hände, schienen die Beweggründe gar nicht zu ahnen, welche sie unter demselben Dache vereint hielten, behandelten sich gegenseitig mit heiterer Ritterlichkeit und wahrten sich dergestalt eine absolute Unabhängigkeit. Den Begriff des Familienlebens schien bei ihnen eine Art Gesellschaftshandlung zu vertreten, in welcher die Einkünfte zu gleichen Theilen vertheilt werden; - Jeder nahm seinen Antheil an Vergnügungen und Geldvorrat entgegen und man war stillschweigend darin übereingekommen, daß Jeder seinen Antheil nach seinem Belieben verzehren werde. Es kam so weit, daß die drei Personen sich gegenseitig ganz rückhaltslos über ihre Abenteuer und Zerstreuungen berichteten, ohne beim Andern mehr als etwas Neid oder Neugierde zu erregen.

      Jetzt unterrichtete bereits Maxime seine Stiefmutter. Wenn er sich mit ihr in's Bois begab, erzählte er ihr von den Kokotten allerlei Geschichten, die Beide sehr erheiterten. Kein neues Gesicht konnte zum Vorschein kommen, ohne daß er darnach getrachtet hätte, den Namen des Liebhabers der Betreffenden zu erfahren; er mußte wissen, welchen Monatgehalt sie von demselben bezog und wie sie ihr Leben einrichtete. Er kannte diese Damen genau, wußte intime Details zu erzählen; er war ein lebender Katalog, in welchem alle Dirnen von Paris angeführt und mit ausführlichen orientirenden Daten versehen waren. Diese Art Skandalzeitung bereitete Renée einen hohen Genuß, Wenn sie in Longchamp bei den Renée erschien, hörte sie, während sie mit der stolzen, unnahbaren Miene der vornehmen Frau in den seidenen Kissen ihres Wagens lag, mit einer wahren Gier ihrem Stiefsohne zu, der ihr erzählte, wie Blanche Müller ihren Gesandschaftsattaché mit ihrem Friseur hintergehe, oder wie der kleine Baron den Grafen in Unterhosen in dem Alkoven einer mageren Berühmtheit angetroffen habe, die man ihrer rothen Haare wegen den »gesottenen Krebs« nannte. Jeden Tag gab es etwas Neues und wenn die Geschichte zu arg war, so dämpfte Maxime die Stimme, erzählte aber getreulich bis zu Ende. Renée machte große Augen, wie ein Kind, dem man eine ergötzliche Fabel erzählt, unterdrückte ihr Lachen und verbarg es dann hinter dem spitzenbesetzten Taschentuch, welches sie anmuthig an ihre Lippen hielt,

      Maxime brachte auch die Photographieen dieser Damen mit sich. In jeder Tasche, ja sogar in seinem Zigarrenetui hatte er Bilder von Schauspielerinen. Zuweilen, wenn er sich derselben entledigen wollte, steckte er die Bilder in die Albums, die im Salon auf den Tischen umherlagen und bereits die Porträts der Freundinen Renèe's enthielten. In den Albums befanden sich auch Photographieen von Männern; die der Herren von Rozan, Simpson, von Chibray, von Mussy, gleichwie von Schauspielern, Schriftstellern, Abgeordneten, die auf räthselhafte Weise hinzugekommen waren, um die Sammlung zu vergrößern. Eine merkwürdig gemischte Welt, ein Abbild des Wirrsals von Ideen und Personen, die das Leben Renée's und Maxime's bewegten. Wenn es regnete, wenn man Langeweile hatte, bot dieses Album reichlichen Stoff zur Unterhaltung und immer wieder gerieth es Einem unter die Hände. Gähnend öffnete die junge Frau dasselbe, zum hundertsten Male vielleicht. Dann wurde die Neugierde rege und der junge Mann trat hinter sie, um über ihre Schultern hinweg gleichfalls in das Album zu blicken. Dann wurden eifrige Debatten geführt, die bald den Haaren des »gesottenen Krebses«, dem doppelten Kinn der Frau von Meinhold, den Augen der Frau von Lauwerens, bald dem Busen der Blanche Müller, der etwas schiefen Nase der Marquise oder dem Munde der kleinen Sylvia galten, der von seinen starken Lippen her berühmt war. Sie verglichen all' diese Frauen unter und mit einander.

      »Wenn ich ein Mann wäre,« sagte Renée, »so würde ich Adeline wählen.«

      »Weil Du Sylvia nicht kennst,« erwiderte Maxime »Sie ist zu drollig! ... Mir ist Sylvia lieber.«

      Damit wurde weiter geblättert und wenn dann die Bildnisse des Herzogs von Rozan, des Herrn Simpson oder des Grafen von Chibray zum Vorschein kamen, so fügte der junge Mann spöttisch hinzu:

      »Uebrigens ist es eine ausgemachte Sache, daß Du einen schlechten Geschmack hast... Kann man sich etwas Dümmeres vorstellen, als die Gesichter dieser Herren? Rozan und Chibray sehen meinem Friseur Gustave ähnlich.«

      Renée zuckte mit den Achseln, gleichsam um anzudeuten, daß diese Ironie sie unberührt lasse. Sie fuhr fort, die verschiedenen, bald lächelnden, bald unfreundlichen Gesichter zu betrachten, welche das Album enthielt; besonders lange hielt sie sich bei den Bildern der Mädchen auf, um neugierig die geringsten Details der Photographieen, die Falten und Härchen zu besichtigen. Eines Tages ließ sie sich sogar ein starkes Vergrößerungsglas holen, weil sie auf der Nase des »Krebses« ein Haar glaubte wahrgenommen zu haben. Und thatsächlich zeigte ihr die Lupe ein goldenes Härchen, welches von den Augenbrauen herrühren mochte. Dieses Härchen bot ihnen lange Zeit Stoff zum Lachen. Während einer ganzen Woche mußten die Damen, die zu Besuch kamen, sich durch den Augenschein von dem Vorhandensein dieses Härchens überzeugen. Von da an diente die Lupe dazu, die Gesichter der Damen auf das Sorgfältigste zu untersuchen. Hierbei machte Renée überraschende Entdeckungen; sie fand unbekannte Runzeln, rauhe Haut und Lücken in derselben, welche das Reispulver nur ungenügend verbarg. Schließlich ließ Maxime die Lupe verschwinden, indem er erklärte, er wollte das weibliche Gesicht nicht auf solche Weise verunglimpfen lassen, in Wahrheit aber, weil Renée die dicken Lippen Sylvia's, für die er eine besondere Vorliebe empfand, einer zu strengen Kritik unterzog. Dafür wurde ein neues Spiel ersonnen. Sie stellten die Frage auf: »Mit wem möchte ich am liebsten eine Nacht verbringen?« und schlugen das Album auf, welches ihnen die Antwort brachte. Dieses Spiel führte die ergötzlichsten Verwickelungen herbei. Während einiger Abende nahmen die Freundinen gleichfalls Theil daran. So wurde Renée nacheinander mit dem Erzbischof von Paris, mit dem Baron Gouraud und dem Grafen Chibray vermählt, was allgemeines Gelächter erregte, mitunter auch mit ihrem Gatten, was sie ganz zornig machte. Was Maxime betraf, so fiel ihm – entweder aus Zufall oder aus Renée's Bosheit – stets die Marquise zu. Doch wurde nie so herzlich gelacht, als


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