Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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sie und ertheilte ihr Rathschläge. Sein Vater schien gar nicht zu existiren. Dann theilten sie sich Begebenheiten aus ihrer Jugendzeit mit. Insbesondere wurden sie auf ihren Fahrten durch das Bois von einer unbestimmten Sehnsucht erfaßt, sich gegenseitig Dinge zu erzählen, die man nur schwer oder gar nicht sagen kann. Jene Freude, welche Kinder empfinden, wenn sie ganz leise über verbotene Dinge sprechen können, jener Reiz, der für einen jungen Mann und eine junge Frau darin liegt, mit einander in das Laster hinabsteigen zu können, wenn auch nur mit Worten, brachte sie unablässig auf anstößige Dinge zu sprechen. Sie genossen hiedurch eine Wollust, über welche sie sich keinen Vorwurf zu machen hatten, an welcher sie sich erfreuten, während sie gemächlich in den beiden Ecken des Wagens lagen, gleich zwei Schulfreunden, die über ihre ersten muthwilligen Streiche plaudern. Schließlich prahlten sie sogar mit ihrer Unsittlichkeit. Renée gestand, daß die kleinen Mädchen im Pensionat sehr schlau und durchtrieben seien. Maxime that erstaunt und wagte es, ihr einige der skandalösen Geschichten zu erzählen, die sich im Colleg zu Plassans zugetragen.

      »Ach! ich kann es gar nicht sagen ...« murmelte Renée.

      Darauf neigte sie sich an sein Ohr, als hätte schon der Ton ihrer Stimme genügt, um sie erröthen zu machen und flüsterte ihm eine jener Klostergeschichten zu, wie sie in unfläthigen Gassenhauern besungen werden. Er besaß zu diesen Dingen eine zu reiche Auswahl, als daß er ihr etwas schuldig geblieben wäre. Dicht an ihr Ohr geneigt, sang er leisen Tones irgend ein gemeines Couplet. So geriethen sie allmälig in einen Zustand absonderlicher Mattigkeit, umschmeichelt von all' diesen sinnlichen Gedanken, die sie hegten, angenehm gekitzelt von den sich leise regenden Wünschen, die sich nicht in Worte kleiden ließen. Sanft rollte der Wagen dahin und wenn sie heimkehrten, empfanden sie eine köstliche Mattigkeit, eine größere Erschöpfung als am Morgen einer Liebesnacht. Sie hatten Schlechtes gethan, gleich zwei schulschwänzenden Knaben, die, weil sie keine Mädchen finden, sich mit ihren gegenseitigen Erinnerungen begnügen.

      Eine noch größere Vertraulichkeit herrschte aber zwischen Vater und Sohn. Saccard war sich darüber klar geworden, daß ein großer Finanzmann die Frauen lieben und einige Thorheiten für dieselben begehen müsse. Seine Liebe war brutal, denn er zog das Gold vor; doch sein Programm erheischte es, daß er sich in den Alkoven herumtrieb, einige Banknoten aus gewissen Kaminplatten zurückließ und von Zeit zu Zeit irgend eine hervorragende Vertreterin der Halbwelt als Aushängeschild seiner Spekulationen benützte. Als Maxime die Schulen hinter sich hatte, trafen sie nicht selten bei denselben Damen zusammen und darüber lachten sie nur. Sie wurden sogar in gewissem Sinne Rivalen. Wenn der junge Mann mit irgend einer lustigen Schaar im Maison d'Or speiste, vernahm er im angrenzenden Zimmer mitunter die Stimme Saccard's.

      »Ach! Papa ist auch da!« rief er dann mit einer Grimasse aus, die er irgend einem bekannten Schauspieler abgelernt zu haben schien. Und ohne sich irgend einen Zwang anzuthun, pochte er an die Thür des Zimmers, um die Schöne seines Vaters zu sehen.

      »Ah! Du bist es!« sprach dieser heiter. »Komm doch herein. Ihr macht da nebenan einen Lärm, daß man seinen eigenen Bissen nicht hört. Wen habt Ihr denn mit Euch?«

      »Laura d'Aurigny, Sylvia, den Krebs und noch zwei Andere, glaube ich. Die Damen sind erstaunlich; sie stecken die Finger in die Schüsseln und werfen uns Salatblätter an die Köpfe. Meine Kleider sind schon ganz ölfleckig.«

      Der Vater lachte, da ihm dies sehr drollig dünken mochte.

      »Ja, Jugend hat nicht Tugend,« murmelte er. »Bei uns geht es anders zu, nicht wahr, mein Schatz? Wir haben hübsch gemächlich gegessen und jetzt werden wir ein wenig schlafen.« Damit faßte er seine Dame am Kinn und girrte mit seinem provençalischen, näselnden Tone, was eine seltsame Liebesmusik gab.

      »Ach! der alte Narr!« rief die Frau aus. »Guten Tag, Maxime. Ich muß Sie wohl sehr lieb haben, wie, wenn ich mich entschließe, mit Ihrem Hallunken von Vater zu soupiren? ... Man kriegt Sie ja gar nicht mehr zu sehen ... Kommen Sie übermorgen Früh zu mir ... Nein, nein, ich habe Ihnen etwas zu sagen.«

      Saccard, der sich gemächlich eine Pfirsich schälte, küßte die Frau auf die Schulter und sagte zuvorkommend:

      »Ihr wißt, meine Lieben, wenn ich Euch hinderlich bin, ... ich räume Euch gerne das Feld ... Und wenn man wiederkommen darf, werdet Ihr läuten.«

      Zuweilen nahm er die Dame mit sich oder er schloß sich mit ihr der Gesellschaft im anstoßenden Salon an. Maxime und er erfreuten sich an den gleichen Schultern; ihre Arme schlangen sich um dieselben Hüften. Sie erzählten sich gegenseitig mit lauter Stimme, was ihnen die Frauen, anvertraut hatten. Und sie trieben die Vertraulichkeit so weit, daß sie mit einander darüber beriethen, wie man die Blonde oder die Braune, die einem von ihnen ganz besonders gefiel, aus der Gesellschaft entführen könnte.

      Im Mabille-Garten waren sie wohlbekannt. Sie fanden sich daselbst Arm im Arm, nach irgend einem seinen Diner ein, machten einen Spaziergang durch den Garten, grüßten die Frauen und wechselten im Vorübergehen einige Worte mit denselben. Sie lachten laut, ohne von einander zu gehen und unterstützten sich gegenseitig, wenn die Unterhaltung eine zu lebhafte wurde. Der nach dieser Richtung hin sehr sattelfeste Vater vertheidigte die Liebschaften seines Sohnes. Zuweilen ließen sie sich an einem Tische nieder und pokulirten mit den Damen; dann setzten sie sich wieder an einen anderen Tisch oder setzten ihre Promenade fort. Und bis Mitternacht konnte man sie freundschaftlich Arm in Arm die leichtgeschürzten Dämchen durch die mit gelbem Kies bestreuten Alleen verfolgen sehen.

      Wenn sie heimkehrten, haftete ihren Gewändern etwas von den Mädchen an, die sie soeben verlassen. Ihre ungezwungenen Bewegungen, die Ueberreste gewisser gewagter Worte und gewisser frecher Geberden erfüllten das Haus in der Rue de Rivoli mit dem Geruche verdächtiger Schlafgemächer. Die weiche, lässige Art, in welcher der Vater dem Sohne die Hand reichte, besagte schon zur Genüge, woher sie kämen. An dieser Atmosphäre holte sich Renée ihre Kaprizen, ihre sinnlichen Beklemmungen; sie ließ es auch an spöttischen Bemerkungen nicht fehlen.

      »Woher kommt Ihr denn?« fragte sie. »Ihr riecht nach Pfeifentabak und Muskat. – Ich bekomme sicher meine Migraine – –«

      Thatsächlich verursachte ihr der fremde Geruch großes Unbehagen; dies war der charakteristische Duft dieser absonderlichen Häuslichkeit.

      Maxime aber wurde von wirklicher Leidenschaft für die kleine Sylvia erfaßt. Mehrere Monate hindurch langweilte er seine Stiefmutter mit dieser Person und Renée kannte dieselbe alsbald ganz genau, vom Scheitel bis zur Fußspitze. An einer Hüfte hatte sie ein bläuliches Mal; nichts war so reizend wie ihre Kniee und ihre Schultern waren insoferne merkwürdig, als sich nur auf der linken ein kleines Grübchen befand. Maxime setzte einen gewissen Werth darein, auf ihren gemeinschaftlichen Ausfahrten nur über die Vorzüge seiner Geliebten zu sprechen. Als man eines Abends aus dem Bois zurückkehrte, mußten die Wagen Renée's und Sylvia's, die in ein Gedränge gerathen waren, dicht neben einander anhalten. Die beiden Frauen musterten sich mit lebhafter Neugierde, während Maxime auf's höchste von dieser kritischen Situation ergötzt, das Lachen kaum zu unterdrücken vermochte. Als sich der Wagen neuerdings in Bewegung setzte und seine Stiefmutter in düsterem Schweigen verharrte, glaubte er, sie sei ihm böse. Er bereitete sich daher auf eine jener mütterlichen Scenen vor, in denen sie sich mitunter in ihren Mußestunden noch gefiel.

      »Kennst Du den Juwelier dieser Dame?« fragte sie ihn plötzlich, gerade als der Wagen auf der Place de la Concorde anlangte.

      »Ach ja!« erwiderte er mit einem Lächeln. »Ich bin ihm zehntausend Francs schuldig ... Weshalb fragst Du aber?«

      »Es hat keinen besonderen Grund.«

      Und nach einer abermaligen Pause hub sie neuerdings an:

      »An der linken Hand hatte sie ein sehr niedliches Armband ... Ich hätte es gerne in der Nähe gesehen.«

      Man langte daheim an, ohne daß sie weiter etwas gesprochen hätte. Erst am nächsten Tag, gerade als Maxime mit seinem Vater das Haus verlassen wollte, zog sie den jungen Mann auf die Seite und sprach leisen Tones, mit verlegener Miene und einem hübschen Lächeln zu ihm, welches bereits um Verzeihung bat. Er schien überrascht zu sein und entfernte sich dann, wobei sein


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