Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.ist das Ding,« sagte er. »Man wird Deinethalben noch zum Dieb, Stiefmama.«
»Sie hat nicht gesehen, als Du es an Dich nahmst?« fragte Renée, das Schmuckstück gierig betrachtend.
»Ich glaube nicht ... Sie hatte es gestern angelegt und wird es heute sicherlich nicht anlegen wollen.« Inzwischen war die junge Frau an das Fenster getreten und hatte das Armband dabei angelegt. Jetzt hob sie den Arm ein wenig empor, um den Schmuck im Sonnenlicht funkeln zu lassen, wobei sie entzückt wiederholte:
»Sehr hübsch! sehr niedlich ... Nur die Smaragde wollen mir nicht sonderlich gefallen.«
In diesem Augenblick trat Saccard ein und da sie den Arm noch immer erhoben hielt, rief er erstaunt aus:
»Das ist ja Sylvia's Armband!«
»Sie kennen es?« fragte sie verlegener noch als er, nicht wissend, was sie mit ihrem Arm anfangen solle.
Er aber hatte sich bereits gefaßt und seinem Sohn mit dem Finger drohend, murmelte er:
»Dieser Schlingel hat immer verbotene Früchte, in der Tasche! ... Eines schönen Tages wird er uns den ganzen Arm der Dame sammt dem Armband nach Hause bringen.«
»Ach! ich bin unschuldig an der Sache,« erwiderte Maxime feige und hinterlistig. »Renée hatte es sehen wollen.«
»Ah!« begnügte sich der Gatte zu sagen und indem er das Schmuckstück gleichfalls betrachtete, wiederholte er gleich seiner Frau:
»Sehr hübsch! sehr niedlich!«
Damit verließ er das Zimmer mit gelassener Miene und Renée schalt Maxime aus, weil er sie derart verrathen. Er aber versicherte ihr, daß sich sein Vater durchaus nicht an derartige Dinge kehre. Darauf gab sie ihm das Armband zurück und sagte:
»Bestelle mir bei dem Juwelier ein ganz gleiches; blos an Stelle der Smaragde sollen Saphire kommen.«
Saccard konnte nicht lange einen Gegenstand oder eine Person in seiner Nähe haben, ohne dieselbe verwerthen oder sonst welchen Vortheil aus ihr ziehen zu wollen. Sein Sohn war noch keine zwanzig Jahre alt, als er bereits daran dachte, ihn irgendwie zu verwerthen. Ein hübscher Junge, der Neffe eines Ministers, der Sohn eines großen Finanzmannes mußte seinen Weg machen. Wohl war er noch etwas jung; immerhin aber konnte man ihm eine Frau und eine Mitgift suchen und die Vermählung je nach den Geldverlegenheiten des Hauses beschleunigen oder in die Länge ziehen. Auch hierin hatte er eine glückliche Hand. In einem Aufsichtsrathe, dem auch er als Mitglied angehörte, machte er die Bekanntschaft eines schönen, großen Mannes, eines Herrn von Mareuil, den er nach zwei Tagen in der Tasche hatte. Vordem war er Zuckerfabrikant in Havre gewesen und hatte Bonnet geheißen. Nachdem er sich ein bedeutendes Vermögen erworben, hatte er ein vornehmes junges Mädchen geheirathet, welches ebenfalls sehr reich war und einen Einfaltspinsel als Gatten benöthigte. Bonnet setzte es durch, daß er den Namen seiner Frau annehmen durfte, was für ihn eine Befriedigung seiner Eitelkeit bedeutete. Seine Heirath aber hatte ihn mit einem tollen Ehrgeiz erfüllt und er träumte davon, als Gegenleistung für Helenens Adel sich eine hohe politische Stellung zu erwerben. Von diesem Augenblick an fütterte er die neuen Journale mit seinem Gelde, erwarb bedeutende Grundbesitzungen und bereitete sich mit allen bekannten Mitteln eine Kandidatur in die gesetzgebende Körperschaft vor. Bisher war es ihm nicht gelungen, über die Vorbereitungen hinauszukommen, ohne daß er darum etwas von seiner Würde eingebüßt hätte. Einen größeren Hohlkopf mochte es schwerlich jemals gegeben haben. Er hatte einen herrlich modellirten Kopf, das bleiche, nachdenkliche Gesicht eines großen Staatsmannes und da er es vortrefflich verstand, mit durchdringenden Blicken und einer majestätischen Ruhe des Gesichtes zuzuhören, so konnte man glauben, daß sich in seinem Inneren eine gewaltige Gedankenarbeit vollziehe und er Schlüsse und Vergleiche zu ziehen bemüht sei. In Wirklichkeit ober dachte er an gar nichts. Dagegen gelang es ihm, die Leute in Verlegenheit zu bringen, da man nicht mehr wußte, ob man es mit einem überlegenen Geiste oder einem Einfaltspinsel zu thun habe. Herr von Mareuil klammerte sich an Saccard wie an einen Rettungsanker. Er wußte, daß in dem Departement, in welchem seine Besitzungen gelegen waren, eine Neuwahl erforderlich sei und wünschte nichts sehnlicher, als daß ihn der Minister für dieselbe in Vorschlag bringe; dies war seine letzte Hoffnung. Darum auch lieferte er sich dem Bruder des Ministers auf Gnade und Ungnade aus. Saccard, der hier ein vortheilhaftes Geschäft witterte, legte ihm den Gedanken an eine Heirath zwischen seiner Tochter Luise und Maxime nahe. Der Andere erging sich in Dankesbetheuerungen, meinte dieses Heirathsprojekt schon längst im Stillen gehegt zu haben und schätzte sich glücklich, in die Familie eines Ministers gelangen und Luise mit einem jungen Manne verheirathen zu können, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte.
Luise sollte laut Angabe ihres Vaters eine Mitgift von einer runden Million erhalten. Mißgestaltet, häßlich und anbetungswürdig war sie verurtheilt, jung zu sterben; ein Brustleiden nagte heimtückisch an ihr und verlieh ihr eine nervöse Heiterkeit, eine schmeichelnde Anmuth. Kranke junge Mädchen altern schnell, werden vorzeitig zu Frauen. Sie besaß eine sinnliche Naivetät und schien mit fünfzehn Jahren vollkommen mannbar zur Welt gekommen zu sein. Wenn ihr Vater, dieser gesunde, baumstarke Riese sie anblickte, konnte er gar nicht glauben, daß sie seine Tochter sei. Ihre Mutter war bei Lebzeiten gleichfalls groß und stark gewesen; doch waren über sie Gerüchte im Umlauf, welche die Verkrüppelung dieses Kindes, sein zigeunerhaftes Betragen, seine lasterhafte, reizende Häßlichkeit erklärlich machten. Man behauptete, Helene von Mareuil sei infolge der schändlichsten Ausschweifungen gestorben. Die Vergnügungen hatten sie zerfressen und unterhöhlt gleich einem giftigen Geschwür, ohne daß der Gatte den augenscheinlichen Wahnsinn seiner Frau, um dessenwillen er sie in eine Irrenanstalt hätte bringen müssen, wahrgenommen hätte. Aus diesem kranken Mutterleibe hervorgegangen, war Luise schon bei ihrer Geburt blutarm, ihre Gliedmaßen mißgestaltet, das Gehirn angegriffen und die Erinnerung bereits von einem lasterhaften Leben erfüllt. Zuweilen glaubte sie sich undeutlich an eine andere Existenz zu erinnern und von wallenden Nebeln beschattet sah sie bizarre Scenen sich abspielen, Männer und Frauen, die sich umschlungen hielten, – ein ganzes Drama der Sinnlichkeit, an welchem sich ihre kindliche Neugierde ergötzte. Ihre Mutter sprach in ihr. Heranwachsend fühlte sie diese Erinnerungen nicht schwächer werden. Nichts setzte sie in Erstaunen; sie erinnerte sich an Alles, besser gesagt, sie wußte Alles und berührte verbotene Dinge mit einer Sicherheit, die sie einer Person ähnlich machte, die nach langer Abwesenheit endlich heimkehrt und blos den Arm auszustrecken braucht, um es sich behaglich zu machen und sich an ihrer Häuslichkeit zu erfreuen. Dieses merkwürdige Mädchen, dessen schlechte Instinkte denen Maxime's schmeichelten, welches aber eine kecke Unschuld, ein prickelndes Gemisch von Kindlichkeit und Kühnheit in diesem zweiten Leben besaß, das sie als Jungfrau mit dem Bewußtsein und Schamgefühl der reifen Frau nochmals durchlebte, mußte dem jungen Mann schließlich gefallen und ihm bedeutend drolliger dünken als Sylvia, die als Tochter eines ehrsamen Papierhändlers bei aller Schlauheit im Grunde genommen eine sehr spießbürgerliche Natur war.
Lachend wurde die Heirath vereinbart und man beschloß zu warten, bis »die Kinder« herangewachsen wären. Die beiden Familien verkehrten häufig mit einander. Herr von Mareuil betrieb seine Kandidatur, Saccard lauerte auf seine Beute. Man einigte sich dahin, daß Maxime seine Ernennung zum Auditor im Staatsrathe in den Hochzeitskorb legen werde.
Indessen schien das Glück der Saccard seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Dasselbe erhellte ganz Paris gleich einem kolossalen Freudenfeuer. Es war die Stunde, da die heiße Jagd einen Theil des Waldes mit dem Geläute der Hunde, dem Knallen der Peitschen und den Flammen der Fackeln erfüllte. Der entfesselte Heißhunger sättigte sich endlich in der Schamlosigkeit des Triumphes bei dem Geräusch, welches die niedergerissenen Stadtviertel und die binnen sechs Monaten gesammelten Reichthümer erregten. Die ganze Stadt war nichts weiter als ein großes Gelage der Millionen und der Frauen. Das von oben herab kommende Laster floß durch die Straßenkanäle, drang in die Tiefe und stieg mit den Wasserstrahlen der Springbrunnen der Gärten wieder in die Höhe, um als feiner, durchdringender Regen auf die Dächer zurückzufallen. Und wenn man des Nachts über die Brücken schritt, so schien es, als wälzten die Fluthen der Seine allen Unrath der Stadt, die von den Tischen gefallenen Brocken, die auf den Sophas gelassenen Spitzen, die in den Fiakern vergessenen