Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.schreiten.«
Als Maxime, der schließlich immer nachgab und der seine Stiefmutter auf ihr Verlangen an alle verrufenen Orte von Paris geführt hätte, eingewilligt hatte, sie auf den Ball der Blanche Müller zu führen, klatschte sie in die Hände wie ein Kind, dem eine unverhoffte Zerstreuung zutheil geworden.
»Du bist ein guter Junge,« sagte sie. »Also morgen, nicht wahr? Hole mich nur sehr früh ab. Ich will schon zugegen sein, wenn die Damen erst anlangen. Du wirst mir die Namen derselben nennen und wir werden uns ausgezeichnet amüsiren ...«
Und nach einigem Nachdenken fügte sie hinzu:
»Nein; hole mich nicht ab, sondern erwarte mich in einem Fiaker auf dem Boulevard Malesherbes. Ich werde das Haus durch den Garten verlassen.«
Dieses Geheimniß war ein Gewürz, womit sie den Reiz ihres Streiches erhöhte, nicht weiter als ein Kunstgriff zur Vermehrung des Genusses, denn selbst wenn sie um Mitternacht zum großen Thor hinausgegangen wäre, so hätte ihr Gatte dieserhalb nicht einmal den Kopf zum Fenster hinausgesteckt.
Nachdem sie am nächsten Abend Céleste angewiesen hatte, ihre Rückkehr abzuwarten, eilte sie unter den Schauern einer köstlichen Angst durch die dunklen Baumgänge des Monceau-Parkes. Saccard hatte sich sein gutes Einvernehmen mit der Stadt zu Nutze gemacht, um sich den Schlüssel zu einer kleinen Tür des Parkes geben zu lassen und Renée hatte gleichfalls einen solchen besitzen wollen. Sie verirrte sich beinahe und fand den Fiaker nur dank den zwei gelben Augen seiner Laternen. In dieser Zeit lag der kaum vollendete Boulevard Malesherbes des Abends beinahe gänzlich vereinsamt da. Die junge Frau schlüpfte in den Fiaker; sie war sehr aufgeregt und ihr Herz pochte so köstlich, als hätte sie sich zu einem Liebesrendezvous begeben. Halb schlummernd lag Maxime in einer Ecke des Fiakers und rauchte philosophisch seine Zigarre. Er wollte den Glimmstengel fortwerfen, sie aber hinderte ihn daran und wie sie in der Dunkelheit seinen Arm zurückzuhalten suchte, kam ihre ganze Hand auf sein Gesicht zu liegen, worüber Beide herzlich lachten.
»Ich sage Dir ja, daß ich den Tabaksrauch liebe,« rief sie aus. »Behalte nur Deine Zigarre... Heute Abend wollen wir einmal ausschreiten... und ich bin auch ein Mann.«
Der Boulevard war noch nicht beleuchtet und während der Fiaker in der Richtung der Madeleine-Kirche dahinfuhr, herrschte im Inneren desselben eine solche Dunkelheit, dass sie einander nicht sehen konnten. Nur von Zeit zu Zeit, wenn der junge Mann seine Zigarre zum Munde führte, leuchtete ein rother Punkt durch die dichte Finsterniss. Und dieser rote Punkt interessierte Renée. Maxime, halb bedeckt von der Fluth des schwarzen Seidendomino's, der den Fiaker beinahe ganz ausfüllte, fuhr anscheinend ärgerlich, schweigend zu rauchen fort. Tatsächlich hatte ihn der Einfall seiner Stiefmutter gehindert, einer Schaar Damen in's Café Anglais zu folgen, wo dieselben den Ball der Blanche Müller zu beginnen und auch zu beschließen gedachten. Er war zornig und sie errieth dies trotz der Dunkelheit.
»Bist Du unwohl?« fragte sie ihn.
»Nein; mir ist kalt,« erwiderte er.
»Und ich ersticke fast vor Hitze... Ziehe meine Röcke ein wenig über Deine Kniee.«
»Ach, Deine Röcke!« murmelte er ärgerlich. »Die reichen mir ohnehin bis zu den Augen.«
Diese Worte brachten ihn aber selbst zum Lachen und allmälig wurde er wärmer. Sie schilderte ihm, wie sehr sie sich vorhin in dem Park gefürchtet habe. Dann gestand sie ihm einen anderen Wunsch: sie hätte gar zu gerne des Nachts auf dem kleinen Parkteich eine Spazierfahrt in dem Kahne unternommen, welchen sie von ihren Fenstern aus vor einer Allee liegen sah. Er fand, dass sie elegisch zu werden beginne. Der Fiaker rollte immer weiter, die Dunkelheit blieb dieselbe. Sie neigten sich näher zu einander, um sich in dem Lärm der Wagenräder besser verständlich zu machen, und wenn sie einander zu nahe kamen, streiften sie sich und fühlten gegenseitig den warmen Athem. Und in regelmäßigen Zwischenpausen erglühte die Zigarre Maxime's, erschien gleich einer rothen Spitze inmitten der Dunkelheit und warf einen schwachen rosigen Schimmer auf das Gesicht Renée's. Bei dieser flüchtigen Beleuchtung erschien sie entzückend schön, so dass der junge Mann ganz betroffen davon war und sich nicht enthalten konnte auszurufen:
»Oh oh! wir sind heute Abend sehr hübsch, Stiefmama ... Laß' einmal sehen ...«
Er brachte seine Zigarre noch näher und machte einige rasche Züge hinter einander, so daß Renée, die in ihrer Ecke lehnte, von einem warmen und sozusagen lebenden Lichte beleuchtet war. Sie hatte ihre Kapuze ein wenig zurückgeschlagen. Ihr unbedeckter Kopf, den eine Menge Löckchen zierten, die von einem einfachen blauen Bande durchzogen waren, glich dem eines richtigen Straßenjungen, zumal die große Blouse aus schwarzer Seide bis zum Halse reichte. Es dünkte ihr sehr drollig, bei dem Lichte einer Zigarre betrachtet und bewundert zu werden. Sie lehnte sich leise lachend zurück, während er mit komischem Ernste hinzufügte:
»Alle Wetter! ich werde Dich bewachen müssen, wenn ich Dich meinem Vater heil und unversehrt zurückbringen will.«
Der Fiaker hatte die Madeleine-Kirche erreicht und rollte auf den Boulevards dahin. Jetzt ward er von unstäten Lichtstrahlen erleuchtet, die aus den Schaufenstern der Verkaufsläden herrührten. Blanche Müller wohnte in einem der auf den Gründen der Rue-Basse-du-Rempart erbauten neuen Häuser. Es standen erst wenige Wagen vor dem Thore; es war kaum zehn Uhr geworden. Maxime wollte eine Rundfahrt über die Boulevards antreten und erst in einer Stunde zurückkehren; doch Renée, deren Neugierde lebhafter denn je erwacht war, erklärte ihm rundheraus, daß sie allein hinaufgehen würde, wenn er sie nicht begleiten wollte. Er folgte ihr und traf zu seiner Freude mehr Leute an, als er gehofft hatte. Die junge Frau hatte ihre Maske angelegt. Sie nahm jetzt den Arm Maxime's, dem sie leisen Tones Weisungen ertheilte, welchen er schweigend entsprach und durchschritt mit ihm alle Räume, schob die Portieren zur Seite, besichtigte aufmerksam die ganze Einrichtung und hätte selbst die Schränke durchstöbert, wenn sie nicht gefürchtet hätte, dabei ertappt zu werden.
Die sehr elegant eingerichtete Wohnung hatte gewisse Räume, in welchen der zigeunerhafte Charakter der Hausfrau zum Ausdruck gelangte und die Schauspielerin zum Vorschein kam. An diesen Orten erbebten die rosigen Nasenflügel Renée's und sie zwang ihren Begleiter, ganz langsam zu gehen, damit ihr gar nichts verborgen bleibe und sie den dort herrschenden Duft einathmen könne. Am längsten verweilte sie in dem Ankleidezimmer, welches Blanche Müller weit offen ließ, die bei ihren Empfängen die Gäste bis in ihr Schlafzimmer kommen ließ, wo das Bett zur Seite geschoben wurde, um für die Spieltische Raum zu schaffen. Das Gemach befriedigte sie aber nicht; es erschien ihr zu gewöhnlich und sogar ein wenig schmutzig, mit seinem Teppich, welchen weggeworfene Zigarrenenden mit kleinen Brandflecken bedeckt hatten, und seinen blauen Seidentapeten, die durch Pommade und Seifenschaum verunreinigt waren. Als sie dann Alles genau besichtigt und die kleinsten Einzelheiten der Wohnung ihrem Gedächtniß eingeprägt hatte, um sie daheim ihren Freundinen beschreiben zu können, ging sie zu den Personen über. Die Herren kannte sie; es waren zum größten Theil dieselben Finanzmänner, dieselben Politiker und dieselben jungen Lebemänner, die sich an ihren Donnerstagen bei ihr einfanden. Sie glaubte sich zuweilen in ihren Salon versetzt, wenn sie vor einer Gruppe schwarzer Fräcke stand, die Tags vorher bei ihr dasselbe Lächeln gezeigt, als sie mit der Marquise von Espanet oder der blonden Frau Haffner plauderten. Und wenn sie die Damen anblickte, schwand die Illusion auch nicht ganz. Laura d'Aurigny war in Gelb gekleidet wie Susanne Haffner und Blanche Müller trug gleich Adeline d'Espanet ein bis in die Mitte des Rückens ausgeschnittenes Kleid aus weißer Seide. Endlich bat Maxime um Entschuldigung und sie ließ sich mit ihm auf einem Divan nieder. Hier verweilten sie einen Augenblick, während der junge Mann gähnte und Renée ihn nach den Namen der Damen befragte, die sie mit den Augen zu entkleiden schien und dabei die Spitzen, die sie um ihre Röcke genäht hatten, meterweise abschätzte. Als er sie in dieses ernste Studium vertieft sah, entschlüpfte er ihr unbemerkt, um einem Winke zu folgen, welchen ihm Laura d'Aurigny mit der Hand gemacht hatte. Sie neckte ihn mit der Dame, die er am Arm führte und nahm ihm dann das Versprechen, ab, daß er sich ihnen gegen ein Uhr Morgens im Café Anglais anschließen werde.
»Dein Vater wird auch mit dabei sein,« rief sie ihm nach, als er zu Renée zurückkehrte.
Letztere war von einer