Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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mochte Dir Herr von Saffré wohl gesagt haben, daß Du so zornig wurdest? Sagte er vielleicht, daß Du häßlich seiest?«

      »Ach, Der!« gab sie zur Antwort; »er ist ein scheußlicher Mensch. Niemals hätte ich gedacht, daß ein gebildeter Mann, der sich in meinem Hause so tadellos benimmt, eine derartige Sprache führen könne. Ihm verzeihe ich aber. Mich haben nur die Frauen in Harnisch gebracht. Man hätte sie wirklich für Marktweiber halten können. Da war Eine, die über einen Schmerz in der Hüfte klagte, und es hätte, glaube ich, nicht viel gefehlt, so würde sie ihre Röcke aufgehoben haben, um Jedermann von ihrem Leiden zu überzeugen.«

      Maxime lachte herzlich.

      »Nein, wahrhaftig,« fuhr sie sich ereifernd fort; »ich verstehe Euch nicht, denn Alle sind sie blöd und unfläthig... Und da war ich so kurzsichtig zu meinen, so oft ich Dich zu Deiner Sylvia gehen sah, es würde antike Festlichkeiten geben wie man solche auf Gemälden dargestellt sieht, Weiber mit Rosen bekränzt, goldene Becher, ungewöhnliche Genüsse... Ach, ja! Du zeigtest mir ein unsauberes Ankleidekabinet und Frauenzimmer, die wie Lastträger fluchten. Da verlohnt es sich doch wahrlich der Mühe, schlecht zu sein.«

      Er wollte widersprechen, sie aber gebot ihm Schweigen und einen Knochen des Rebhuhns, welchen sie sorgfältig abnagte, zierlich zwischen den Fingern haltend, fügte sie leiseren Tones hinzu:

      »Das Schlechte, mein Lieber, müßte etwas Köstliches sein... Wenn ich, die ich eine rechtschaffene Frau bin, Langeweile habe und das Verbrechen begehe, unmögliche Dinge zu träumen, so bin ich sicher, bedeutend hübschere Dinge zu ersinnen, als die Blanche Müller mit all' ihren Genossinen.«

      Und mit ernster Miene schloß sie mit dem naiv-cynischen Worte:

      »Das ist Sache der Erziehung, weißt Du?«

      Damit legte sie den kleinen Knochen in ihren Teller. Das dumpfe Rollen der Wagen dauerte fort, ohne daß ein lauterer Ton vernehmbar geworden wäre. Sie war genöthigt, die Stimme zu erheben, um sich verständlich zu machen und die Röthe ihrer Wangen nahm zu. Auf der Konsole befanden sich noch Trüffeln, eine süße Speise und Spargel, eine Seltenheit in dieser Jahreszeit. Er brachte Alles auf einmal herbei, um sich weiterhin nicht mehr bemühen zu müssen und da der Tisch etwas schmal war, so stellte er zwischen sie und sich einen mit Eis gefüllten silbernen Kübel, in welchem sich eine Flasche Champagner befand, auf die Erde. Der Appetit regte sich schließlich auch bei ihm. Sie genossen von jeder Schüssel, leerten unter zunehmender Heiterkeit die Champagnerflasche, ergingen sich in schlüpfrigen Theorien und stützten sich mit den Ellenbogen auf den Tisch, gleich zwei Freunden, die es sich nach dem Essen bequem machen. Das Geräusch auf den Boulevards verminderte sich allmälig; Renée aber schien es, als vergrößere sich dasselbe und mitunter hatte sie ein Gefühl, als rollten alle Wagenräder durch ihren Kopf.

      Als er bemerkte, er wolle klingeln, damit man das Dessert bringe, stand sie auf, schüttelte ihre lange Satinblouse, um die Brodkrümchen zu entfernen und sagte:

      »Du kannst Dir nun eine Zigarre anzünden.«

      Sie war ein wenig betäubt. Ein Geräusch, dessen Natur sie sich nicht zu erklären vermochte, lockte sie an's Fenster. Man schloß die Verkaufsläden.

      »Sieh,« sagte sie, sich zu Maxime zurückwendend; »unser Orchester bricht auf.«

      Damit neigte sie sich wieder hinaus. In der Mitte der Straße kreuzten die Fiaker und Omnibusse noch immer ihre buntfarbenen Laternen, jetzt aber schon rascher und nicht so zahlreich. Auf den Seiten, die Trottoirs entlang gewahrte man große, dunkle Schatten, – sie bezeichneten die geschlossenen Verkaufsläden. Nur die Kaffeehäuser lagen noch in strahlendem Glanze da und warfen leuchtende Flächen auf das Asphalt. Von der Rue Drouot bis zur Rue du Helder erblickte Renée eine lange Reihe heller und dunkler Vierecke, in welchen sich die letzten Spaziergänger aufhielten. Die Dirnen, die mit ihren langen Kleidern bald hell erleuchtet waren, bald in tiefem Schatten versanken, glichen Geister-Erscheinungen, bleichen Marionetten, die momentan von dem elektrischen Licht einer Feerie bestrahlt wurden. Eine kurze Weile bereitete ihr dieses Spiel Vergnügen. Das von allen Seiten erstrahlende Licht war bedeutend zusammengeschmolzen; die Gasflammen erloschen, die buntscheckigen Zeitungkioske bildeten noch dunklere Massen in dem Nachtschatten. Zuweilen ging noch eine größere Gruppe, aus einem Theater kommend, vorüber. Doch bald machte die Nacht ihre Rechte geltend und nun erschienen unter dem Fenster kleine Gruppen aus zwei oder drei Männern bestehend, welchen sich sofort eine weibliche Gestalt anschloß, worauf sich eine kleine Discussion entwickelte. In dem verhallenden Geräusch drangen einzelne Worte an Renée's Ohr; dann entfernte sich die Frau zumeist am Arme eines der Männer. Andere Mädchen zogen von einem Kaffeehause zum anderen, machten die Runde um die Tische, steckten den auf denselben vergessenen Zucker ein, scherzten mit den Kellnern und blickten fest, mit fragendem Ausdruck und schweigendem Angebot die verspäteten Gäste an. Als Renée mit den Augen dem fast leeren Verdeck eines Batignoller Omnibus folgte, erkannte sie an der Ecke des Trottoirs die Frau im dunkelblauen Kleide mit weißen Spitzen, wie sie noch immer suchend und erwartungsvoll um sich blickte.

      Als Maxime gleichfalls an's Fenster trat, lächelte er bei dem Anblick eines halb offenstehenden Fensterflügels im Café Anglais. Der Gedanke, daß sein Vater in lustiger Gesellschaft dort verweile, erschien ihm zu drollig; doch ward er an diesem Abend von einer gewissen Befangenheit beherrscht, die ihn hinderte, seine gewohnten Scherze zu treiben. Renée that es leid, als sie das Fenster verlassen mußte. Eine gewisse Trunkenheit, eine Art Mattigkeit drang vom Boulevard zu ihr empor. In dem schwächer werdenden Wagenrollen, in dem Verschwinden der lebhaften Beleuchtung lag etwas, das verlockend zur Wollust und zum Schlafe einlud. Das leise Geflüster, welches sich vernehmbar machte, die in einer dunkeln Ecke sich ansammelnden Gruppen gestalteten das Trottoir zu dem Korridor einer großen Herberge, wo sich die Reisenden gerade zu Bett legten. Immer mehr verstummte das Geräusch, immer mehr erloschen die Lichter, die Stadt versank in Schlummer und ein Hauch wie von zärtlichen Umarmungen glitt über die Dächer hinweg.

      Als sich die junge Frau zurückwandte, zwang sie das Licht des kleinen Kronleuchters die Augen zu schließen. Sie war ein wenig bleich und ihre Mundwinkel zuckten leise. Charles trug das Dessert auf; er ging hinaus, kam wieder zurück, öffnete und schloß die Thüren leise, mit dem Phlegma eines Mannes, der da weiß, was sich schickt.

      »Ich habe gar keinen Hunger mehr,« rief Renée aus, »räumen Sie alle diese Teller weg und bringen Sie uns den Kaffee.«

      Der an die Launen seiner Gäste gewöhnte Ganymed entfernte das Dessert und trug den Kaffee auf. Der kleine Raum konnte seine Wichtigkeit kaum fassen.

      »Ich bitte Dich, setze ihn vor die Thür,« wandte sich die junge Frau zu Maxime, da sie etwas wie Uebelkeit empfand.

      Maxime schickte ihn hinaus; doch kaum war er verschwunden, als er abermals erschien, um mit diskreter Miene die großen Fensterläden zu verschließen. Als er endlich gegangen war, stand der junge Mann, der gleichfalls ungeduldig geworden, auf, und indem er zur Thür schritt, sagte er:

      »Warte; ich habe ein Mittel, um sein Wiederkommen zu verhindern.

      Und damit stieß er den Riegel vor.

      »So,« bemerkte Renée, »jetzt sind wir wenigstens allein.«

      Ihr Geplauder und ihre Vertraulichkeiten begannen von Neuem. Maxime hatte eine Zigarre angezündet, während Renée ihren Kaffee in kleinen Zügen trank und sich sogar zu einem Gläschen Chartreuse verstieg. Die Temperatur des kleinen Gemaches stieg höher und bläulicher Rauch begann sich in demselben auszubreiten. Renée setzte schließlich die beiden Ellenbogen auf den Tisch und stützte das Kinn zwischen die zwei halbgeschlossenen Fäuste. Durch den leichten Druck erschien ihr Mund kleiner, ihre Wangen wurden ein wenig in die Höhe gedrückt und die etwas zusammengekniffenen Augen funkelten noch mehr. Solcherart verschoben, war ihr kleines Gesichtchen reizend anzusehen mit den dichten, goldigen Löckchen, die ihr jetzt bis zu den Augenbrauen reichten. Maxime betrachtete sie durch den Rauch seiner Zigarre hindurch. Sie dünkte ihm originell. Zuweilen war er für einige Sekunden ihres Geschlechts nicht sicher; die große Falte, die ihre Stirne durchquerte, der schmollende Ausdruck der vorgeschobenen Lippen, ihre unentschiedene Miene, deren Grund in ihrer


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