Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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in ihr zurückließ. Bis lang hatte der Minister den Bitten seiner Schwägerin Widerstand geleistet, die zehn Jahre ihres Lebens darum gegeben hätte, wenn sie zu den Hofbällen geladen worden wäre. Jetzt endlich gab er nach, da er das Glück seines Bruders für endgiltig gesichert ansah. Während eines ganzen Monats vermochte Renée nicht zu schlafen. Endlich war der große Abend herangekommen, und am ganzen Leibe zitternd saß sie in dem Wagen, der sie nach den Tuilerien brachte.

      Sie trug eine Toilette, die ein Wunder an Anmuth und Originalität war, eine wahre Offenbarung, die ihr während einer schlaflosen Nacht geworden und welche drei Arbeiter Worms' bei ihr, vor ihren Augen ausführen mußten. Es war das eine einfache Robe aus weißer Gaze, bedeckt von einer Menge kleiner ausgezackter und mit schmalen schwarzen Sammtbändern benähter Falten. Der Ueberwurf aus schwarzem Sammt hatte einen tiefen, viereckigen Ausschnitt, den eine kaum fingerbreite Spitze einsäumte. Keine Blume, kein Band, blos an den Handgelenken ganz glatte Goldreifen und im Haar ein schmales, goldenes Diadem, ein glänzender Reif, der sie wie eine Aureole zu umgeben schien.

      Als sie in den Salons angelangt war und ihr Gatte sie verließ, um den Baron Gouraud aufzusuchen, empfand sie eine vorübergehende Verlegenheit. Doch die Spiegel, aus welchen ihr entzückendes Bild ihr entgegenblickte, beruhigten sie alsbald und sie gewöhnte sich an die warme Luft, an das Gemurmel der Stimmen, an dieses Gemisch schwarzer Fräcke und weißer Schultern, als der Kaiser erschien. Langsam schritt er am Arme eines untersetzten dicken Generals, der in einer Weise schnaufte, als litte er an einer beschwerlichen Verdauung, durch den Saal. Die Schultern rangirten sich zu beiden Seiten, während die schwarzen Fräcke instinktiv, bescheiden einen Schritt zurückwichen. Renée sah sich an das Ende der Schulternreihe, in die Nähe der zweiten Thür gedrängt, welcher der Kaiser schwerfälligen, wankenden Schrittes zustrebte.

      Er war im Frack und trug die rothe Schärpe des Großkordons. Von neuerlicher Erregung erfaßt, sah Renée die Dinge nur wie durch einen Nebel und es schien ihr, als bedecke dieser rothe Streifen die ganze Brust des Monarchen. Sie fand, daß er klein sei, zu kurze Beine und schlotterige Hüften habe; doch war sie entzückt, denn sie sah ihn ganz deutlich mit seinem bleichen Gesicht, seinen schweren, bleiernen Lidern, die sich über sein lebloses Auge legten. Unter seinem Schnurrbarte öffneten sich die Lippen in weicher Biegung, während aus dem ganzen verfallenen Gesichte blos die Nase knochig hervorragte.

      Der Kaiser und der alte General fuhren fort, langsam weiterzuschreiten, wobei sie sich leise lächelnd gegenseitig zu stützen schienen. Sie blickten die sich verneigenden Damen an und ihre nach rechts und links schweifenden Augen versenkten sich in die Mieder. Jetzt neigte sich der General ein wenig und flüsterte seinem hohen Herrn etwas zu, wobei er ihm mit der heiteren Miene eines guten Kameraden den Arm drückte. Und matt und schlaff, düsterer noch als gewöhnlich, kam der Kaiser schleppenden Ganges immer näher.

      Sie waren in der Mitte des Salons angelangt, als Renée ihre Blicke auf sich gerichtet fühlte. Der General blickte sie ganz offen und unbefangen an, während in dem grauen, verschwommenen Auge des Kaisers eine wilde Flamme aufzuckte, als er die Lider halb emporhob. Außer Fassung gebracht, senkte Renée den Kopf und verbeugte sich, wobei sie nichts weiter, als die Rosen des Teppichs sah. Doch verfolgte sie ihre beiden Schatten, ja sie wußte sogar, daß sie einige Sekunden vor ihr stehen geblieben waren. Und sie glaubte zu hören, wie der Kaiser, dieser zweideutige Träumer, während er sie in ihrem mit schwarzen Sammtstreifen durchzogenen weißen Gazekleide betrachtete, seinem Begleiter zuflüsterte:

      »Sehen Sie doch, General, da gäbe es eine Blume zu pflücken, eine geheimnißvolle Nelke mit weißen und schwarzen Streifen.«

      Worauf der General brutal erwiderte:

      »Sire, diese Nelke würde sich in unseren Knopflöchern verteufelt gut ausnehmen!«

      Renée hob den Kopf empor. Doch die Erscheinung war verschwunden und eine Menge Menschen drängte sich um jene Thür. Seit diesem Abend kam sie oft nach den Tuilerien und ward ihr sogar die Ehre zu Theil, von Seiner Majestät ein Kompliment über ihre Schönheit zu erhalten und ein wenig seine Freundin zu werden; doch erinnerte sie sich immer wieder an den langsamen, schwerfälligen Gang des Monarchen durch den Salon, zwischen den zwei Reihen nackter Schultern und wenn ihr das steigende Glück ihres Gatten irgend eine neue Freude bereitete, erblickte sie immer wieder den Kaiser, der achtlos an den schönen Frauen vorüberschreitend, auf sie zukam und sie mit einer Nelke verglich, welche ihm der alte General in sein Knopfloch zu stecken rieth. Das Wort gellte ihr zeitlebens in den Ohren.

      IV.

       Inhaltsverzeichnis

      Das deutliche und brennende Verlangen, welches inmitten der betäubenden Düfte des Wintergartens in Renée aufgestiegen war, während sich Maxime und Luise auf einem Divan des kleinen goldenen Salons unterhielten, schien gleich einem Alpdruck zu verschwinden, welcher nur mehr einen leisen Schauer zurückläßt. Während der ganzen Nacht hatte die junge Frau den bitteren Geschmack des Tanghin auf den Lippen verspürt und das Brennen dieser Giftpflanze ein Gefühl in ihr erweckt, als preßte sich ein Flammenmund auf ihre Lippen, der ihr eine verzehrende Liebe einhaucht. Dann aber war dieser Mund von ihr gewichen und ihr Traum in den sie umwallenden dichten Schatten aufgegangen.

      Erst des Morgens schlief sie ein wenig ein und als sie erwachte, glaubte sie krank zu sein. Sie ließ die Fensterläden schließen, klagte ihrem Arzte über Brechreiz und Kopfschmerz und weigerte sich während zweier Tage auszugehen. Und da sie leidend war, verschloß sie ihre Thür. Vergebens pochte Maxime an dieselbe. Er schlief nicht im Hôtel, um sich freier bewegen zu können und führte auch im Uebrigen ein sehr nomadenhaftes Leben, indem er sich in den neuen Häusern seines Vaters niederließ und jeden Monat seine Wohnung wechselte, sei es aus Laune, sei es um ernsten Miethern den Platz zu räumen. In Gesellschaft seiner Maitressen war er der erste Bewohner der neuen Räume. An die Launen seiner Stiefmutter gewöhnt, heuchelte er eine große Theilnahme und fand sich täglich viermal vor ihrer Thür ein, um sich verzweifelten Tones nach ihrem Befinden zu erkundigen, nur um sie zu necken. Am dritten Tag endlich fand er sie in dem kleinen Salon, mit rosigem, lächelndem Gesicht und ruhiger, zufriedener Miene.

      »Nun? hast Du Dich genügend mit Céleste amüsirt?« fragte er, auf die lange Unterredung anspielend, welche sie soeben mit ihrer Kammerdienerin gehabt.

      »Ja,« gab sie zur Antwort; »dies ist ein kostbares Mädchen. Sie hat stets eiskalte Hände, die sie mir auf die Stirne legte und derart meinen armen Kopf ein wenig beruhigte.«

      »Aber dann ist sie ja ein unbezahlbares Medikament, diese Person!« rief der junge Mann aus. »Wenn ich das Unglück hätte, mich jemals zu verlieben, so wirst Du sie mir doch leihen, nicht wahr, damit sie die beiden Hände mir auf's Herz legt.«

      Sie scherzten mit einander und unternahmen ihre gewohnte Ausfahrt nach dem Bois. So verflossen vierzehn Tage. Renée hatte mit größtem Eifer ihre frühere Lebensweise aufgenommen, machte Besuche, ging auf Bälle, ohne daß sie wieder über Abgespanntheit oder Ueberdruß geklagt hätte. Man wäre blos zu sagen versucht gewesen, sie habe insgeheim einen Fehltritt begangen, von welchem sie nicht sprach, welchen sie aber durch eine etwas schärfer hervortretende Selbstverachtung und eine noch gewagtere Verderbtheit in ihren Launen als Weltdame bekundete. Eines Tages gestand sie Maxime, daß sie vor Begierde vergehe, einem Ball bei Blanche Müller, einer sehr bekannten Schauspielerin, beizuwohnen, welchen dieselbe den Theaterprinzessinen und Halbweltköniginen gab. Dieses Verlangen überraschte den jungen Mann und brachte ihn in Verlegenheit, trotzdem er doch auch nicht sonderlich skrupulös veranlagt war. Er wollte seiner Stiefmutter die Sache ausreden; wahrlich, sie sei dort nicht an ihrem Platze, auch werde sie dort nichts Besonderes zu sehen bekommen, dagegen gäbe es einen Skandal, wenn man sie erkennen sollte. Auf all' diese Gründe hatte sie nur eine Antwort: sie faltete die Hände, lächelte und schmeichelte.

      »Ach,


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