Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Unbehagen und begann, um sich ein wenig zu fassen, die Zimmerdecke und den von derselben herabhängenden fünfarmigen Kronleuchter aus vergoldetem Messing zu mustern. Die Befangenheit aber, die sie empfand, war köstlich. Während sie mit ernster Miene und den Stecher in der Hand haltend, den Kopf in die Höhe richtete, wie um das Gesims zu betrachten, ergötzte sie sich von ganzer Seele an diesem zweideutigen Mobilar, welches sie um sich her fühlte; an diesem klaren, cynischen Spiegel, dessen reine Fläche, welche die unfläthigen Kritzeleien von schönen Händen kaum getrübt, dazu gedient hatte, so viele falsche Haartouren zurechtzurücken; an diesem Divan, dessen Breite sie erröthen machte; an dem Tische, ja sogar an dem Teppich, von welchem derselbe Geruch wie auf der Treppe, ein durchdringender, schier kirchlicher Staubgeruch ausging.
Und als sie denn doch endlich die Augen niederschlagen mußte, wandte sie sich mit der Frage zu Maxime:
»Was ist's denn mit diesem Souper vom Mittwoch?«
»Nichts,« erwiderte er; »eine Wette, die einer meiner Freunde verloren hat.«
An jedem anderen Ort hätte er ihr ohne Zögern gestanden, daß er am Mittwoch mit einer Dame soupirt habe, der er auf dem Boulevard begegnet war. Doch seitdem er den Fuß in dieses Gemach gesetzt, behandelte er sie instinktiv als eine Frau, der man gefallen und deren Eifersucht geschont werden müsse. Sie fragte nicht weiter, sondern lehnte sich zum Fenster hinaus und er that ein Gleiches. Hinter ihnen kam und ging Charles herein und hinaus, leise mit dem Geschirr und Silberzeug klappernd.
Es war noch nicht Mitternacht. Unten, auf dem Boulevard bewegte sich Paris, den warmen Tag möglichst lange genießend, ehe es zu Bett zu gehen sich entschloß. Die Baumreihen bezeichneten in unregelmäßiger Linie das weiße Trottoir und den schwarzen Fahrweg, auf welchem die blitzenden Wagenlaternen rasch dahinglitten. Zu beiden Seiten dieses dunklen Bandes befanden sich die Kioske der Zeitungsverkäufer, in ihrem flimmernden Glanze venetianischen Laternen vergleichbar, die man behufs irgend einer großartigen Illumination in regelmäßigen Zwischenräumen zur Erde gesetzt hatte. Zu dieser Stunde verschwand der gedämpfte Schein derselben vor den blendenden Lichtstrahlen der benachbarten Schaufenster. Kein einziger Laden war geschlossen; die Trottoirs zogen sich in hellem Lichte ohne jeden Schatten dahin und schienen wie von einem goldenen Regen bedeckt. Maxime zeigte Renée das ihnen gegenüberliegende Café Anglais, dessen Fenster hell erleuchtet waren. Die hohen Baumzweige behinderten ein wenig den freien Ausblick und ließen die Häuser und das Trottoir der anderen Seite nicht ganz klar unterscheiden, so daß sie erst hinüberblicken konnten, wenn sie sich ein wenig vorneigten. Dort herrschte ein ewiges Kommen und Gehen. Gruppenweise schritten die Spaziergänger vorüber; die Dämchen wandelten paarweise einher und zogen ihre Kleider nach sich, die sie mit lässiger Geberde von Zeit zu Zeit emporhoben, wobei sie lächelnd und müde um sich blickten. Unter ihrem Fenster befanden sich die kleinen runden Tische des Café Riche selbst, von einer Menge Gasflammen beleuchtet, deren Licht sich bis in die Mitte der Straße erstreckte und die bleichen, lächelnden Gesichter der Passanten ausnehmen ließ. Ringsum an den Tischen saßen Männer und Frauen, trinkend, lesend, plaudernd. Letztere trugen helle Kleider und hatten das Haar in den Nacken hängen; sie wiegten sich mit ihren Stühlen und sprachen laut unter einander, doch konnte man des lärmenden Wagengerassels wegen ihre Worte nicht vernehmen. Renée fiel insbesondere eine Dame auf, die ganz allein an einem Tische saß, ein dunkelblaues Kleid trug, welches mit weißen Spitzen geputzt war. Halb in ihrem Stuhl zurückgelehnt, trank sie in kleinen Zügen ein Glas Bier, wobei sie die Hände auf dem Bauch liegen hatte und mit dem Ausdrucke resignirter Erwartung vor sich hinblickte. Die lustwandelnden Damen verloren sich allmälig unter der Menge und die junge Frau, deren Interesse sie erregt hatten, folgte ihnen mit den Augen von einem Ende des Boulevards zum anderen, inmitten des verwirrenden Getriebes der Straße, welche von der schwarzen Masse der Spaziergänger angefüllt war, so daß selbst die hellen Gasflammen blos dürftigen Funken glichen. Und dieses Defilé erneuerte sich ohne Unterlaß, mit einer ermüdenden Gleichmäßigkeit, – eine sonderbar gemischte Welt, die sich stets gleich blieb, inmitten der lebhaften Farben, der gähnenden Schatten und des feenhaften Glanzes dieser tausend tanzenden Flammen, die wie eine Fluth aus den Kaufläden hervorkamen, die transparenten Ankündigungen der Fenster und Kioske in ein farbiges Licht tauchend, über die Façaden der Häuser in der Form von Stäben, Buchstaben, flammenden Zeichnungen dahineilend, Sterne in das Dunkel streuend, unaufhörlich über den Fahrweg dahin gleitend. Der betäubende Lärm, der empordrang, hatte etwas Einförmiges, Langgezogenes, gleich den begleitenden Tönen einer Dreh-Orgel bei dem endlosen Rundgang kleiner mechanisch beweglicher Puppen. Einen Augenblick glaubte Renée, ein Unfall sei geschehen. Eine Menge Menschen strömte nach links, ein wenig über die Passage de l'Opera hinaus. Als sie aber ihren Stecher zu Hilfe nahm, erkannte sie, daß ein Omnibusstandplatz die Bewegung hervorrufe. Auf dem Trottoir stand eine Menge Leute wartend da, die vordrängten, so oft ein Wagen anlangte. Sie vernahm die rauhe Stimme des Schaffners, der die Nummern aufrief; dann tönte das Läuten des Zählapparates hell an ihr Ohr. Sie sah die Anschlagzettel eines Kiosks, welche mit den buntesten Farben bemalt waren: in einem gelb-grünen Rahmen sah man den grinsenden Kopf eines Teufels mit gesträubtem Haar, – die Reklame eines Hutfabrikanten, welche sie nicht verstand. Von fünf zu fünf Minuten rollte der Omnibus von Batignolles vorüber, mit seinen rothen Laternen und seinem gelben Kasten, der um die Ecke der Rue le Peletier bog, wobei alle seine Fensterscheiben klirrten, und sie sah die bleichen Gesichter der auf dem Verdeck sitzenden Männer sich emporrichten und Maxime und sie mit dem gierigen Blicke von Hungerleidern, die zum Schlüsselloch hereinspähen, mustern.
»Ah!« bemerkte sie; »im Monceau-Park herrscht jetzt bereits tiefe Ruhe!«
Dies war Alles, was sie sprach. Etwa zwanzig Minuten blieben sie am Fenster, sich dem berauschenden Eindruck des rastlosen Treibens und blendenden Lichtes überlassend. Als dann aufgetragen worden, setzten sie sich zu Tische und da die Gegenwart des Kellners ihr lästig zu sein schien, so schickte ihn Maxime hinaus.
»Lassen Sie uns ... Zum Nachtisch werde ich Ihnen klingeln.«
Auf den Wangen hatte sie kleine rothe Flecke und ihre Augen glänzten, als wäre sie gelaufen. Es schien, als brächte sie vom Fenster Einiges von dem lebhaften Getriebe des Boulevards mit sich; – sie wollte nicht, daß ihr Gefärthe die Fensterflügel schließe.
»Das ist unser Orchester,« erwiderte sie ihm, als er sich über den Lärm beklagte. »Du findest nicht, daß dies eine ergötzliche Musik ist? Dieselbe wird eine treffliche Begleitung zu unseren Austern und unserem Rebhuhn abgeben.«
Ihre dreißig Jahre verjüngten sich bei diesem Abenteuer. Sie bewegte sich hastig; sie schien fieberhaft erregt und dieses Kabinet, dieses Alleinsein mit einem jungen Manne regten sie an, gaben ihr das Aussehen eines Mädchens. Entschlossen machte sie sich an die Austern. Maxime selbst hatte keinen Hunger und sah lächelnd zu, wie sie mit gutem Appetit speiste.
»Alle Wetter!« bemerkte er. »Du hättest eine treffliche Soupeuse abgegeben.«
Aergerlich darüber, daß sie so rasch aß, hielt sie inne.
»Du findest, daß ich Hunger habe? Was soll ich thun? Dieser einfältige Ball hat mich hungrig gemacht... Ach, mein armer Freund, ich bedaure Dich, da Du in diesen Kreisen lebst.«
»Du weißt,« erwiderte er, »daß ich Dir versprochen habe, von Sylvia und Laura d'Aurigny abzulassen, sobald Deine Freundinen einwilligen, mit mir zum Souper zu gehen«
Sie machte eine köstliche Geberde.
»Das will ich gerne glauben! ... Wir sind etwas amüsanter als diese Damen, gestehe es... Wenn Eine von uns einen Liebhaber derart langweilen würde, wie Deine Sylvia und Deine Laura b'Aurigny Euch langweilen, würde die arme kleine Frau ihres Liebhabers keinen Augenblick sicher sein! ... Du willst mir aber nie glauben. Versuche es doch einmal.«
Um den Kellner nicht rufen zu müssen, stand Maxime auf, räumte die Austernschalen fort und trug das auf der Konsole bereit stehende Rebhuhn auf. Der Tisch war mit dem Luxus der großen Restaurants gedeckt. Ueber das Damasttafeltuch strich ein allerliebster Hauch der Ausschweifung hin und Renée's feine Hände langten mit einem gewissen Frösteln des Behagens nach Messer, Gabel und Trinkglas. Sie trank ungewässerten weißen Wein, während sie sonst kaum einige Tropfen