Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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die damals noch am Beginn ihrer Thätigkeit standen und ein ungeheures Vermögen erwerben sollten. Die Stadt war bereits zu dem Entschluß gelangt, die Arbeiten nicht in eigener Regie auszuführen, sondern die Boulevards auf Akkord zu vergeben. Die im Besitze der Konzession befindlichen Gesellschaften verpflichteten sich, ihr gegen eine vereinbarte Entschädigung die fertige Straße sammt Bäumen, Bänken und Gaslaternen zu übergeben. Mitunter berechneten sie für die Straße selbst gar nichts, da sie durch die längs derselben gelegenen Baugründe, die sie für sich behielten und dann zu fetten Preisen veräußerten, reichlich entschädigt waren. Die fieberhafte Spekulation mit Baugründen, die unerhörte Preissteigerung der Häuser und sonstiger Immobilien datirt aus jener Zeit. Dank seinen Verbindungen erhielt Saccard die Konzession für drei Boulevard-Abschnitte. Er wurde die rastlose und ein wenig übereifrige Seele der ganzen Gesellschaft. Die Herren Mignon und Charrier, die ihm zu Beginn blind ergeben, waren schlaue, rohe Patrone, Maurermeister, die den Werth des Geldes kannten. Sie lachten insgeheim über die Equipagen Saccard's behielten ihre Blousen und zögerten auch nicht, bei einer Arbeit mit Hand anzulegen; mit Staub und Mörtel bedeckt kehrten sie des Abends heim. Beide stammten aus Langres, von wo sie ihren ruhigen, wenig intelligenten Geist nach dem unbefriedigten, heißen Paris brachten; doch wenn ihr Geist auch ein wenig beschränkt war, so verstanden sie es dennoch trefflich, jede Gelegenheit zu ergreifen, um ihre Taschen anzufüllen. Wenn Saccard die Geschäfte hastig betreiben wollte, es an Drängen und Aneifern nicht fehlen, sich durch seinen Heißhunger fortreißen ließ, so verhinderten die Herren Mignon und Charrier durch ihr schrittweises Vordringen, durch ihre gewandte, sichere Verwaltung sehr oft, daß er, verführt durch glänzende Aussichten, sich in Schwierigkeiten stürze. Sie willigten niemals ein, die eleganten Bureaux, das Hotel zu besitzen, welches er erbauen wollte, um Paris in Erstaunen zu setzen. Ebenso weigerten sie sich, die Spekulationen zweiten Ranges auszuführen, die jeden Tag in seinem Gehirn entstanden: Errichtung von Konzertsälen, großartigen Badeanstalten auf den freien Bauplätzen; er wollte Eisenbahnen erbauen, die längs der neuen Boulevards angelegt werden sollten, mit Glas gedeckten Galerien, die den Werth der Verkaufsläden verzehnfachen und bei schlechtem Wetter die Spaziergänger vor dem Naßwerden schützen würden. Um all' diesen Projekten, die sie mit Schrecken erfüllten, ein Ende zu bereiten, beschlossen die Unternehmer, die freien Baustellen unter die drei Genossen zu vertheilen und dann sollte Jeder nach Gutdünken mit seinem Antheil verfahren. Während sie fortfuhren, ihre Parzellen zu guten Preisen zu verkaufen, ließ Aristide bauen. In ihm arbeitete es wild, sein Gehirn befand sich in unablässiger fieberhafter Thätigkeit und er hätte in allem Ernste den Vorschlag gemacht, Paris unter eine ungeheure Glocke zu setzen, um es in ein Treibhaus zu verwandeln und Ananas und Zuckerrohr daselbst zu züchten.

      Dank den bedeutenden Kapitalien, die er besaß, nannte er alsbald acht Häuser auf den neuen Boulevards sein eigen. Vier derselben: zwei in der Rue de Marignan und zwei auf dem Boulevard Haußmann, waren vollkommen fertig; die anderen vier, die auf dem Boulevard Malesherbes lagen, waren unvollendet, ja eines derselben, welches blos einen weiten von Brettern umgebenen Raum darstellte, auf welchem sich ein moderner Prachtbau hätte erheben sollen, war blos bis zum Fußboden des ersten Stockes gediehen. Zu dieser Zeit hatten sich seine Angelegenheiten derart komplizirt, hatte er so viele Fäden um jeden seiner Finger gerollt, so viele Interessen zu wahren und Marionetten in Bewegung zu setzen, daß er des Nachts kaum drei Stunden schlief und seine Korrespondenz in seinem Wagen las. Das Merkwürdigste war, daß seine Kasse unerschöpflich schien. Er war an allen Aktienunternehmungen betheiligt, baute mit einer wahren Wuth, beschäftigte sich mit Allem, womit Handel getrieben werden konnte und drohte, Paris gleich dem steigenden Meere zu überfluthen, ohne daß man jemals gesehen hätte, daß er einen bedeutenden Gewinn erzielte, oder höhere Geldbeträge einforderte. Dieser goldene Fluß, welcher, ohne daß man seine Quellen gekannt hätte, in eiligem Drängen aus seinem Arbeitszimmer hervorkam, erregte das Staunen und die Bewunderung der Müßiggänger und machte ihn für einen Moment zu dem von aller Welt gekannten Manne, welchem die Zeitungen jedes neue Börsenwitzwort in den Mund legten.

      Die ehelichen Bande, welche Renée mit diesem Gatten vereinten, waren denn auch die denkbar lockersten. Es vergingen mitunter ganze Wochen, ohne daß sie ihn zu Gesichte bekam. Im Uebrigen konnte sie nicht über ihn klagen, denn seine Kasse stand ihr gänzlich zur Verfügung und sie liebte ihn im Grunde genommen, wie man einen zuvorkommenden Bankier liebt. Wenn sie sich in's Hotel Béraud begab, so rühmte sie seine vortrefflichen Eigenschaften ihrem Vater gegenüber, den der Reichthum seines Schwiegersohnes kalt und unberührt ließ. Ihre Verachtung war geschwunden; dieser Mensch – Aristide Saccard – schien so durchdrungen von der Ueberzeugung, daß das Leben nichts als ein Geschäft sei, er war so augenscheinlich dazu geboren, aus Allem Geld zu machen, was ihm unter die Hände kam: Kinder, Frauen, Pflastersteine, Gipssäcke, Gewissen, – daß sie ihm aus seiner mit größter Berechnung durchgeführten Heirath leinen Vorwurf machen konnte. Seit diesem Handelsgeschäfte betrachtete er sie gewissermaßen mit denselben Blicken, wie eines dieser schönen Häuser, die ihm zur Ehre gereichten und aus welchen er noch bedeutenden Nutzen zu ziehen hoffte. Er wollte, sie solle elegant gekleidet, bei allen Vergnügungen zugegen sein und ganz Paris den Kopf verdrehen. Dies gereichte ihm zum Vortheil und ließ sein Vermögen doppelt so groß erscheinen. Er war schön, jung, verliebt, unbesonnen durch seine Frau. Sie war seine Verbündete, seine Mitschuldige, ohne es zu wissen. Ein neues Paar Pferde, eine Toilette für zweitausend Thaler, ein liebenswürdiges Benehmen irgend einem Liebhaber gegenüber erleichterte, ja entschied mitunter sogar seine einträglichsten Geschäfte. Häufig schickte er sie auch unter dem Vorwande, sich vollkommen erschöpft zu fühlen, zu einem Minister, zu einem Funktionär, um eine Konzession zu erwirken oder einen Bescheid zu erhalten. Bei solchen Gelegenheiten sagte er ihr: »Sei vernünftig!« und das in einem zugleich spöttischen und schmeichelndem Tone, den nur er eigen hatte. Und wenn sie zurückkehrte und den gewünschten Erfolg erzielt hatte, so rieb er sich die Hände, indem er sein famoses: »Warst Du auch vernünftig?« wiederholte. Renée lachte. Er war zu thätig, um sich eine Frau Michelin zu wünschen; nur liebte er es, einen derben Scherz zu machen, schlüpfrige Hypothesen aufzustellen. Wenn Renée übrigens »nicht vernünftig gewesen wäre«, so hätte er keinen anderen Verdruß als den empfunden, die Gefälligkeit des Ministers oder des Funktionärs thatsächlich bezahlt haben zu müssen. Die Leute bethören, ihnen weniger geben, als sie für ihr Geld beanspruchen konnten, war sein Prinzip. Häufig konnte man ihn sagen hören: »Wenn ich eine Frau wäre, würde ich mich vielleicht verkaufen, die Waare aber niemals liefern; das wäre ja zu dumm!«

      Die tolle, unberechenbare Renée, die eines Nachts am Pariser Himmel erschienen war, gleich der excentrischen Fee der weltlichen Genüsse, war eine sich jeglicher Analyse entziehende Frau. Wäre sie im Elternhause erzogen worden, so hätte sie gewiß durch die Religion oder irgend eine andere Beruhigung der Nerven den Stachel der Begierden abgestumpft. Ihr Kopf war gut spießbürgerlich veranlagt; sie besaß eine absolute Ehrbarkeit, eine Vorliebe für logische Dinge, eine tiefsitzende Furcht vor dem Himmel und der Hölle, eine Menge Vorurtheile; sie war ihrem Vater nachgerathen, dieser ruhigen, vorsichtigen Race, welche alle häuslichen Tugenden besaß. Und dessenungeachtet keimten und gediehen in dieser Natur die erstaunlichsten Phantasiegebilde, die unablässig neu erstehenden Begierden und Wünsche, die sie sich selbst nicht zu gestehen wagte. Bei den Damen in dem Kloster zur Heimsuchung Mariä war ihr Geist unter den mystischen Freuden der Kapelle und den sinnlichen Neigungen ihrer kleinen Freundinen umhergeirrt und so hatte sie sich selbst da eine phantastische Erziehung gegeben, das Laster kennen gelernt, hierbei ihrer ungeberdigen Natur keinerlei Zwang angethan und ihr junges Gehirn derart aus dem Geleise gebracht, daß sie eines Tages ihren Beichtvater nicht wenig in Verlegenheit brachte, indem sie ihm beichtete, daß sie während der Messe ein unbezwingliches Verlangen empfunden hatte, sich von ihrem Platz zu erheben und ihn zu küssen. Dann aber schlug sie sich die Brust und erbleichte bei dem Gedanken an den Teufel und seine Pechpfannen. Der Fehltritt, welcher späterhin ihre Verbindung mit Saccard nach sich zog, diese Vergewaltigung, welche sie mit einer Art erschrockener Erwartung über sich hatte ergehen lassen, erfüllte sie nachher mit einer gewissen Selbstverachtung, die bedeutsam zu dem Sichgehenlassen ihres ferneren Lebens beitrug. Sie dachte, es nütze doch nichts, gegen das Böse anzukämpfen, welches in ihr war und daß die Logik sie ermächtige, die Wissenschaft des Schlechten gänzlich auszukosten. Sie empfand eher Neugierde als wirkliches Verlangen. Inmitten des Wirbels des zweiten Kaiserreiches stehend, ihrer eigenen


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