Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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weiß das aber nicht, der kleine Unglückliche! Ich werde ihn erst Alles lehren müssen... Glücklicherweise brauche ich mein Alter noch nicht zu leugnen. Ich bin einundzwanzig Jahre alt.«

      »Und ich werde bald vierzehn Jahre alt sein... Sie könnten meine Schwester sein.«

      Er sagte nichts weiter, doch verriet sein Blick deutlich, daß er der Meinung gewesen, die zweite Frau seines Vaters müßte bedeutend älter sein. Er stand dicht bei ihr und betrachtete ihren Hals mit solcher Beharrlichkeit, daß sie schließlich errötete. Ihr unsteter Geist wandte sich indessen alsbald einem anderen Gegenstande zu, da sie sich nicht lange mit einer Sache beschäftigen konnte, und indem sie auf- und abzuschreiten begann, sprach sie von ihrem Schneider, ohne zu beachten, daß sie ein Kind vor sich habe.

      »Ich wäre bei Deiner Ankunft gerne hier gewesen; doch bedenke, daß mir Worms diese Toilette heute morgens gebracht hat... Ich probiere sie und finde sie ziemlich gelungen. Sie ist recht nett, nicht wahr?«

      Damit war sie vor einen Spiegel getreten, während Maxime hinter ihr bald einige Schritte vorwärts machte, bald ein wenig zurückwich, um sie von allen Seiten betrachten zu können.

      »Als ich aber das Kleid anlegte,« fuhr sie fort, »bemerkte ich, daß es hier, auf der linken Schulter eine große Falte machte; Du siehst ja selbst... Diese Falte ist sehr häßlich und gibt mir den Anschein, als hätte ich eine Schulter höher als die andere.«

      Er war näher gekommen, legte den Finger auf die bezeichnete Falte, wie um dieselbe niederzudrücken und die Hand dieses dem Laster nicht mehr fremden Schülers schien mit einem gewissen Wohlbehagen auf dieser Stelle zu verweilen.

      »Meiner Treu,« plauderte sie weiter; »das konnte doch nicht so bleiben. Ich ließ daher anspannen und fuhr zu Worms, dem ich seine unverzeihliche Nachlässigkeit vorhielt... Er versprach mir, daß er die Sache ändern werde.«

      Dabei stand sie immer noch vor dem Spiegel, in dem sie sich sinnend betrachtete und endlich legte sie den Finger mit einer Miene ungeduldigen Nachdenkens auf den Mund, worauf sie leisen Tones, als spräche sie zu sich selbst, sagte:

      »Etwas fehlt ... ja, ja, etwas fehlt hier...«

      Und mit einer plötzlichen Bewegung drehte sie sich um, stellte sich vor Maxime hin und fragte wichtig:

      »Ist's wirklich gut?... Findest Du nicht, daß etwas fehlt, irgend etwas, eine Kleinigkeit, ein Band, eine Schleife?«

      Beruhigt durch den freundschaftlichen Ton der jungen Frau, hatte der Schuljunge die ganze Sicherheit seiner kecken Natur wiedergewonnen. Er trat zurück, trat wieder näher und die Augen zusammenkneifend, murmelte er:

      »Nein, nein, es fehlt nichts,... es ist sehr hübsch, sehr hübsch... Meiner Ansicht nach ist sogar etwas zuviel vorhanden.«

      Er errötete ein wenig, trotz seiner Kühnheit, trat noch näher und mit der Spitze seines Fingers einen Strich über Renée's Busen ziehend, fügte er hinzu:

      »Sehen Sie, ich würde diese Spitze hier rund ausschneiden und ein Halsband mit einem großen Kreuz anlegen.«

      Entzückt klatschte sie in die Hände.

      »Ja, ja, das ist's,« rief sie aus. »Das Wort lag mir auf der Zungenspitze.«

      Damit schlug sie die Busenkrause zurück, verschwand für zwei Minuten und kehrte mit dem Halsband und dem Kreuze zurück. Darauf stellte sie sich wieder vor den Spiegel hin und murmelte mit triumphirender Miene:

      »So ist's richtig, vollkommen richtig!... Er ist ganz und gar nicht dumm, der kleine Kahlkopf! Du bist wohl den Frauen in Deiner Provinz beim Ankleiden behilflich gewesen?... Kein Zweifel, wir werden gute Freunde sein. Doch mußt Du hübsch folgsam sein. Vor Allem, junger Herr, werden Sie sich die Haare wachsen lassen und diese abscheulichen Gewänder nicht mehr tragen; ferner werden Sie meine Ratschläge über Anstand und Benehmen getreulich befolgen. Ich will einen jungen Mann aus Ihnen machen.«

      »Gewiß,« erwiderte das Kind naiv; »denn Papa ist nunmehr reich und Sie sind seine Frau.«

      Sie lächelte und sagte dann mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit:

      »Vor Allem müssen wir uns duzen; ich sage bald Du, bald Sie, das ist zu dumm... Du wirst mich also sehr lieb haben?«

      »Ich werde Dich von ganzem Herzen lieben,« erwiderte der Knabe mit der Glut eines jungen Burschen, der eine Liebschaft gefunden.

      Dies war die erste Begegnung zwischen Maxime und Renée. Der Knabe kam erst einen Monat später in die Schule. In den ersten Tagen spielte seine Stiefmutter mit ihm wie mit einer Puppe; sie entkleidete ihn seiner Provinzgewohnheiten und es muß zugegeben werden, daß er hierbei viel guten Willen bekundete. Als er durch den Schneider seines Vaters vom Kopf bis zu den Füßen neu gekleidet vor ihr erschien, stieß sie einen Ruf freudiger Überraschung aus; er sei herzallerliebst, erklärte sie. Nur seine Haare wuchsen mit einer Langsamkeit, die geradezu zum Verzweifeln war. Die junge Frau behauptete immer, daß das Haar dem Gesicht Ausdruck verleihe und sorgfältig pflegte sie ihr eigenes. Lange Zeit war sie untröstlich über die Farbe desselben, die in ihrer Unbestimmtheit am ehesten an feine Butter erinnerte. Doch als gelbe Haare modern wurden, war sie hoch erfreut und um den Glauben zu erwecken, daß sie die Mode nicht einfältigerweise nachahme, schwor sie, daß sie ihr Haar jeden Monat färbe.

      Seiner dreizehn Jahre ungeachtet war Maxime schon sehr erfahren. Er war eine jener zarten, frühreifen Naturen, bei welchen die Sinne vorzeitig zur Geltung gelangen. Das Laster erwachte in ihm noch vor der Begierde. Zweimal war er nahe daran gewesen, aus der Schule verwiesen zu werden. Renée, deren Augen an die provinziale Anmuth gewöhnt waren, hätte sehen können, daß der kleine Kahlkopf, wie sie ihn nannte, so unschön er auch gekleidet war, den Hals auf anmuthige Weise wendete, die Arme mit einer gewissen weichen Bewegung gebrauchte und mit dem mädchenhaften Ausdruck der Schülerinen lächelte. Seinen Händen, die zart und lang waren, wendete er besondere Pflege zu, und wenn seine Haare auf Anordnung des Schulvorstehers, eines ehemaligen Stabsoffiziers, auch kurz geschnitten sein mußten, so besaß er dafür einen kleinen Spiegel, den er während des Vortrages aus der Tasche zog, zwischen die Blätter seines Buches legte und in welchem er sich stundenlang betrachtete, seine Augen untersuchte, sein Mienenspiel beobachtete und allerlei kokette Künste einstudierte. Seine Kameraden hängten sich an seine Blouse wie an einen Weiberrock und dabei preßte er sich derart zusammen, daß er schlank erschien und sich gleich einer voll entwickelten Frau in den Hüften wiegen konnte. In Wahrheit aber erhielt er ebensoviel Prügel wie Schmeicheleien. Die Schule zu Plassans, eine Höhle kleiner Banditen gleich der Mehrzahl der Provinzschulen, wurde auf diese Weise ein Ort der Besudelung, wo dieses neutrale Temperament, dieses Kind, welches das Laster als Erbschaft überkommen zu haben schien, eine seltsame Entwickelung nahm. Vielleicht sollten es die Jahre bessern; doch die Spuren seiner kindlichen Verirrungen, dieser Verweichlichung seines ganzen Wesens, dieser Stunde, in welcher er sich für ein Mädchen halten konnte, sollten in ihm zurückbleiben und seine Männlichkeit für alle Zeiten beeinträchtigen.

      Renée nannte ihn »mein Fräulein«, ohne zu wissen, daß sie noch vor sechs Monaten das Richtige getroffen hätte, Sie sah, daß er sehr gehorsam, sehr liebevoll sei; ja mitunter fühlte sie sich durch seine Liebkosungen geradezu verwirrt. Er hatte eine Art, sie zu küssen, die ihr einen heißen Schauer verursachte. Was sie aber am meisten entzückte, war seine Schelmerei; er war unsagbar drollig, kühn und sprach bereits lächelnd über die Frauen, hielt sogar den Freundinen Renée's Stand: der theuren Adeline, die Herrn von Espanet geheirathet hatte und der dicken Susanne, die ganz kürzlich die Gattin des Großindustriellen Haffner geworden. Mit vierzehn Jahren war er bis über die Ohren in letztere verliebt. Er hatte seine Stiefmutter zu seiner Vertrauten gemacht und bereitete dadurch dieser viel Vergnügen.

      »Ich hätte Adeline vorgezogen, denn diese ist hübscher,« pflegte sie zu sagen.

      »Mag sein,« erwiderte der Schlingel; »doch ist Susanne bedeutend dicker... Ich liebe die schönen Frauen... Und wenn Du gut wärest, so würdest Du für mich ein Wort bei ihr einlegen.«

      Renée lachte. Ihre Puppe, dieser große Junge mit dem Mädchengesicht


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